Hochpräzise Messung European XFEL misst exotischen Materiezustand

Foto der elastisch gestreuten Röntgenstrahlen (helles gelbes Licht links) und der von den Plasmonen gestreuten Strahlen (schwaches violettes Licht rechts)

Bild: T. Gawne/CASUS
11.07.2024

Forscher am European XFEL haben eine innovative Methode entwickelt, um warme, dichte Materie mit noch nie dagewesener Genauigkeit zu untersuchen. Diese Art von Materie, die zwischen kondensierter Materie und Plasmaphysik angesiedelt ist, kommt beispielsweise in astrophysikalischen Objekten vor und wird auch bei der sogenannten Trägheitsfusion erzeugt. Für das Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) ist diese Arbeit ein bedeutender Schritt, die Analyse der warmen, dichten Materie auf eine solide Grundlage zu stellen. Die wissenschaftliche Zeitschrift Physical Review B hebt die betreffende Veröffentlichung als Redaktionsempfehlung hervor.

Materie unter extremen Bedingungen zu erforschen, wie sie beispielsweise in astrophysikalischen Objekten vorkommt, ist eine große Herausforderung. Dort herrschen enorme Hitze und immense Drücke. Gleiches gilt bei der Zündung von Brennstoffkapseln bei der Trägheitsfusion, die dereinst der sicheren Stromversorgung dienen soll.

Mit der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HiBEF) an der High-Energy-Density-Experimentierstation (HED) des European XFEL können diese Bedingungen erzeugt werden und mit den brillanten Röntgenblitzen des European XFEL dieser exotische Zustand der Materie genauer untersucht werden als je zuvor.

Warme dichte Materie: ein außergewöhnliches Phänomen

Auf der Erde ist Materie normalerweise fest, flüssig oder gasförmig. Draußen im Weltraum gibt es aber oft eine weitere Form der Materie: Plasma. Das ist heißes, ionisiertes Gas, bei dem die Elektronen von den Atomkernen gelöst sind. Bei hohen Temperaturen und Dichten, wie sie beispielsweise in Sternen oder beim Einschlag von Meteoriten auf Planeten vorkommen, kann die Materie noch einen weiteren Zustand annehmen: warme, dichte Materie.

Sie ist zu heiß, um mit der Physik fester Körper beschrieben zu werden, und zu dicht für die Physik des Plasmas. Charakteristisch für warme, dichte Materie sind Temperaturen von 5.000 bis mehreren 100.000 Kelvin und Drücken, die mehrere hunderttausend Mal höher sind als der auf der Erdoberfläche.

Entdeckung dank ultrahochauflösender Röntgen-Thomson-Streuung

Ein Team unter der Leitung von Thomas Preston von der HED-Experimentierstation am European XFEL hat nun die Struktur und die Eigenschaften sogenannter Plasmonen in Aluminium untersucht. Plasmonen sind kollektive Anregungen von Elektronen.

Sie sind verantwortlich für die optischen Eigenschaften von Metallen, Halbleitern und der warmen, dichten Materie. Eine wichtige Methode zur Untersuchung dieser kollektiven Schwingungen der Elektronen ist die Röntgen-Thomson-Streuung. Dabei verlieren einige der Röntgenphotonen Energie und Impuls. Das können die Forscherinnen und Forscher mit Spektrometern exakt messen.

Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die diese Anregungen ausschließlich mit einer Auflösung von einigen Elektronenvolt messen konnten, hat Prestons Team nun zusammen mit Forschern des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) sowie des HZDR-Instituts CASUS ultrahochauflösende Röntgen-Thomson-Streuspektren aufgenommen, die eine mehr als zehnfach verbesserte Energieauflösung haben: weniger als hundert Millielektronenvolt.

„Wir erkannten, dass wir einen bestehenden Aufbau umfunktionieren konnten, der für noch höher aufgelöste Messungen von Schwingungen in Festkörpern konzipiert war“, erklärt Preston. „Durch eine geschickte Wahl unserer Röntgenenergie können wir nun Energieverluste mit höchster Präzision messen. Die Genauigkeit unserer Messungen ermöglichte es jetzt, lange bestehende Diskrepanzen zwischen Simulationen und experimentellen Beobachtungen zu beseitigen“, erläutert Preston. Das Team plant nun, diese Methode für noch höhere Temperaturen und Drücke weiterzuentwickeln.

Perspektiven für die Zukunft

„Diese aufregenden neuen Möglichkeiten am European XFEL ermöglichen noch nie dagewesene Einblicke in das Verhalten von Materie unter extremen Bedingungen“, erklärt Erstautor Thomas Gawne von der Nachwuchsgruppe „Frontiers of Computational Quantum Many-Body Theory“, die von Tobias Dornheim geleitet wird. Dornheim hat kürzlich von der Europäischen Union eine Förderung für ein Laserfusionsprojekt erhalten. Er plant, das Potenzial der Röntgen-Thomson-Streuung auch für andere Gruppen zugänglich zu machen, damit diese mit Hilfe des European XFEL ihre Experimente gezielter gestalten können als es bisher möglich war.

Thomas Preston lobt die Zusammenarbeit mit den CASUS-Wissenschaftlern: „Die einzigartige Kombination aus modernster Theorie an CASUS und HZDR sowie den hochmodernen Experimenten an der HED-Experimentierstation am European XFEL eröffnet der Wissenschaft ungeahnte Möglichkeiten. Das Wechselspiel von Messung und Simulation ist entscheidend, um zukunftsweisende Experimente durchführen zu können.“ Er ist der Überzeugung, dass sich damit künftig viele Fragen zur Trägheitsfusion und der Erforschung astrophysikalischer Objekte beantworten lassen.

Bildergalerie

  • Gemessener Energieverlust nach Streuung an Plasmonen

    Gemessener Energieverlust nach Streuung an Plasmonen

    Bild: T. Gawne, et al., Physical Review B

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel