Der 5 m lange Lexus RX-450h führt an der Empa ein eher beschauliches Leben. Auf einem 180-m-Spezial-Parcours dreht der SUV in einem abgetrennten Hinterhof seine Runden. Eine Mobileye-Camera hinter der Frontscheibe erfasst dabei Fahrbahnmarkierungen, ein Velodyne-Lidar scannt bei jeder Runde die Fensterfront des immer gleichen Laborgebäudes und ein Delphi-Radar hinter dem Kühlergrill misst den Abstand zu fünf blechernen Abfallmulden, die links und rechts des Parcours aufgestellt sind.
Verglichen mit den euphorischen Bildern, die teils aus den USA herüberschwappen (Stichwort: Tesla), scheint diese Szenerie etwas „unterwältigend“. Doch der Aufbau dient wichtigen Erkenntnissen in einem bislang stiefmütterlich behandelten Thema: der Qualität von Sensordaten. Unter mehr als 1.000 öffentlichen Forschungsarbeiten, die in den vergangenen fünf Jahren im Bereich autonomes Fahren erschienen sind, beschäftigen sich nur rund 20 mit Datenqualität.
„Wir wollen einen Sehtest für autonome Fahrzeuge entwickeln, damit man ihnen auch dann noch trauen kann, wenn sie schon mehrere Jahre alt sind und tausende Kilometer auf dem Buckel haben“, sagt Miriam Elser. Sie arbeitet im Empa-Labor für Fahrzeugantriebssysteme und leitet das Projekt mit dem Lexus. Ihr Ziel ist es, herauszufinden, wie Sensoren bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen arbeiten, welche Daten sie sammeln und wann sie Fehler machen oder sogar ausfallen.
Durch Elsers Forschung betritt auch die Empa Neuland: Bisher hatte sich die Schweizer Forschungseinrichtung mit Antrieben, erneuerbaren Treibstoffen, Abgasreinigung und dem Betrieb von Fahrzeugen beschäftigt. Nun geht es erstmals um selbstfahrende Autos.
Hersteller und ihr Datengeheimnis
Sensorqualität spielt für eine spätere Zulassung autonomer Fahrzeuge eine wichtige Rolle. Die Betriebssicherheit solcher Autos fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Straßen (Astra), das die Forschungsarbeit finanziell unterstützt. Es will die Funktionsfähigkeit der autonomen Systeme in regelmäßigen Abständen beurteilen können – und zwar unabhängig von den Herstellern. Diese lassen sich bei der Datenverarbeitung ihrer Autos nämlich nur selten in die Karten blicken.
Die Experten der Behörde möchten zudem eine Art „Zeugenbefragung“ ermöglichen, wenn ein autonom fahrendes Auto in einen Unfall verwickelt war. Das Problem dabei: Die Sensoren sammeln enorme Datenmengen pro Sekunde. Diese Flut an Rohdaten zu analysieren, wäre unzumutbar für Unfallermittlungsbehörden. In Zukunft muss also vermutlich per Gesetz festgelegt werden, welche Daten im Auto gespeichert und für Ermittlungen zugänglich gemacht werden müssen.
Dazu kommt, dass das Astra sich auf die Genehmigung von Feldversuchen mit selbstfahrenden Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen vorbereitet. Doch wie lässt sich beurteilen, ab wann es gefährlich wird? Wo versagen Sensoren, und wo machen sie solch gravierende Fehler, dass der Versuch abgebrochen oder modifiziert werden müsste? Bereits für das Monitoring solcher Feldversuche ist es nötig, die „Sehkraft“ und „Urteilsfähigkeit“ autonom fahrender Autos rasch und genau einschätzen zu können.
Knappes Zeitfenster
Elsers Projekt ist Teil einer Digitalisierungsinitiative des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Energieforschung im Bereich Mobilität (SCCER Mobility), mitfinanziert von der Innosuisse, vom Astra und von Wirtschaftspartnern. Während die Empa handelsübliche Sensoren im praktischen Einsatz untersucht, analysiert das Eidgenössische Institut für Metrologie (Metas) die gleichen Sensoren in einer Laborumgebung. Die kommende Generation von Fahrzeugsensoren ist ebenfalls bereits Gegenstand der Forschung, diesen Projektteil übernimmt das Institut für dynamische Systeme und Regelungstechnik der ETH Zürich.
Für die Entwicklung von Grundlagen für Bewertungsmethoden autonom fahrender Autos bleibt dabei womöglich nicht mehr viel Zeit. Der Wettbewerb rund um selbstfahrende Autos ist enorm, und die Automobilindustrie könnte ihre Fahrzeuge bereits bald dafür ausrüsten.
Ob selbstfahrende Autos Unfälle und Verkehr vermeiden können, ist Gegenstand vieler Untersuchungen. Auch Elser möchte mit ihrem „Sehtest für Autos“ hier einen Beitrag für mehr Sicherheit leisten.