Mit dem „Klimaschutzplan 2050“ hat sich die deutsche Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2050 soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Um dies zu erreichen, sind alle Energie verbrauchenden Sektoren wie Verkehr oder Industrie gleichermaßen gefordert, ihren Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) sukzessive zu reduzieren.
Grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft
Im Zuge der angestrebten Dekarbonisierung spielt Wasserstoff (H2) als Energieträger der Zukunft eine Schlüsselrolle: Er kann klimaneutral aus regenerativen Quellen wie Photovoltaik (PV) und Windkraft hergestellt werden. Damit bietet das Gas die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern und zu transportieren. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn – etwa an sonnigen und windreichen Tagen – zeitweise mehr Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, als gerade benötigt wird.
Die Anwendungsmöglichkeiten von klimaneutral erzeugtem grünem Wasserstoff als Energieträger sind dabei ebenso breit gefächert wie bei konventionell produziertem – nur eben mit einer sehr viel besseren Umweltbilanz. Ob Raffinerien, Metallurgie, Stahlproduktion, Chemieindustrie oder Chipherstellung – in der Industrie ist das Gas in vielen Prozessen unentbehrlich. Im Verkehrssektor kann Wasserstoff darüber hinaus als emissionsfreier Treibstoff dienen – und das nicht nur bei Autos mit Brennstoffzelle. Inzwischen sind auch Busse und sogar Züge im Nahverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Und auch für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr ist der Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff oder auf Basis von Wasserstoff erzeugte synthetische Treibstoffe in Zukunft eine denkbare Alternative.
Besonders klimafreundlich ist eine dezentrale Wasserstofferzeugung vor Ort. Denn damit reduzieren sich zum einen die Transportwege zu den Verbrauchsstellen. Der grün erzeugte Wasserstoff kann sogar direkt über eine Wasserstofftankstelle für Endkunden zur Verfügung gestellt werden.
Regionale Wasserstoff-Erzeugung in Wunsiedel
Vor diesem Hintergrund entsteht derzeit im nordbayerischen Wunsiedel im Fichtelgebirge eine Anlage zur klimaneutralen Erzeugung von Wasserstoff. Mit einer elektrischen Anschlussleistung von 6 MW in der ersten Ausbaustufe ist sie eine der größten ihrer Art.
Die geplante Wasserstoff-Erzeugungsanlage wird dazu dienen, die vorhandene erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium umzuwandeln und für verschiedene Anwendungen in der Mobilität und Industrie verfügbar zu machen. Gleichzeitig entsteht für die Region Nordbayern eine neue Wasserstoff-Quelle. Bisher muss das Gas für Endkunden über relativ lange Transportwege angeliefert werden. In Zukunft wird der Wasserstoff dann in Wunsiedel für die lokale Distribution in Druckgasbehälter abgefüllt und über LKW-Trailer an lokale und regionale Endkunden geliefert. Darüber hinaus hilft die Anlage dabei, Netzengpässe zu entschärfen sowie Flexibilität für das Stromnetz bereitzustellen. Optional kann am Standort eine öffentliche Wasserstoffbetankungseinrichtung für LKWs und Busse errichtet werden.
Auftraggeber der Anlage ist die eigens gegründete WUN H2 GmbH, zu der sich im September 2020 Siemens Project Ventures, der örtliche Energieversorger SWW Wunsiedel sowie die Firma Rießner Gase aus Lichtenfels im Rahmen der Vertragsunterschrift eingefunden haben. Generalunternehmer ist Siemens Smart Infrastructure. Ende 2021 soll die errichtete Anlage ihren Betrieb aufnehmen. Sie wird dann in der ersten Ausbauphase einen Wasserstoffbedarf von über 900 t pro Jahr decken können. Im Vollausbau sind später mehr als 2.000 t möglich.
Die Anlage entsteht am Wunsiedler Energiepark in unmittelbarer Nähe zu einem bereits aktiven Batteriespeicher von Siemens und ergänzt das Energiekonzept, das dort umgesetzt wird: Im Rahmen einer so genannten Grid-Edge-Lösung sollen perspektivisch Konsumenten, Prosumenten und das intelligente Stromnetz in einem neuartigen Energiesystem miteinander interagieren. Die am Energiepark vorhandenen Assets sowie die zu errichtende Wasserstoffanlage werden über das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem von Siemens MindSphere aggregiert.
PEM-Elektrolyseverfahren
Konkret wird der Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Die für diesen Prozess erforderliche Energie liefert der aus PV- und Windkraftanlagen bereitgestellte Strom. Als so genannter Elektrolyseur kommt in Wunsiedel ein Silyzer 300 von Siemens Energy zum Einsatz. Dieses Modell zeichnet sich durch einen hohen Wirkungsgrad bei hohen Leistungsdichten sowie durch einen wartungsarmen, zuverlässigen und chemikalienfreien Betrieb aus.
Er arbeitet mit dem PEM-Elektrolyseverfahren. Hierbei wird Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Name PEM ist abgeleitet von der protonenleitenden Membran, der sogenannten Proton-Exchange-Membrane. Sie ist durchlässig für Protonen, aber nicht für Gase wie Wasserstoff oder Sauerstoff. Damit übernimmt sie in einem elektrolytischen Prozess unter anderem die Funktion des Separators, der die Vermischung der Produktgase verhindert. Im Vergleich zur traditionellen Alkali-Elektrolyse ist die PEM-Technologie ideal geeignet, um fluktuierenden Wind- und Solarstrom aufzunehmen, da eine hoch dynamische Betriebsweise möglich ist.
Als Besonderheit werden in Wunsiedel auch der bei der Wasserstoff-Erzeugung anfallende Sauerstoff sowie die Niedertemperaturabwärme erstmalig in nahegelegenen Industriebetrieben weiter genutzt. Da somit alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden, zeigt die Anlage eine einzigartige Gesamt-Energieeffizienz.
Realisierte CO2-Einsparungen
Die in Wunsiedel entstehende Anlage zur CO2-freien Erzeugung von grünem Wasserstoff ist ein Zukunftsmodell für die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien: In Zahlen werden im späteren Praxisbetrieb für den Bedarf von zunächst 640 t Wasserstoff 5.350 t CO2 pro Jahr eingespart. Das größte Einsparpotenzial bietet dabei die Umstellung des Wasserstoffherstellungsprozesses. Der derzeitig benötigte Wasserstoff in der Region wird durch eine Erdgasdampfreformierung erzeugt. Dabei werden 5.000 t CO2 freigesetzt. Zusätzlich fallen durch den Transport aus den bisherigen, bis zu 280 km entfernten Wasserstoffquellen weitere 350 t CO2 pro Jahr an. Die Umstellung bedeutet somit eine Einsparung von rund 98 Prozent CO2 pro Jahr.