Stetiges Training verbessert die Fähigkeiten menschlicher Wahrnehmung. Jahrelange Übung kann zum Beispiel den Geruchs- und Geschmackssinn von Sommeliers schärfen und versetzt erfahrene Radiologen in die Lage, Anomalien auf Röntgenbildern auf den ersten Blick zu erkennen.
Herkömmliche Trainingsmethoden im Bereich der visuellen Wahrnehmung sind jedoch bislang dadurch limitiert, dass sich nur in dem spezifischen Bereich des Sichtfelds eine Verbesserung erzielen lässt, in dem geübt wurde – ein Phänomen, das als Ortspezifität bekannt ist. Wer sich also nach einem Unfall von einem akuten Sehverlust erholt, muss zum Beispiel während der Rehabilitationsprogramme mühsam sein Sehvermögen für verschiedene Teile des Blickfelds einzeln trainieren.
Räumlich geordnete Verarbeitung
Das liegt daran, dass das visuelle System die Welt räumlich geordnet verarbeitet. „Neuronen, die zwei benachbarte Bereiche im Blickfeld verarbeiten, befinden sich auch im Gehirn eng beieinander“, erklärt Professor Zhuanghua Shi vom Lehrstuhl für allgemeine und experimentelle Psychologie der LMU. „Daher führt visuelles Training in der Regel zu einer Plastizität einer kleinen Gruppe von Neuronen, die einen ganz bestimmten Ort des Sichtfeldes abdecken.“
Eine neue Studie, die ein Team von Forschenden rund um Shi kürzlich im Fachmagazin Proceedings der National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht hat, bietet nun einen möglichen Lösungsansatz für diese Einschränkung. „Wir haben den Code geknackt, wie man die Vorteile des visuellen Trainings auf das gesamte Sichtfeld ausweiten kann“, meint Shis Kollege Professor Heiner Deubel.
Visuelle Reize aktiv durch Augenbewegung erkundet
Im Gegensatz zu traditionellen Methoden, bei denen visuelle Reize lediglich an bestimmten Orten des Sichtfeldes gezeigt werden, haben die Teilnehmenden der Studie die visuellen Reize aktiv durch Bewegung ihrer Augen erkundet.
Dieser innovative Ansatz brachte die Probanden dazu, bestimmte Mechanismen zu nutzen, die mit Blickbewegungen einhergehen und den Ort der visuellen Reize flexibel kodieren. Dadurch verbesserte sich nicht nur ihre Wahrnehmungsfähigkeit in dem Bereich, auf den sie blickten, sondern sie erweiterte sich auch auf andere, nicht gezielt trainierte Ausschnitte ihres Sichtfelds.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die gezielte Aktivierung von Augenbewegungen im Wahrnehmungslernen auf völlig andere Gehirnmechanismen zugreift als bisherige Methoden. „Das ist insbesondere für Programme zur visuellen Rehabilitation sehr interessant, die dadurch effektiver und weniger umständlich werden können “, so Shi.