Stabiles Verteilnetz „Energieflüsse dezentral steuern“

Bild: Ingenieurbüro Pfeffer
24.08.2016

Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist für Ortsnetzstationen eine Aufrüstung mit Intelligenz erforderlich – davon ist Matthias Pfeffer überzeugt. Der Geschäftsführer des Ingenieurbüro Pfeffer sagt, was nötig ist und wo Trends und Grenzen liegen.

Energy 2.0:

Die Kosten des Netzausbaus werden auf rund 42,5 Milliarden Euro geschätzt. Sind intelligente Ortsnetzstationen eine Alternative?

Matthias Pfeffer:

Intelligente Ortsnetzstationen werden auf Verteilnetzebene eine Schlüsselstellung einnehmen. Um die Stromflüsse dezentraler und volatiler Quellen zu managen und so die Stromversorgung stabil zu halten, müssen intelligente Systeme alle Teile des Stromnetzes verbinden. Die Sekundärtechnik in der Station ermöglicht es, Energieflüsse aus der Ferne zu messen und je nach Anforderung zu steuern und zu regeln. So kann Energie intelligent verteilt und die Kabelverlegung an einigen Stellen reduziert werden. Ohne zusätzliche Leitungen wird man jedoch nicht auskommen. Die Aufrüstung mit digitaler Messtechnik kann eine interessante Maßnahme sein, um Investitionen zu reduzieren. Von derzeit rund 600 000 Stationen werden schätzungsweise 30 Prozent mit intelligenter Technik benötigt.

Was ist das Besondere an den intelligenten Stationen?

Für den Strommarkt von Morgen müssen wir schon heute Primärtechnik mit intelligenter Sekundärtechnik verknüpfen, normenkonform und betriebssicher. Die Spannung soll künftig nicht mehr nur von der einen zur anderen Spannungsebene gewandelt, sondern intelligent gemanagt werden. Messen, fernwirken, steuern und regeln – für Versorger muss das durch Sekundärtechnik möglich werden. Obendrein gilt es, die zahlreichen Informationen über den Zustand der Station zu visualisieren und in bestehende Systeme zu integrieren. Intelligente Stationen ermöglichen das und reagieren so auf veränderte Anforderungen des Netzes.

Wie steht es um die Akzeptanz – sind Energieversorger bereit in smarte Technik zu investieren?

Die Energiewende stellt Versorger und Verteilnetzbetreiber vor die Herausforderung, tiefer in das eigene Verteilnetz hineinzuschauen. Die Netze wurden in der Vergangenheit stabil und überdimensioniert geplant und gebaut. Bei unveränderten Netzbedingungen ergibt sich also kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Erkennbar ist aber, dass diese Planung durch die Zunahme der regenerativen Energien sowie den Ausbau von Ladeinfrastruktur und E-Mobilität in den Kommunen angepasst und ausgebaut werden muss. Auf dem hessischen Markt wird beim Neubau noch vorrangig in Primärtechnik investiert. Wir errichten und modernisieren rund 250 Transformatorenstationen in und um Hessen pro Jahr, wovon etwa 20 Prozent mit intelligenter Technik ausgestattet werden. Das Zögern einiger Energieversorger erklärt sich auch dadurch, dass sie Informationen sammeln und Entscheidungen der Bundesnetzagentur abwarten. Etwa dazu, welche Abschreibungsgelder anerkannt werden.

Wie viel Intelligenz benötigt eine Ortsnetzstation?

Grundsätzlich muss jede Erweiterung oder Neuerrichtung gesetzes-, normkonform und betriebssicher sein. Ich habe oft gesehen, dass Sekundärtechnik nachgerüstet wird, ohne die Normenkonformität zu berücksichtigen. Eine neu errichtete Station wird für einen Lebenszeitraum von zirka 40 Jahren ausgelegt. Investiert werden sollte also mindestens so viel, dass die Station auch im Nachhinein noch mit dem nötigten Maß an Intelligenz aufgerüstet werden kann. Jede intelligente Lösung innerhalb von Ortsnetzstationen muss individuell auf das Netz und die damit verbundenen Anforderungen ausgerichtet sein. Wir verstehen uns als Partner für Verteilnetz­betreiber, von der Komponente bis zur Lösung. Angefangen bei intelligenter Mess- und Regeltechnik, die sowohl niederspannungs- als auch mittelspannungsseitig eingesetzt werden kann über Fehlerdetektionsverfahren, die Erd- und Kurzschlüsse lokalisieren können, bis hin zu Fernwirktechnik und Softwarelösungen. Letztere werden es möglich machen, gezielt Ereignisse in den Netzen anzuzeigen und Handlungsempfehlungen auszugeben oder auch aktiv ins Netz eingreifen zu können.

Wo liegen die technischen Grenzen und Probleme?

Aus unserer Sicht entstehen technische Grenzen dort, wo die Betriebssicherheit der Station gefährdet wird oder einzelne Komponenten den Anforderungen im System nicht standhalten. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Etwa ein zu kleines Stationsgebäude, welches die Ergänzung leistungsstärkerer und größerer Komponenten ausschließt. Hinzu kommt, dass alle Komponenten unterschiedlichen Umgebungstemperaturen und Betriebsbedingungen ausgesetzt sind. Während eine Mittelspannungsschaltanlage ohne Probleme mit Temperaturen von 70 bis 80 Grad Celsius umgehen kann, kommen Teile der Sekundärtechnik dagegen schon bei 55 Grad Umgebungstemperatur in den Grenzbereich, und die sind im Sommer schnell erreicht. Unser Partner, die Betonbau, ein führender Hersteller von normenkonformen Technikgebäuden, verfügt über ein eigenes Wärmeprüffeld, mit dem er sich auf die Anforderungen aus einem sich radikal ändernden Netzumfeld vorbereitet hat. Damit ist es möglich, die komplette Ortsnetzstation unterschiedlichen Wärmeläufen zu unterziehen. So können Komponenten gezielt aufeinander abgestimmt werden.

Wie sieht die Zukunft aus? Zeichnen sich Trends ab?

Unsere Branche befindet sich im Wandel. Digitalisieren, vernetzen und automatisieren sind die Trends der Zukunft. Heruntergebrochen auf unser Geschäftsfeld spreche ich gern von der Verschmelzung von Kilowatt und Kilobyte. Um die Vielzahl regenerativer Einspeiser so zu verbessern, dass die Spannungsqualität sichergestellt wird, müssen Voraussetzungen geschaffen werden, Energieflüsse sichtbar und dezentral steuerbar zu machen. Dieses Thema haben wir als Masterarbeit an der HS Darmstadt platziert. Ein Schwerpunkt wird sein, die gesammelten Messdaten aus den Stationen aufzubereiten. Wir sind davon überzeugt, dass intelligente Ortsnetzstationen fester Bestandteil unserer Energieinfrastruktur werden. Ob als Ergänzung im bestehenden Netz oder als Vorposten der Leitwarten, entscheidet jeder Verteilnetzbetreiber selbst. Die Investitionen, die sie künftig in den Netzen tätigen, werden sich nicht allein nach monetären Aufwendungen richten, sondern vor allem nach der Anforderung an Strom als Produkt.

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