Digitalisation Ist der Mittelstand fit für Digitalisierung?

Dimitrios Charisiadis startete 2017 als Bereichsleiter für das Produkt- und Branchenmanagement und den nationalen Vertrieb bei Jumo. Seit Januar 2020 ist als Geschäftsführer für die Bereiche Produktion, Entwicklung und Vertrieb verantwortlich. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen bei ABB und der Harting-Technologiegruppe tätig.

Bild: Robert Gross, Jumo
19.08.2020

Die Schlagworte Industrie 4.0 und Digitalisierung begleiten uns nun schon seit fast zehn Jahren. Jedem Marktteilnehmer dürfte deshalb mittlerweile klar sein, dass sich die Rahmenbedingungen ökonomischen Handelns radikal verändern werden und das teilweise schon tun. Doch vor allen Dingen der Mittelstand begegnet diesen Themen teilweise noch sehr zögerlich.

Dimitrios Charisiadis ist mit diesem Beitrag im P&A-Kompendium 2020 als einer von 100 Machern der Prozessindustrie vertreten. Alle Beiträge des P&A-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen.

Der deutsche Mittelstand ist seit Jahrzehnten ein Erfolgsmodell. Kleinen und mittleren Unternehmen gelingt es immer wieder, mit innovativen Produkten und Lösungen neue Märkte und Branchen zu erschließen. Viele Unternehmen sind sogenannte Hidden Champions. Warum sollte das jetzt anders sein? Warum besteht Gefahr, dass „made in Germany“ kein schlagendes Verkaufsargument mehr sein könnte?

Die Antwort ist ganz einfach: weil die Ökonomie des 21. Jahrhunderts nicht mehr auf Produkten, sondern auf Software basiert. Einige der wertvollsten Unternehmen der Welt wie Amazon, Uber oder Airbnb stellen keine Produkte mehr her, und selbst Apple betreibt keine einzige Fabrik. Diesen Lernprozess hat mittlerweile auch die deutsche Autoindustrie durchlaufen müssen. Denn Elon Musk baut laut eigener Unternehmensvision keine Autos oder Raketen, sondern entwickelt Softwareplattformen rund um das Thema nachhaltige Energie.

Software mehr Gewicht verleihen

Dieses Umdenken stellt den produktgetriebenen Mittelstand häufig vor große Herausforderungen, da er einen kompletten Paradigmenwechsel darstellt. Bei Jumo reagieren wir auf diese Herausforderung unter anderem mit einer innovativen, modularen Hard- und Softwareplattform. Diese bildet zukünftig die einheitliche Basis aller Regler, Bildschirmschreiber oder unseres Automatisierungssystems; sie ist auch die Grundlage völlig neuer Geschäftsmodelle.

Viele Funktionen werden in Softwaremodulen realisiert, die auf unterschiedlichsten Plattformen laufen werden. Dem Thema Software verleihen wir darüber hinaus durch organisatorische und strukturelle Änderungen deutlich mehr Gewicht.

Mehr Tempo in der Entwicklung

Die zweite Herausforderung der neuen Ökonomie betrifft das Thema Geschwindigkeit. Markt- und Kundenanforderungen ändern sich in einem immer höheren Tempo. Dazu passen viele klassische Prozesse mittelständischer Unternehmen nicht mehr. Es ist deshalb unabdingbar, moderne Methoden wie Design Thinking oder Agile Development zu implementieren.

Jumo hat dies bereits angefasst: Wir haben alle bisherigen Entwicklungsprozesse auf den Prüfstand gestellt und optimiert und arbeiten mit Ansätzen wie dem Fail-fast-System, dem Technologie-Scouting oder einem Think Tank.

Mitarbeiter von der Panikzone fernhalten

Das dritte Thema fasse ich unter dem Begriff Orientierung zusammen. Denn bei all diesen massiven, aber notwendigen Anpassungsprozessen dürfen natürlich die Mitarbeiter nicht den Anschluss verlieren.

Für viele bedeutet Veränderung, gewohntes Terrain und die eigene Komfortzone zu verlassen. So etwas sorgt oft für Verunsicherung. Hier sehe ich ganz klar die Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen in der Pflicht. Sie müssen den Kompetenzrahmen (das „Dürfen“) und ein Umfeld schaffen, in dem ihre Mitarbeiter aktiv an Veränderungsprozessen mitwirken können und wollen. Nur so wird der Weg aus der Komfortzone auf das nächst höhere Level, die Entwicklungszone, geebnet. Gelingt dies nicht, landet der Mitarbeiter direkt in der Panikzone, die für Angriff- oder Fluchtreflexe sorgt.

Plattformdenken, Software-Funktionalitäten statt oder in Produkte(n), wesentlich höhere Reaktionsgeschwindigkeiten, New Leadership und Mitarbeiter, die diesen Wandel begleiten – das alles sind beileibe keine kleinen Aufgaben. Doch wenn sie gelöst werden, steht der nächsten Erfolgsstory des deutschen Mittelstands meiner Meinung nichts im Wege.

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