Entscheidend für die Nutzung von E-Maschinen in modernen Fahrzeugen ist deren Effizienz. Sie bestimmt über Leistungsfähigkeit und vor allem die erzielbare Reichweite mit einer Batterieladung. Beeinflusst wird die Effizienz unter anderem durch die Temperaturen im Inneren der Maschinen. Ist diese nicht genau bekannt, kann sie nicht ihre volle Leistung entfalten, da die Belastung zu ihrem Schutz bereits frühzeitig reduziert werden muss. Im schlimmsten Fall, falls die Temperatur unterschätzt wird, kann die Maschine sogar vorzeitig ausfallen oder gar Schaden nehmen. Um die Temperatur niedrig zu halten und somit eine möglichst hohe Dauerleistung zu gewährleisten, werden E-Maschinen gekühlt – mit Luft, Wasser oder Öl.
Doch wie viel Kühlung muss wo an der Maschine erfolgen und wie beschränkt man dabei das Systemgewicht auf das notwendige Maß? Wie erzielt man also die höchstmögliche Leistungsdichte? Antworten geben Temperaturmodelle, die aus Messungen gewonnen werden – oder aus Simulationen. SEG Automotive hat in Kooperation mit Newtwen einen digitalen Zwilling für die eigenen E-Maschinen entwickelt, der genau diese Fragen auf Simulationsbasis zu beantworten hilft.
Newtwen wurde 2020 in Italien als Spin-off der Universität Padua unter dem Namen Hexadrive Engineering gegründet und hat sich in der Automotive-Branche schnell zu einem führenden Anbieter für das Wärmemanagement von ePowertrain-Komponenten entwickelt. Das Unternehmen bietet fortschrittliche Softwarelösungen für Hersteller von Elektroantrieben und Automatisierung an, die schnell und automatisch virtuelle Wärmesensoren erzeugen können. Bislang war das Unternehmen jedoch nicht im Bereich der E-Maschine selbst aktiv, sondern erwarb sich Referenzen zum Beispiel beim Inverterschutz. Die Kooperation mit SEG Automotive ist also eine Win-Win-Situation: Wir können unsere Temperaturmodelle verbessern und Newtwen kann die virtuelle Thermosensorik auch auf E-Maschinen ausweiten und hier eine Referenz bilden.
Virtueller Thermischer Sensor als Lösung
Ein Virtueller Thermischer Sensor (VTS) ist eine Softwarelösung, die das granulare thermische Verhalten eines Bauteils in Echtzeit über alle Betriebsbedingungen und die gesamte Lebensdauer hinweg genau schätzt.
Bislang untersuchen wir das thermische Verhalten unserer Maschinen während der Entwicklung typischerweise mittels komplexer FEM/CFD. Simulationen sowie durch physische Messungen an der Maschine selbst. Diese Analysen benötigen jedoch mehrere Tage für die Berechnung. Außerdem umfassen die Messungen mehr Daten, als eigentlich benötigt. Wichtig für das Belastungsverhalten sind nämlich vor allem die Extrempunkte. Für den thermischen Schutz für unsere E-Antriebe werden daher Modelle benötigt, die live auf dem Mikrocontroller (µC) unserer Maschinen ausgeführt werden können, und die Temperatur ausschließlich für diese kritischen Punkte überwachen.
Dabei nutzt der Digitale Zwilling, VTS, zusätzlich künstliche Intelligenz (AI), die einen Plausibilitätscheck der Modellparameter gegenüber echten Messdaten durchführt und das Modell dadurch eigenständig optimiert. Einerseits identifiziert das Tool relevante Hotspots, damit der Schutz der Maschine auf den heißesten Punkt fokussiert werden kann. Andererseits reduzieren wir die Komplexität des Modells bei bestmöglichem Erhalt der Temperaturgenauigkeit im relevanten Hotspot.
Bessere Vorhersagen durch präziser Temperaturmodelle
Durch die gewonnenen Erkenntnisse können wir eine bessere Abschätzung über erreichbare Genauigkeiten für die Kundenakquise herleiten. Häufig fordern unsere Kunden dazu exakte Aussagen oder geben Werte vor. Unter Einsatz des Tools ließe sich so unser Risiko reduzieren, das bisher durch die Verwendung von Annahmen besteht. Weiterhin sind die Modelle für Kunden so interessant, dass es denkbar ist, diese als zusätzlichen Mehrwert anzubieten. Gerade, wenn wir nur die Maschine verkaufen und die Systemverantwortung somit beim Kunden liegt, wäre das ein zusätzlicher USP: Bestimmte Maschinen-Zustände ließen sich ohne zusätzliche Sensoren direkt über das integrierte Tool abbilden. Perspektivisch könnte die AI-Funktion sogar für Predictive Maintenance genutzt werden, also die vorausschauende Instandhaltung der Maschine. Nicht zuletzt lässt sich die Leistungsdichte unserer Maschinen über die gewonnenen Erkenntnisse verbessern.
Das Projektteam auf Seiten von SEG Automotive besteht aus einer Vielzahl von Experten in den Bereichen E-Maschine, System und Software, die eng mit den Newtwen-Experten für numerische Simulation und Optimierung von elektromagnetischen Systemen zusammenarbeiten. Während das Pilotprojekt zunächst in Europa umgesetzt wird, lassen sich die Erkenntnisse aber ebenso auf unsere weltweite Hochvolt-Entwicklung als Blaupause übertragen.
„Der digitale Zwilling hilft uns enorm in der Entwicklung von Temperaturmodellen! Im Vergleich zu den bisherigen Simulationsmethoden können wir schneller präzisere Werte erreichen. Das hilft uns, unsere E-Maschinen zu optimieren, was schließlich unseren Kunden nützt. Dabei schätzen wir die gute Zusammenarbeit mit Newtwen und freuen uns, dass wir im Gegenzug unseren Beitrag leisten können, den Virtual Thermal Sensor zu verbessern“, sagt Rüdiger Benz, Leiter Entwicklung bei SEG Automotive.