Ob bei der Versorgung mit Elektrizität, Wasser oder Lebensmitteln, beim Transport oder im Gesundheitswesen: Die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen entscheidet über die Verfügbarkeit von lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen. Seit einigen Jahren steigt die Gefahr von Cyberattacken, bei denen nicht nur Daten missbraucht, sondern ganze Systeme lahmgelegt werden. In einem dezentralen Energiesystem, das vor allem regenerative Quellen nutzt, können zudem der Ausfall einzelner Komponenten sowie die zeit- und witterungsbedingt schwankende Einspeisung die Versorgungssicherheit gefährden.
Wie sich Energiesysteme und andere kritische Infrastrukturen nachhaltig und zugleich widerstandsfähig gestalten lassen, erforscht die Arbeitsgruppe „Resiliente und Smarte Infrastruktursysteme – Resis“ unter Leitung von Dr. Sadeeb Simon Ottenburger und Wolfgang Raskob am Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit des KIT. Auf der Hannover Messe 2022 vom 30. Mai bis 2. Juni ist das Team in Halle 2, Stand B40 vertreten.
Umgang mit Unsicherheit
„Die bereits stattfindende Planung zukünftiger kritischer Infrastrukturen muss neue systemische Risiken und große Unsicherheiten systematisch berücksichtigen und insbesondere negative Auswirkungen einzelner oder mehrerer Ereignisse auf die Gesellschaft verstehen“, sagt Ottenburger. Bezogen auf die Energieversorgung bedeutet dies beispielsweise, dass mit der Energie- und Mobilitätswende das Stromnetz immer wichtiger wird. Dieses wiederum hängt von Informations- und Kommunikationsnetzen ab.
Wie sich die aus neuen Netzstrukturen entstehenden Gefahren sowie Randbedingungen, beispielsweise die Folgen der Erderwärmung, die Bevölkerungsstruktur oder die Nachfrage nach Strom, Wärme und Verkehr, in Zukunft entwickeln werden, lässt sich jedoch schwer vorhersagen. Die Forschenden um Ottenburger und Raskob untersuchen daher, wie robuste Lösungen unter großen Unsicherheiten aussehen können. Gearbeitet wird mit Simulationsmodellen, Künstlicher Intelligenz, Mathematik und Erkenntnissen aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Zentral ist dabei eine Plattform, die Belastungsszenarien unter verschiedenen Randbedingungen simuliert und erlaubt, Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Teilsystemen und damit systemischen Risiken zu analysieren.
Microgrids für lebenswichtige Einrichtungen
Um die Resilienz der Energieversorgung zu erhöhen, lassen sich beispielsweise Microgrids integrieren. Dabei handelt es sich um viele kleine intelligente Energiezellen, die nicht nur eine netzstabilisierende Funktion erfüllen, sondern auch vorübergehend autonom funktionieren. So lassen sich kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Apotheken und Feuerwehren auf verschiedene Microgrids verteilen. Standorte und Auslegung von Speicher- und Verteilinfrastrukturen sind mit entscheidend, um in kritischen Phasen eine autarke Versorgung zu gewährleisten. „Diese präventiven Designstrategien greifen bereits bei einem Brownout, also einem Spannungsabfall, beispielsweise aufgrund eines Strommangels auf der Übertragungsnetzebene, um einen Blackout zu verhindern“, erklärt Ottenburger.
Neben den technischen Faktoren binden die Forschenden um Ottenburger und Raskob zunehmend auch soziale Aspekte in ihre Resilienzforschung ein. Kritische Infrastrukturen sind auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen, präventive Strategien bedürfen der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wenn Ressourcen knapp werden, ist von Verbrauchern Flexibilität gefordert, beispielsweise während einer langanhaltenden europäischen Dunkelflaute, wenn weniger Strom aus regenerativen Quellen bereitgestellt werden kann, sich Energiespeicher leeren oder Ressourcen aufgrund von Cyberattacken nicht mehr verfügbar sind.