„Das Laden von Elektrofahrzeugen wird in Zukunft flächendeckend, kostengünstig, kinderleicht und clever vonstattengehen“, sagte der Chef von Mahle, Dr. Jörg Stratmann, bei der Einweihung des firmeneigenen Parkhauses mit 100 „chargeBIG“-Ladepunkten Mitte Juli dieses Jahres. Das intelligente Lademanagement lässt sich ohne langwierige Umbauten in die vorhandene Infrastruktur integrieren und folgt dem Ansatz: laden so schnell wie nötig. Dabei wird die vorhandene Netzanbindung optimal genutzt und die Leistung auf ladende Fahrzeuge verteilt. „ChargeBIG trägt dazu bei, ein Hemmnis für Elektromobilität zu verringern, indem eine flächendeckende und einfach zu bedienende Ladeinfrastruktur geschaffen wird“, sagt Nicole Heinrich, zuständig für Vertrieb und Marketing der Ladelösung beim Corporate Startup des Automobilzulieferers.
Der Zentralisierungsansatz bietet eine Lösung für die Skalierung von entsprechender Infrastruktur bei mehr als 20 Ladepunkten an einem Standort. Das Stuttgarter Unternehmen adressiert damit verschiedene Trends, die man im Umfeld der E-Mobilität schon heute im kleineren Maßstab beobachtet: Die Masse der geladenen Fahrzeuge braucht keine Schnellladung, sondern steht acht Stunden oder länger beim Arbeitgeber, im Parkhaus oder auf einem Flottenparkplatz. Für den Pendlerverkehr gilt es, in der Regel nur geringe Batteriekapazitäten wieder aufzuladen. „Einphasige Ladeleistungen von „chargeBIG“ reichen bei langen Standzeiten aus, um Elektrofahrzeuge oder auch Plug-In-Hybride während des Tages oder während der Nacht vollzuladen“, berichtet Heinrich.
Kabel mit Steckern anstatt Ladesäulen
Das Ladesystem besteht aus einer zentralen Steuereinheit inklusive fest angeschlagenen Kabeln mit Steckern anstelle von Ladesäulen am Parkplatz. Durch das intelligente Ladesystem und den Design-to-cost-Ansatz sind Mahle zufolge keine Investitionen in die Erweiterung der Netzanbindung erforderlich, wie etwa die Anschaffung eines Transformators. Auch die übrigen Investitionskosten für die Ladehardware und das Lastmanagement sind geringgehalten. So ist etwa die Unterverteilung, die bei alternativen Lösungen mit Wallboxen notwendig wird, bereits in die Bilanzhülle inkludiert.
Design-to-cost meint dabei auch, dass nur solche Komponenten verbaut werden, die für die Anforderung des jeweiligen Kunden und für die Funktionalität des Systems notwendig sind. Heinrich erläutert dies an einem Beispiel: „Bei der Stecker-Halterung haben wir in der Auslegung darauf geachtet, dass es zu wenig Verschleiß und Schäden kommen kann.“ Der eigenentwickelte Ladecontroller ist auf die Skalierung ausgelegt und kann sechs Ladepunkte gleichzeitig steuern.
Nach Angabe der Vertriebsmitarbeiterin ist der Invest ab 18 Ladepunkten niedriger als für eine konventionelle Wallbox-Lösung. Zudem sei die Wartung durch die zentrale Anordnung der Komponenten kostengünstiger. Und: Kosten für die Anbindung an einen Backend-Server entstünden nur einmalig für eine zentrale Einheit und nicht für jeden einzelnen Ladepunkt.
Verteilung der Ladeleistung verhindert Schieflasten
Über ein dynamisches, phasenindividuelles Lastmanagement wird die verfügbare Ladeleistung durch eine zentrale Steuereinheit auf die parkenden Fahrzeuge verteilt. So werden Schieflasten im Stromnetz vermieden. Heinrich erläutert, dass die Steuerung des Ladesystems dazu beiträgt, Spitzenlasten zu vermeiden und Kosten einzusparen: „Elektrofahrzeuge werden als regelbare Last genutzt, während andere Verbraucher wie die Klimaanlage eines Gebäudes, die am gleichen Netzanschlusspunkt angeschlossen sind, priorisiert sind.“ Für das Pilotprojekt im eigenen Parkhaus wurde anstatt des Ausbaus des Stromanschlusses lediglich die externe Verkabelung zwischen Ladeschrank und Ladepunkte realisiert sowie eine Zuleitung zum Ladeschrank gelegt sowie ein Lasttrennschalter und ein Messzähler in die Hauptverteilung der Niederspannung eingebaut.
Intelligentes Bezahlsystem
Im Bereich Abrechnung arbeiten die Stuttgarter derzeit an der zweiten Gerätegeneration, die ein intelligentes Bezahlsystem beinhaltet. Eine Freischaltung und Authentifizierung wird dabei per App und QR-Code erfolgen, die Abrechnung ad-hoc mit Kreditkarte. Für die Abwicklung der Bezahlung in Firmen soll es langfristig die Möglichkeit geben, über Nutzergruppen abzurechnen und Kosten auf Kostenstellen zuzuweisen. „Transparenz und Einsehbarkeit der geladenen Energie sind sehr wichtig“, sagte Heinrich. Deshalb werde das neue Abrechnungssystem dem Nutzer auch den Zählerfortschritt in kWh über die Smartphone-App oder Browser anzeigen.
Laden stets mit Mindestleitung
Grundsätzlich ist der erreichte Ladezustand abhängig von der Ladezeit, vom Netzanschluss und der Menge der zu ladenden Fahrzeuge, die am Ladeschrank angeschlossen sind, sowie vom Fahrzeug und der Leistung des darin verbauten Ladegeräts. Die Vertriebs- und Marketingexpertin erläutert die Umsetzung bei „chargeBIG“ so: „Fahrzeuge werden immer mit einer Mindestleistung geladen, es sei denn der Kunde wünscht, dass Fahrzeuge im Notfall vom Netz getrennt werden.“ In der Regel würden die Fahrzeuge mit mindestens 10A (2,3kW) geladen, allerdings sei auch dieser Wert beliebig parametrisierbar.
In der Standardeinstellung arbeitet das System nach dem Prinzip „First come, first serve“. Es gibt jedoch die Möglichkeit einzelne Ladepunkte zu priorisieren. Derzeit erfolgt die Priorisierung für fest definierte Parkplätze. Die Funktionalität des Eco- und Premium-Ladens mit entsprechend unterschiedlichen Tarifen befindet sich derzeit in Entwicklung.
E-Ladung für Zoobesucher
Die Infrastruktur steht allen Mahle-Mitarbeitern des Stuttgarter Standorts zur Verfügung, die für das Parkhaus eine Parkberechtigung haben. Ebenso können Besucher des Unternehmens und am Wochenende auch Besucher des Stuttgarter Zoos (Wilhelma) Strom „tanken“. Die ersten Wochen verliefen problemlos, berichtet Heinrich: „Das System hat sich sehr gut behauptet.“ Die Erprobung habe vor allem gezeigt, dass verschiedene Fahrzeugmodelle unterschiedlich auf die Ladevorgaben reagieren.
Diese Erkenntnisse sowie das Nutzerverhalten und Feedback von Mitarbeitern und der ersten Kunden fließen in die weitere Optimierung des Produkts ein. Die Reaktionen aus dem Markt sind „durchweg positiv“. So gebe es eine Vielzahl, sogar über Deutschland hinausgehende, Anfragen. Dabei profitiert man von einem günstigen Umfeld. „Viele große Unternehmen elektrifizieren die Flotte und schreiben derzeit den Aufbau von Ladeinfrastruktur aus“, weiß die Vertriebs- und Marketingexpertin.
Laden am Arbeitsplatz
Dabei prognostiziert sie, dass die heute schon große Bedeutung des Ladens am Arbeitsplatz zukünftig noch weiter steigt. In anderen Regionen, wie dem Silicon Valley in den USA, gehöre dies schon unter die Top-3-Themen bei der Arbeitgeberwahl. Hinzu kommt der Aspekt, dass das Zuhause-Laden aufgrund von Mietverhältnissen oder dem Laternenparken häufig gar nicht möglich ist. Dies zwingt viele Arbeitnehmer beim Arbeitgeber zu laden. Und auch der Einsatz erneuerbarer Energien ist begünstigt: Während beim Heimladen und dem Einsatz von Solarenergie in der Regel ein Pufferspeicher notwendig ist, wenn das Fahrzeug tagsüber nicht zuhause steht, lässt sich die Kraft der Sonne beim Arbeitgeber direkt nutzen. „Die Branche steckt mitten in einem Transformationsprozess. Es lohnt sich, sich mit dem Thema Ladeinfrastruktur zu beschäftigen“, antwortet Heinrich auf die Frage der Rolle von Automobilzulieferern in diesem neuen Geschäftsfeld. Unter anderem ist derzeit auch ein induktiven Ladesystem für kabelloses Laden mit 11 kW in der Entwicklung. „Generell ist für uns im Kontext der E-Mobilität besonders das Thermomanagement spannend, da liegt eine unserer Kernkompetenzen“, betont die Mahle-Mitarbeiterin. Zudem sei man sehr aktiv beim Thema Hybridtechnologien.