Im Zuge zweier Studien hat das Institut für Technische Thermodynamik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit dem Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart untersucht, in welchem Maß die Versorgungssicherheit mit Strom in den kommenden Jahren gewährleistet werden kann. Die Wissenschaftler analysierten dabei die Entwicklung in Süd- und Gesamtdeutschland sowie den europäischen Nachbarländern. In Auftrag gegeben hat die Studien das baden-württembergische Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Die Studien zeichnen sich durch die zeitlich und räumlich hoch aufgelöste Simulation der Stromversorgung sowie die Analyse des Einflusses der zeitlich variierenden Faktoren des Strombedarfs, der Kraftwerksverfügbarkeit und der Wind- und Solarstromerzeugung aus.
Der Begriff Versorgungssicherheit beschreibt die Möglichkeit, auftretende Stromnachfrage zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu decken. Süddeutschland umfasst die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern sowie das südliche Hessen und Rheinland-Pfalz. „Für unsere Studien haben wir mit zwei Szenarien gearbeitet, die auf unterschiedlichen Annahmen beruhen", sagt DLR-Forscher Hans Christian Gils. „Im pessimistischen Szenario gehen wir davon aus, dass sich der Umbau unseres Energiesystems verzögert, Netzausbau und Maßnahmen zum Lastmanagement nicht realisiert werden. Fossile Kraftwerke gehen aus wirtschaftlichen Gründen vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer vom Netz, die Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien ist wegen schlechten Wetters unterdurchschnittlich, während die Nachfrage konstant hoch bleibt. Beim optimistischen Szenario gehen wir entsprechend von den gegensätzlichen Annahmen aus." Der Neubau von Kraftwerken wird über den aktuellen Bestand und sich bereits im Bau befindliche Anlagen hinaus nicht in Betracht gezogen.
Pessimistisches Szenario: Versorgungslücken ab 2018
Infolge des zügigen Rückgangs der Kraftwerkskapazitäten kann es im pessimistischen Szenario in Süddeutschland bereits 2018 zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen. „Der Netzausbau kann diese Versorgungslücken verringern. Darüber hinaus halten wir aber weitere Maßnahmen für notwendig: zum Beispiel das Vorhalten von Reservekraftwerken, den Einsatz von Energiespeichern und Regelungen zum Lastmanagement", so Gils. Für das Jahr 2020 errechnen die Wissenschaftler eine Wahrscheinlichkeit des Lastausgleichs von circa 97 Prozent. Durch die heute vorgesehenen Reservekapazitäten sei die Versorgungssicherheit mit großer Wahrscheinlichkeit auch mittelfristig gewährleistet. Kommen allerdings keine neuen, regulären Kapazitäten in den Markt, könne das Bereithalten dieser Reserven zu hohen und gleichzeitig unumgänglichen Kosten führen.
Lücken im optimistischen Szenario später erwartet
Im optimistischen Szenario treten erst ab dem Jahr 2022 Versorgungslücken auf, die nicht durch den Stromaustausch innerhalb Europas gedeckt werden können. Für das Jahr 2025 rechnen die Energiesystemanalytiker mit einer maximalen Leistungslücke von knapp drei Gigawatt. Ein Gigawatt entspricht ungefähr der Leistung eines typischen Kernkraftwerks. Die Wahrscheinlichkeit des Lastausgleichs liegt hier bei mindestens 99 Prozent in Norddeutschland und 99,7 Prozent in Süddeutschland. Selbst unter diesen optimistischen Annahmen liegen die Werte teilweise unter den in anderen Ländern geforderten Minimalwerten. Beispielsweise verlangen Frankreich und Großbritannien eine Wahrscheinlichkeit der Lastdeckung von 99,97 Prozent.
Ausbau der schwankenden Erneuerbaren allein genügt nicht
Bilanzierend reicht für die Autoren der Ausbau der schwankenden erneuerbaren Energien allein nicht aus, um die Sicherheit der Stromversorgung in den kommenden Jahrzehnten zu gewährleisten. Je nach Geschwindigkeit des Rückgangs von fossilen Kraftwerkskapazitäten muss dieser Ausbau ab 2018, jedoch spätestens bis 2022 verstärkt mit Maßnahmen zum Lastausgleich begleitet werden. Beispiele dafür sind der weitere Ausbau des Stromnetzes, Regelungen zum Lastmanagement oder der Einsatz von Energiespeichern, regelbaren erneuerbaren Energien oder neuen flexiblen konventionellen Kraftwerken. „Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, die dafür benötigen Technologien weiter zu entwickeln und herauszufinden, wie sie am besten eingesetzt werden können, um Lücken in der Versorgung zu vermeiden", so DLR-Forscher Gils.