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Vom Hype zur Hilfe Machine Learning in der Energiewirtschaft

Selbstlernende Systeme könnten ein Mittel sein, neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Bild: iStock, Besjunior
03.05.2019

Der Einsatz selbstlernender Systeme und die Nutzung von Massendaten werden für die größte Umwälzung in der IT seit Einführung der Client-Server-Architektur sorgen. Doch viele Energievertriebe und Netzbetreiber stehen noch vor der Frage: Was sind die ersten Schritte?

Hiobsbotschaft oder Heilsversprechen – geht es um selbstlernende Systeme und Big Data, sind die Standpunkte oft extrem. „Noch prägen häufig Ängste und Unwissenheit die Diskussionen zur Zukunft in der IT“, hebt Klaus Nitschke hervor. Der Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Cortility weiter: „Um auf den richtigen Weg zu kommen, sei es jedoch wichtig, sich frühzeitig mit den Möglichkeiten auseinander zu setzen und die Mitarbeiter im Unternehmen mit auf den Weg zu nehmen.“

Hierbei sei entscheidend, nicht einem Hype zu folgen und die Stereotype wiederzukäuen, sondern sich konkret damit auseinander zu setzen, wie selbstlernende Systeme wirtschaftlich sinnvoll in die Unternehmensstrategie eingebunden werden können. „Im besten Fall führen diese Überlegungen sogar dazu, neue Geschäftsfelder zu erschließen“, blickt der Chef des SAP-Partners aus Ettlingen voraus. „Während bei Marketing und Vertrieb bereits Ideen umgesetzt werden, sind die Netzbetreiber noch sehr zurückhaltend“, stellt er fest.

Status quo als erster Schritt

Für Nitschke ist klar, dass die Regulierung und die dadurch erforderlichen Effizienzverbesserungen in den nächsten Jahren auch bei Netzbetreibern den Blick auf die Möglichkeiten der IT lenken werden. „Bisher liegt der Schwerpunkt unserer Automatisierungs-Projekte beim Energievertrieb – Wechselprozesse, Online-Portale, Customer-Self-Service sind hierfür Beispiele.“ Oft seien dabei neue Geschäftsmodelle der Treiber.

Bei Netzbetreibern sieht er dagegen als ersten Schritt, die bestehenden Prozesse zu durchleuchten. „Wo fallen Big Data an? Wo gibt es wiederkehrende Routinetätigkeiten? Dies sind für mich klassische Ansatzpunkte, den Einsatz selbstlernender Systeme zu prüfen“, erklärt er. Und das Ziel sei nicht, jetzt auch ein „KI-Projekt“ zu haben, sondern finanzielle Vorteile zu generieren. Als schon heute funktionierende Beispiele nennt er den Kundenkontakt mit Chatbots oder in der Buchhaltung Routinebelege automatisiert von Maschinen bearbeiten zu lassen. Selbst in der IT-Administration gäbe es Potenziale für mehr Effizienz.

Vom Aufwand überrascht

Um im Unternehmen den Blick auf die wesentlichen Aufgaben zu lenken, empfiehlt der Cortility-Chef statt des Buzzwords „Künstliche Intelligenz“ (KI) lieber von selbstlernenden Systemen und Machine Learning zu sprechen. „Einerseits benötigen wir eine Vielzahl von Daten, mit denen wir die Systeme anlernen können. Und andererseits benötigen wir Personalkapazitäten, um die Systeme auszuprägen und das Lernen zu begleiten“, erklärt Nitschke. So seien viele Unternehmen, die erstmals Chatbots einführen, von dem Aufwand zu Beginn überrascht.

Am Anfang ist das textbasierte Dialogsystem – egal ob es für die schriftliche Kommunikation oder über Sprache funktioniert – noch nicht in der Lage, Anfragen zu beantworten. Bevor es im Kundenkontakt eingesetzt werden kann, muss es trainiert werden. Und zwar nicht im Stil von FAQ-Listen wie sie von Internetseiten bekannt sind: Da die Systeme keine Intelligenz haben, müssen sie mit einer Vielzahl von Frage- und Antwort-Varianten gefüttert werden – hierfür ist Manpower beim EVU oder seinem Beratungshaus erforderlich. Und im Einsatz sind die Ergebnisse immer wieder zu kontrollieren und weiter zu trainieren. „Entsprechend funktioniert es bei der Bearbeitung von Routinebelegen in der Buchhaltung“, sagt Nitschke.

Einsatz von selbstlernenden Systemen

Dies zeigt: Es ist immer zu überlegen, ob sich für den jeweiligen Prozess der Startaufwand lohnt. Beispielsweise hat Cortility für Netzbetreiber einen GC-Prozess auf Basis der SAP-Common-Layer-Technologie entwickelt, um einen reibungslosen und automatisierten Prozess bei der Insolvenz eines Lieferanten zu ermöglichen. Diese Lösung mit Machine Learning zu verbinden, ist zwar grundsätzlich möglich, jedoch ist es derzeit wirtschaftlicher, die eventuell notwendigen intelligenten Entscheidungen innerhalb des Prozesses durch Menschen fällen zu lassen.

Prozesse zu identifizieren, die sinnvoll mit selbstlernenden Systemen abgedeckt werden können, ist eine aktuelle strategische Aufgabe für EVU. Die andere betrifft die Hardware: Wann führe ich welches System in welcher Reihenfolge ein? Engines für selbstlernende Systeme sind zum Beispiel in der Leonardo Suite von SAP enthalten. Diese steht mit dem Umstieg auf SAP S/4 HANA zur Verfügung. Hierbei ist zu klären, ob man zum Beispiel zunächst ein neues SAP S/4 HANA aufsetzt, um dann die Engine nutzen zu können. Oder ob man wartet, bis man mit dem ERP-System sowieso auf SAP S/4 HANA umgezogen ist und dann erst die selbstlernenden Systeme ausprägt. Auch bieten die HANA-Datenbank von SAP sowie die SAP Cloud Platform Services und API, die für Machine Learning und Drittangebote aus der Cloud genutzt werden können.

Die Frage des sinnvollen Vorgehens ist jedoch sehr komplex und kann nur individuell beantwortet werden. Und auch hier gilt: Es ist kaum sinnvoll, ein neues System aufzubauen, wenn keine Mitarbeiterkapazitäten vorhanden sind, um die selbstlernenden Systeme ausprägen zu können. Zusätzlich sei bei Netzbetreibern neben der Wirtschaftlichkeit natürlich auch immer die durch den Regulierungsrahmen beeinflusste Anerkennung von Investitionskosten zu berücksichtigen.

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