Teamwork zwischen Mensch und Roboter Mehrroboter-Lösungen für mittelständische Unternehmen

Die REAL-M zeigt, welche Möglichkeiten in Mehrroboter-Lösungen für mittelständische Unternehmen stecken. Das Schlüsselwort heißt Team: Die in einer Zelle gruppierten Roboter sollen künftig mit dem Menschen und direkt miteinander kooperieren, statt nur über feste Übergabestationen indirekt verknüpft zu sein.

Bild: publish-industry, DALL·E
26.09.2024

Das REAL-M, ein Labor für Robotikanwendungen in der Matrixproduktion, wurde am 25. September in der Chemnitzer Forschungsfabrik des Fraunhofer IWU eröffnet und bildet eine vollständige Fertigungszelle ab. Hier arbeiten mehrere Roboter kooperativ mit Menschen und untereinander, ohne auf feste Übergabestationen angewiesen zu sein. Gesteuert wird das System durch eine Kombination aus speicherprogrammierbarer Steuerung und einem Leitrechner, der für Sicherheit sorgt und mit produktionsnahen Hochleistungsrechnern in Echtzeit kommuniziert.

Das Robotics Engineering Application Lab for Matrixproduction oder kurz REAL-M wurde am 25. September Realität. Aufgebaut in der Chemnitzer Forschungsfabrik des Fraunhofer IWU, bildet die neue Infrastruktur die vollständige Fertigungszelle einer Matrixproduktion ab. Die REAL-M zeigt, welche Möglichkeiten in Mehrroboter-Lösungen für mittelständische Unternehmen stecken. Das Schlüsselwort heißt Team: Die in einer Zelle gruppierten Roboter sollen künftig mit dem Menschen und direkt miteinander kooperieren, statt nur über feste Übergabestationen indirekt verknüpft zu sein.

Robotics Engineering: den Gesamtprozess der Robotik-Lösung im Blick

Oft steckt der Teufel bei Automatisierungslösungen im Detail: Aspekte des Maschinenbaus (physische Struktur und Mechanik von Robotern mit ihren Gelenken, Aktuatoren und Sensoren), der Elektrotechnik (elektrische Systeme einschließlich Stromversorgung, Steuerung und Motoren) und des Computerengineerings (Steuerung, Algorithmen, Entscheidungsfindung) müssen für den gewünschten Anwendungsfall durchdacht werden. Die REAL-M bildet alle diese Faktoren ab und ist flexibel genug, in Aktion auch mehrere unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.

Auf der Roboterebene legt eine Steuerung fest, welche Bewegungen die einzelnen Roboter ausführen dürfen, auch im Zusammenspiel miteinander. Übergeordnet agieren eine speicherprogrammierbare Steuerung sowie ein Leitrechner. Dieser sorgt für die Sicherheit der gesamten Zelle und bildet die Schnittstelle zu Edge-Devices, kommuniziert also mit produktionsnahen Hochleistungsrechnern, die sehr nahe an der Wirkstelle Messdaten von Sensoren in Echtzeit verarbeiten können.

Digitaler Zwilling einer Mehrroboterzelle

Bei der REAL-M gibt es ein digitales, dreidimensionales Abbild nicht nur von einzelnen Komponenten, sondern auch von der gesamten Zelle. Konkret kommt ein Modell zur Virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) zum Einsatz, welches als Software-in-the-Loop (SiL) oder Hardware-in-the-Loop (HiL) mit der Anlagensteuerung verbunden werden kann. Beide Methoden ermöglichen es, die Funktionsweise der Zelle am Simulationsmodell zu testen, ohne die realen Roboter in Bewegung zu versetzen. HiL bedeutet dabei die Anbindung des VIBN-Modells an die tatsächliche Steuerungshardware im Schaltschrank, während bei SiL eine Emulation (originalgetreue Kopie) des Steuerungssystems verwendet wird. So können auch während des Betriebs der realen Zelle Steuerungslösungen für andere Anwendungsfälle mit direkt übertragbarem Steuerungscode am realitätsnahen VIBN-Modell entwickelt, getestet und verbessert werden.

Dies ist gerade bei einer so vielseitigen Roboterzelle sinnvoll, da die nächsten Aufgaben sehr realitätsnah vorab und am Schreibtisch getestet werden können. Die virtuelle Inbetriebnahme steigert die Effizienz beim Arbeiten erheblich: Dank der Steuerungsanbindung des Simulationsmodells besteht kein Unterschied zwischen der Bedienung von Simulation und realer Anlage.

Zu 100 Prozent zuverlässige Simulationen für kürzere Time-to-Manufacturing

Die REAL-M ist für die Simulation mit aktuell vier interagierenden Robotern nach Robotics-Engineering-Maßstäben vorbereitet. Die Reife eines Produktionskonzepts und seiner Prozesse erreicht damit bereits vor der Inbetriebnahme eine völlig neue Qualität und Verlässlichkeit, auch und gerade bei komplexen Fertigungssystemen, in die mehrere Roboter eingebunden sind. Anspruchsvolle, schnell wechselnde Fertigungsaufgaben lassen sich zügig bearbeiten, die Zeitspanne vom Auftrag bis zur Produzierbarkeit (Time-to-Manufacturing) verkürzt sich erheblich. Interessierte Firmen können in Chemnitz testen, ob ihr Produktionskonzept wie geplant funktioniert. Das Fraunhofer IWU wird seine Softwarelösung für Kunden nutzbar machen und Beratungsleistungen dazu anbieten beziehungsweise Interessenten die Herangehensweise und Wirtschaftlichkeit des Digitalen Zwillings an der REAL-M demonstrieren – damit für Unternehmen der Übergang vom digitalen Abbild zur reale Produktion noch schneller und mit weniger Feedbackschleifen gelingt.

Die REAL-M bedeutet insbesondere einen großen Fortschritt bei der weiteren Annäherung von Simulation und Realität. Faktoren wie die Größe beziehungsweise Traglast und Reichweite der eingebundenen Roboter, deren Genauigkeit, Kinematik, die Steuerung der Antriebe, die Umgebungstemperatur, Materialeigenschaften oder Ungenauigkeiten im Produkt exakt abzubilden, bleibt eine Herausforderung – die sich nun besser beherrschen lässt. Steuerungstechniker und Konstrukteure können sich ab sofort noch näher an die Grenzen eines Digitalen Zwillings und von Simulationsergebnissen herantasten.

Beispielszenario eines Fertigungsprozesses

Das initiale Referenzszenario der REAL-M beschreibt einen Gesamtablauf, in dem ein fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) eine Bearbeitungsmaschine zur Fertigungszelle transportiert, nach Anmeldung von der Zelle eingelassen wird und schließlich zentimetergenau parkt. Einer der Roboter ermittelt sensorisch den präzisen Standort der Maschine, dockt diese an und transportiert sie zu ihrem Arbeitsort – einem Umformwerkzeug mittlerer Größe. Ein Mitarbeiter verbindet die Kabel zur Stromversorgung der Maschine, quittiert diesen Vorgang und verlässt die Zelle. Nach Abschluss des Bearbeitungsprozesses, bei dem eine nachträgliche Bohrung in das Werkzeug eingebracht wurde, betritt der Mitarbeiter die Zelle erneut, trennt die Stromversorgung der Maschine und verlässt die Zelle. Damit ist der Weg frei für das FTF, die Bearbeitungsmaschine nach dem Abdocken vom Roboter aus der Zelle abzuholen und zu ihrem Lagerplatz zurückzubringen. In einem parallel ablaufenden, zweiten Bearbeitungsprozess erhält ein Blech durch Roboterrollformen seine neue Gestalt. Dieser Prozess läuft vollautomatisch ab.

Matrixproduktion

Die Matrixproduktion ist einer der Forschungsschwerpunkte des Fraunhofer IWU an seinen Standorten Dresden und Chemnitz. Mit der REAL-M geht in Chemnitz nun eine Fertigungszelle als Kernelement einer Matrixproduktion in Betrieb. Wesentliche Merkmale eines solchen Produktionssystems sind auslastungsoptimierte, flexibel angeordnete Fertigungsmodule oder Zellen, die durch fahrerlose Transportsysteme bestückt werden und eine Vielzahl von Produkten fertigen können. Die einzelnen Fertigungsinseln beherrschen dabei alle relevanten Produktionsprinzipien, sind miteinander vernetzt und ermöglichen einen Durchlauf des Bauteils in der Reihenfolge, die für das Bauteil am sinnvollsten ist – für den perfekten Fertigstellungszeitpunkt.

Jede Matrixzelle muss sich auf das Produkt einstellen und bereitet sich auf ihre Fertigungsschritte vor: Welche Teile werden benötigt? Welche vorgelagerten Prozessschritte sind erforderlich? Bei einem Fügeprozess muss beispielsweise die Spannvorrichtung präpariert oder nach dem Fertigungsschritt der Weitertransport des Teils disponiert werden. Dabei gilt es, den Menschen entsprechend seinen Stärken in automatisierte Prozesse einzubinden – insbesondere auch dort, wo ein Verzicht auf menschliche Arbeit weder sinnvoll noch wünschenswert wäre. Die Chemnitzer Forschungszelle definiert dazu ein Sicherheitskonzept mit mehreren Belegungsvarianten, die Gefährdungen durch Roboter ausschließen. In einem weiteren Ausbauschritt wird die REAL-M mit Hilfe der am Institut entwickelten, situationsabhängigen und damit dynamischen Sicherheitsbereiche noch mehr Flexibilität im Zusammenspiel von Mensch und Robotik erlauben. Die REAL-M steht für anwendungsnahe Forschung, die sich an den Bedürfnissen einer hochflexiblen Produktion orientiert und neueste Erkenntnisse in praktikable Lösungen übersetzt.

Beispielgebend: nachhaltiger Einsatz von Hardware (Re-Use)

Etwa die Hälfte der Roboter-Hardware und Greiftechnik in der REAL-M stammt aus einer früheren, am Fraunhofer IWU installierten Karosseriebauanlage und konnte weiterverwendet werden: Die Forschenden verhalfen vorhandener Technik per Software-Update und dank einer neuen Steuerungsarchitektur zu den gewünschten neuen Fähigkeiten.

Bildergalerie

  • Automatisierung für kleine Stückzahlen und individuelle Produkte: damit der Mittelstand Wachstumschancen besser nutzen kann.

    Automatisierung für kleine Stückzahlen und individuelle Produkte: damit der Mittelstand Wachstumschancen besser nutzen kann.

    Bild: Fraunhofer IWU

  • Digitaler Zwilling der REAL-M: Im Beispielszenario sind Zerspanungs- und Umformprozesse umgesetzt, einschließlich der dazugehörigen Logistik.

    Digitaler Zwilling der REAL-M: Im Beispielszenario sind Zerspanungs- und Umformprozesse umgesetzt, einschließlich der dazugehörigen Logistik.

    Bild: Fraunhofer IWU

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