Am 1. Oktober muss die Lösung bei den Verteilnetzbetreibern (VNB) stehen. Wie liegen die VNB nach Ihrer Beobachtung hier im Zeitplan?
Einige sind erst jetzt gestartet. Viele andere, wie auch die Thüga und die Thüga Energienetze, haben bereits im April 2019 das Projekt zur Umsetzung begonnen. Der allgemeine RD-2.0- Zeitplan ist sportlich, aber er ist zu halten, wenn man sich zeitnah für einen Hersteller entscheidet, Anfang Mai vergeben hat und somit demnächst mit der Umsetzung und Datenaufbereitung starten kann. Das Thema ist komplex und erfordert ein gewisses Maß an Digitalisierung. Ein Überblick über eine Vielzahl von Bereichen beim VNB ist nötig. Wir als Thüga-Gruppe sehen vor allem, dass die Herausforderung für kleinere VNB mit Blick auf die Zeitvorgabe größer ist: Der Start des Gesamtprozesses ist der 1. Oktober, der Stammdatenaustausch startet bereits am 1. Juli 2021. Wir sehen jedoch auch Herausforderungen für die Umsetzung bei den Anlagenbetreibern (AB) und den Softwareherstellern, die die Produktlösungen derzeit aktiv entwickeln.
Sie hatten es ja bereits angesprochen: Für den Redispatch 2.0 sind komplexe Prozesse zu implementieren und verschiedene Softwarelösungen zu kombinieren. Wie umfangreich ist die Aufgabe tatsächlich?
Das kommt darauf an, welche bisherigen VNB-Softwaresysteme weiterhin genutzt, integriert und upgedated werden sollen. Ebenso welchen Umfang die neue RD-2.0-Software-Lösung abdecken soll. Je nachdem, welche Kombination man wählt, und je mehr bisherige Prozesse und Systeme bestehen bleiben sollen, desto größer ist die Aufgabe. Das hängt von den notwendigen Schnittstellen und den abteilungsübergreifenden zukünftigen Arbeitsprozessen ab. Hilfreich ist eine Software, die möglichst vollautomatisiert die Prozesse umsetzt und wenig Eingriffe durch das Personal erfordert. Es ist zudem zu prüfen, in welchem Umfang RD-2.0-Fachexperten für den Betrieb der Systeme oder der Systemmandanten nötig sind.
Was sind die größten Herausforderungen für einen VNB bei der Bewältigung dieser Aufgabe?
Sich angesichts des Zeitfaktors intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen, sowie die komplexen Vorgaben – für die noch einige Definitionen ausstehen – auf die individuelle Umsetzung herunter zu brechen. Es handelt sich um eine gesamtheitliche Umsetzung. Die meisten Softwarehersteller entwickeln das RD-2.0-Softwareystem für die VNB, damit begibt man sich in eine gewisse Abhängigkeit zu diesem Produkt. Für die Thüga-Gruppe versuchen wir, Fragen zur Umsetzung zu bündeln, den Partnerunternehmen der Thüga die wichtigsten Informationen zur Verfügung zu stellen und frühzeitig auf Herausforderungen aufmerksam zu machen.
Jeder VNB hat andere Bedingungen, etwa in punkto Netzstruktur oder der Einspeise-Situation bei erneuerbaren Energien. Wie groß sind die Unterschiede tatsächlich?
Die Einspeisesituation ist nicht unbedingt der Knackpunkt – schließlich hat jeder VNB Einspeiser –, sondern die Frage, ob es Engpässe im eigenen Netz gibt. Die Netzstruktur hat zwar einen Einfluss auf die Einspeisesituation, wichtiger ist aber der zukünftige Schaltzustand in Verbindung mit der Prognose der Last- und Einspeisesituation – insbesondere dann, wenn es mehrere Übergabepunkte zu vorgelagerten Netzbetreibern gibt. Wenn es zudem mehrere vorgelagerte Netzbetreiber sind, wird die Abstimmung und der Informationsaustausch vor allem bei Umschaltungen im Netz komplex.
Inwieweit sind in diesem heterogenen Umfeld standardisierte Lösungen überhaupt möglich?
Standard sind alle RD-2.0-Prozesse, die insgesamt abgebildet werden müssen, etwa Einspeise- und Lastprognosen, Abrechnung oder Bilanzierung, um einige davon zu nennen. Dazu zählen auch die zur Verfügung zu stellenden Daten der AB und VNB, teilweise sind auch die Schnittstellenformate zu nachgelagerten Systemen standardisiert. Die Befüllung des Systems ist jedoch kein Standard: Wo kommen die Daten her? Wo liegen sie? Wie müssen sie aufbereitet sein? Es gibt mehrere Anbieter auf dem Markt, die unterschiedlich ausgeprägte Lösungen anbieten. Die Hersteller verkaufen natürlich möglichst standardisierte Produkte, jedoch mit verschiedenen Wahlmöglichkeiten. Die Einbindung der VNB-eigenen Bestandssoftware, die Abdeckung von RD-2.0-Prozessen außerhalb des neuen Softwaresystems und die Entscheidung für ein On-Premise- oder Software-as-a-Service-Produkt führen zu individuellen Lösungen.
Sie haben mittlerweile nach der Konzeptionsphase die zweite Phase des Projekts abgeschlossen. Am Ende stand die Entscheidung hinsichtlich der eingesetzten Software. Auf welche Lösung ist die Wahl gefallen?
Wir haben uns für Venios und Thüga SmartService (TSG) entschieden. Venios ist für mehrere Prozesse zuständig, wie die Datenaufbereitung, die Schnittstelle zum Dataprovider connect+ oder die Anlagenvorabauswahl. TSG entwickelt Bestandssysteme für die Redispatch-Funktionalitäten bei Abrechnung und Bilanzierung weiter und integriert neue Berechnungsmechanismen für die Ausfallarbeit.
Wie viele VNB sind denn im Thüga-Umsetzungsprojekt beteiligt?
Direkt beteiligt ist nur die Thüga Energienetze, kurz THEN. In der Thüga-Gruppe gibt es 64 Partnerunternehmen, die von unseren Projekterfahrungen mit der THEN profitieren können. Die THEN bindet zudem Partnerunternehmen der Thüga-Gruppe als Mandanten an das System an, so dass es rund ein Dutzend Partnerunternehmen sein werden, die damit den Redispatch 2.0 umsetzen. Weiterhin können Partnerunternehmen nachgelagert von den Erfahrungen und Weiterentwicklungen der Systeme und Schnittstellen profitieren, die für ihre eigene Umsetzung dieselben RD-2.0-Systemanbieter wie die THEN gewählt haben.