Elektromobilität Neuartiger Kühlstoff lässt E-Batterien schneller laden

Wären Lithium-Ionen-Akkus hitzebeständiger, könnten sie mit weitaus höherer Geschwindigkeit geladen werden. Das neue Kühlmaterial soll genau das ermöglichen – und außerdem die Dämmfähigkeit von Gebäuden verbessern.

Bild: iStock, 3alexd
14.10.2020

Forscher haben ein neues Material entwickelt, das die Kühlung von Lithium-Ionen-Batterien maßgeblich verbessert. Die Akkus lassen sich damit schneller aufladen, ohne zu überhitzen. Der Stoff kann außerdem als Dämmmaterial in Beton eingesetzt werden, um Gebäude zu temperieren.

An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat der Arbeitskreis um Prof. Dr. Thomas Hahn das neue Material „ss-PCM“ entwickelt. Es eignet sich durch einen Phasenwechsel von flüssigem zu festem Stoff sowohl als Kühlmittel als auch als Wärmespeicher. Ersteres ist vor allem für die Automobilindustrie interessant, Letzteres für die Bauindustrie. Für das Gemisch erhielten die Forscher den Clusterpreis Automotive des 16. IQ-Innovationspreises Mitteldeutschland.

Felix Marske, Doktorand am Institut für Chemie und „Urheber“ der Forschungsarbeit im Rahmen seiner Promotion, erklärt das große Interesse der Autoindustrie: „Ein Knackpunkt beim Ausbau der E-Mobilität sind die Ladesäulen. Die nächste Generation wird eine stark verkürzte Ladezeit ermöglichen, da zukünftig das große Problem der Akkus, die Kühlung, effizienter gelöst sein wird.“ Bislang überhitzen Lithium-Ionen-Akkus nämlich beim schnellen Laden, was sowohl ihre Lebensdauer als auch ihre Leistungsfähigkeit vermindert.

Silikatgerüst hindert Flüssigkeit am Auslaufen

Im Mittelpunkt der Forschung standen Latentwärmespeicher, die auf der Grundlage von Phasenwechselmaterialien (englisch: phase change material, PCM) arbeiten. Sie speichern Wärme, indem sie ihren Aggregatzustand ändern. Ein praktisches Beispiel dafür sind Handwärmekissen, die beim Wechsel vom festen zum flüssigen Zustand Wärme aufnehmen und speichern und in der umgekehrten Phase wieder abgeben.

Genau bei diesem Übergang von fest zu flüssig gab es bislang aber ein Problem: Das PCM verlor durch das Schmelzen seine Form und drohte auszulaufen. Hier setzten die Forscher mit „ss-PCM“ an. „Unsere Neuerung besteht darin, dass das Material in einem porösen Gitter eingesperrt wird, aus dem keine Flüssigkeit ausdringen kann“, erklärt Marske. Das nanoskopisch kleine Silikatgerüst kapselt die Moleküle des formstabilisierenden Latentwärmespeichers so ein, dass die Wärmeleitfähigkeit erhöht und damit ein gleichmäßiges Schmelzen des Wärmespeichermaterials ermöglicht wird.

Die starken Kapillarkräfte des Gitters hindert das PCM am Austreten. Gleichzeitig erhöht sich der Kühlungseffekt durch die Reduzierung der Hitzeentwicklung, sodass Batterien schneller ladefähig und gleichzeitig langlebiger werden.

Vier verschiedene Einsatzvarianten in der Automobilindustrie sind dabei laut Marske denkbar. Eine davon wäre, den kompletten Batterieblock von E-Fahrzeugen mit „ss-PCM“ zu umhüllen. Unternehmen der Autoindustrie hätten bereits mit der Planung einer Weiterentwicklung begonnen, darüber hinaus gäbe es so viele Anfragen aus der Industrie, dass man sie derzeit gar nicht alle bewältigen könne.

Weniger heizen im Winter, weniger schwitzen im Sommer

Dabei ist „ss-PCM“ bei Weitem nicht nur für die Automobilindustrie interessant. Sein Einsatz wäre, wie Marske erklärt, auch bei Telefonakkus, in Nachtspeicheröfen, bei der Solarthermie und im Wohnungsbau möglich. Dachschindeln könnten mit dem Material gefüllt werden, Betonwände ebenso. Da „ss-PCM“ 14-mal mehr Wärme speichern soll als herkömmliche Baustoffe, könnte der weltweite Energieverbrauch für das Heizen von Innenräumen enorm sinken.

Deutlich wird das anhand eines Beispiels: Bei einem Strompreis von etwa 28 ct/kWh pro Jahr bei Einsatz einer „ss-PCM“-Wand à 3,6 m2 mit einer Dicke von 2 cm ließen sich etwa 154 Euro sparen. Bei einem Preis dieser Wand von 170 Euro läge die Amortisation dann bei 13 Monaten. Umgekehrt würde das Material auch dazu beitragen, dass sich Räume im Sommer nicht so stark erhitzen.

Zwar werden auch heute schon Latentwärmespeicher in Form von mikroskopisch kleinen Kapseln in Gips- oder Betonwänden verbaut. Um die Stabilität des Baustoffes zu gewährleisten, können aber lediglich 15 Prozent des PCM darin eingearbeitet werden. „Mit unserem Material können bis zu 90 Prozent befüllt werden“, sagt Marske, was die Energieeffizienz deutlich steigern würde.

Kühlstoff 100 Prozent ökologisch herstellen

Das Interesse an „ss-PCM“ aus der Industrie ist eigenen Angaben zufolge so groß, dass Marske kaum hinterherkommt. Zum Patent angemeldet ist das Material bereits. Um jetzt mehr Gelder und humane Ressourcen zu gewinnen, bemühen sich die Forscher um die Aufnahme in das Exist-Förderprogramm, um eine Ausgliederung realisieren zu können.

„Derzeit bauen wir eine Lieferkette auf“, sagt Marske, „und führen Gespräche mit einem Unternehmen, das das Material produziert. Für einen geringen Aufpreis sind wir in der Lage, das Produkt zu 100 Prozent ökologisch herzustellen und unsere Produktpalette an verschiedenen ,ss-PCMs‘ zu erweitern.“

Bildergalerie

  • Das neue Kühlmaterial wurde von Florian Himmelstein, Felix Marske und Prof. Dr. Thomas Hahn (von links) entwickelt.

    Das neue Kühlmaterial wurde von Florian Himmelstein, Felix Marske und Prof. Dr. Thomas Hahn (von links) entwickelt.

    Bild: MLU

  • Der Arbeitskreis erreichte mit dem Produkt den ersten Platz beim diesjährigen IQ-Innovationspreis Mitteldeutschland.

    Der Arbeitskreis erreichte mit dem Produkt den ersten Platz beim diesjährigen IQ-Innovationspreis Mitteldeutschland.

    Bild: Marco Warmuth, TGZ Halle

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