In Deutschland sterben etwa 65.000 Menschen pro Jahr am plötzlichen Herztod. Eine häufige Ursache ist Kammerflimmern. Diese lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung kann durch einen Defibrillator beendet werden. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) gehört zu den Pionieren bei der Implantation von Defibrillatoren.
Vor fast 40 Jahren war die MHH die erste Klinik in Deutschland, an der die Implantation eines Defibrillators sofort vollständig gelang. Über die Jahre entwickelte sich die Technologie immer weiter. Jetzt implantierte ein Team des Hannover Herzrhythmus Centrum der MHH-Kardiologie deutschlandweit erstmals ein neuartiges System. Bei dem Extravascular Implantable Cardioverter Defibrillator (EV-ICD) namens Aurora sitzt die Elektrode unter dem Brustbein. Das schafft für bestimmte Patienten Vorteile.
Herkömmliche Modelle haben Schwachstellen
Herkömmliche Defibrillatoren (ICD) werden transvenös implantiert, das heißt von dem Gerät unterhalb des Schlüsselbeins wird eine drahtförmige Elektrode über eine größere Vene bis ins Herzinnere geführt und dort fest platziert. Tritt eine bösartige Herzrhythmusstörung auf, gibt der Defibrillator entweder mehrere schwache Stimulationsimpulse oder einen Elektroschock ab und bringt den Herzschlag wieder in den richtigen Rhythmus.
Das verhindert den plötzlichen Herztod. „Das System ist gut etabliert, die Indikationen sind klar und die Technologie ist weit entwickelt“, sagt Professor Dr. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der Klinik für Kardiologie und Angiologie. Dennoch habe es bekannte Schwachstellen.
„Die Elektrode kann beispielsweise im Laufe der Zeit brechen, zu Infektionen führen oder bei der Implantation zu Verletzungen der Lunge führen“, erklärt der Kardiologe. Um diese Nachteile zu beseitigen, wurden vor einigen Jahren sogenannte subkutane ICD entwickelt, bei denen die Elektrode unter der Haut auf dem Brustbein liegt.
Diese ICD können ebenfalls defibrillieren. Da die Elektrode aber keinen direkten Kontakt zum Herzen hat, werden Herzrhythmusstörungen anders erkannt. Außerdem fehlt den Geräten eine Schrittmacherfunktion, die bei zu langsamem Herzschlag nötig sein kann.
Erfolgreiche Weiterentwicklung
Mit dem neuen System scheint es nun gelungen, die Vorteile des transvenösen und des subkutanen Defibrillators zu vereinen und einige Nachteile beider auszuschließen. Das Aurora EV-ICDTM System der Firma Medtronic wird extravaskulär, also außerhalb des Herzens und der Venen, implantiert. Die Kardiologen platzieren die Elektrode unter dem Brustbein.
So liegt die Elektrode auf dem Herzen. Durch den direkten Kontakt kann das Gerät Herzrhythmusstörungen besser erkennen und entsprechend darauf reagieren. Bei einem zu schnellen oder unregelmäßigem Herzschlag sendet es zunächst kleine elektrische Signale in schneller Folge aus, um die Herzfrequenz zu korrigieren. Nur wenn die Störungen anhalten, gibt das Gerät einen Elektroschock ab.
Die kleinen, schnellen Signale nennen die Fachleute antitachykardes Pacing (ATP). „Durch diese Vorstufe können viele, dann auch schmerzhafte, Schocks vermieden werden. Das ist ein großer Vorteil“, betont Professor Duncker.
Darüber hinaus hat das Aurora EV-ICD System eine Schrittmacherfunktion, um das Herz bei zu langsamem oder pausierendem Herzschlag zu stimulieren. „Das neue System ist eine erfolgreiche Weiterentwicklung subkutaner ICD-Systeme und eine gute Alternative für Patientinnen und Patienten, für die ein transvenöses System nicht gut geeignet ist“, erklärt Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie. Er denkt dabei besonders an Menschen mit einem hohen OP-Risiko, Infektionsanfälligkeit und undichten Herzklappen.
Premiere in Hannover
Am 13. Oktober 2023 implantierte Professor Duncker einem Patienten den ersten Aurora-Defibrillator in Deutschland. Eine Woche später nahm er die zweite Implantation dieser Art vor. Der zweite Patient ist Bastian K. aus Hannover. Der 37-Jährige leidet an einer Herzinsuffizienz.
Die Pumpleistung seines Herzens lag im Mai dieses Jahres bei nur noch 10 Prozent. Jede Bewegung strengte Bastian K. an. „Nach 100 Metern zu Fuß war ich völlig erschöpft“, erinnert sich Bastian K. Um sich vor einem plötzlichen Herztod zu schützen, hatte Bastian K. eine Defibrillatorweste, die unter der Kleidung direkt auf der Haut getragen wird und bei Bedarf einen Elektroschock abgibt.
„Als das Thema Implantation konkret wurde, hat man mir drei mögliche Geräte mit allen Vor- und Nachteilen vorgestellt. Alles wurde mir super erklärt“, sagt der Patient. Die Entscheidung fiel auf das neue Defibrillatorsystem Aurora. Dieses Gerät gibt Bastian K. nun ein Gefühl der Sicherheit.
Einen Tag nach der Implantation wurde Bastian K. aus der Klinik entlassen. Zu dem OP-Team gehörte neben den medizinischen und pflegerischen Fachleuten aus der Kardiologie und der Anästhesiologie auch eine Herzchirurgin. Privatdozentin (PD) Dr. Jasmin Hanke aus der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie war bei den ersten Implantationen des neuen Defibrillators als Backup dabei.
„Wir unterstützen uns als Team mit unseren jeweiligen Kernkompetenzen in der Kardiologie und der Chirurgie. So können wir unseren Patienten und Patientinnen die maximal mögliche Sicherheit bieten“, erklärt Hanke. Auch die Herzchirurgin hält das Aurora-Gerät für bestimmte Patienten für eine gute Alternative zu herkömmlichen Defibrillatoren. „Im Langzeitverlauf ist bei den Geräten mit weniger Komplikationen zu rechnen.“
Fortschritt in der Patientenversorgung
In der Klinik für Kardiologie und Angiologie werden pro Jahr rund 150 Defibrillatoren implantiert. Dabei kommen verschiedene Modelle zum Einsatz, individuell abhängig von der Art der Herzrhythmusstörung und den Bedürfnissen des Patienten.
„Wir legen großen Wert auf eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung und möchten bei der Behandlung von Herzleiden neuesten klinischen Fortschritt bieten. Die neue Technik ist dabei ein weiterer Schritt nach vorn“, stellt Bauersachs fest.
Weltweite Zulassungsstudie
Die Sicherheit und Wirksamkeit des Aurora EV-ICDTM Systems wurde in einer weltweiten Zulassungsstudie bei Patienten mit dem Risiko eines plötzlichen Herztodes untersucht. Es nahmen 356 Patienten in 46 Krankenhäusern in 17 Ländern in Nordamerika, Europa, dem Nahem Osten, Asien, Australien und Neuseeland teil. Im August 2023 erhielt das System in Europa die Zulassung.