Wie Tropfen oder Dampfbläschen eine Oberfläche benetzen, hängt von der Art und Beschaffenheit des Oberflächenmaterials ab. So bilden sich auf wasserabstoßenden Materialien rundliche Tropfen mit einer minimalen Berührungsfläche zu ihrer Unterlage. Auf wasseranziehenden Stoffen hingegen lässt sich die Flüssigkeit eher in Form von flachen Fladen nieder – die gemeinsame Berührungsfläche ist deutlich größer.
Theoretisch beschreiben lassen sich derlei Prozesse durch die „Young-Laplace“-Gleichung. Sie liefert einen Kontaktwinkel, der das Verhalten eines Tropfens auf der Oberfläche charakterisiert: Große Winkel stehen für eine geringe, kleine Winkel für eine große Benetzung. Bildet sich in einer siedenden Flüssigkeit an einer Wand ein Dampfbläschen, verbleibt unter ihm ein sehr dünner, fürs Auge nicht sichtbarer Flüssigkeitsfilm. Dieser Film bestimmt, wie das Bläschen wächst und wie es sich von der Wand ablöst. Auch dafür spielt der Kontaktwinkel eine wichtige Rolle.
Die dahintersteckende Theorie basiert auf einem recht simplen Ansatz. „Sie berücksichtigt den Druck, den die Flüssigkeit von außen ausübt, sowie den Dampfdruck, der im Inneren eines Bläschens herrscht“, erklärt Prof. Uwe Hampel, Leiter der HZDR-Abteilung Experimentelle Thermofluiddynamik. „Hinzu kommt der Kapillardruck, der durch die Krümmung der Oberfläche des Bläschens entsteht.“ In letzter Zeit aber zeigten diverse Experimente mit Laser-Messtechnik, dass diese bewährte Theorie für sehr kleine Tröpfchen beziehungsweise Bläschen versagt: Auf der Nanoskala wichen die gemessenen Kontaktwinkel zum Teil erheblich von den theoretischen Voraussagen ab.
Komplexes Wechselspiel der Moleküle
Um das Problem zu lösen, machte sich das deutsch-chinesische Team an eine Überarbeitung der Theorie. Dazu schaute es sich die Prozesse, die sich beim Sieden einer Flüssigkeit abspielen, genauer an. „Wir haben berücksichtigt, wie sich die Moleküle im Detail an den Grenzflächen verhalten“, erläutert HZDR-Forscher Dr. Wei Ding. „Dann haben wir das Wechselspiel zwischen diesen Molekülen im Computer simuliert.“
Dabei stieß die Arbeitsgruppe auf einen deutlichen Unterschied zu den bisherigen Ansätzen: Die zwischen den Molekülen wirkenden Kräfte addieren sich nicht einfach linear auf. Stattdessen ist das Wechselspiel deutlich komplexer, es kommt zu ausgeprägten nichtlinearen Effekten. Ebendiese Effekte berücksichtigen die Fachleute in ihrer neuen, erweiterten Theorie. „Mit ihr können wir die Ergebnisse der jüngsten Experimente gut erklären“, freut sich Ding. „Wir verstehen das Verhalten winziger Tröpfchen und Dampfbläschen nun viel genauer als zuvor.“
Doch die Erkenntnisse runden nicht nur das theoretische Grundlagenverständnis ab, sondern versprechen auch manchen Fortschritt für die Technik, etwa für die Mikroelektronik. Hier sind die Prozessoren mittlerweile derart leistungsfähig, dass sie immer mehr Wärme abgeben, die dann durch Kühlsysteme abgeführt werden muss. „Es gibt Ideen, diese Wärme durch das Sieden einer Flüssigkeit zu entfernen“, beschreibt Uwe Hampel.
„Mit unserer neuen Theorie sollte sich herausfinden lassen, unter welchen Bedingungen die aufsteigenden Dampfbläschen die Wärmeenergie am effizientesten davontragen können.“ Ebenso könnten die Gleichungen dazu beitragen, die Brennelemente in einem Kernreaktor wirkungsvoller als bislang zu kühlen.
Effizientere Wasserstoff-Gewinnung
Eine weitere Anwendungsperspektive liegt in der Elektrolyse von Wasser zur Gewinnung von grünem, klimaneutralem Wasserstoff. Während der Wasserspaltung bilden sich an den Membranoberflächen eines Elektrolyseurs unzählige Gasbläschen. Mithilfe der neuen Theorie scheint denkbar, diese Bläschen gezielter als bislang zu beeinflussen und dadurch die Elektrolyse künftig effizienter zu gestalten.
Der Schlüssel für all diese möglichen Anwendungen liegt in der Auswahl und der Strukturierung geeigneter Materialen. „Indem man eine Oberfläche zum Beispiel mit nanometerkleinen Rillen versieht, lässt sich das Ablösen von Gasbläschen beim Sieden deutlich beschleunigen“, erläutert Wei Ding. „Mit Hilfe unserer neuen Theorie lassen sich solche Strukturierungen nun detaillierter maßschneidern ein Projekt, an dem wir bereits arbeiten.“