Mit der Novellierung der Klärschlammverordnung, die im vergangenen Jahr beschlossen wurde, kommen auf viele Betreiber von Abwasseranlagen große Veränderungen zu: Anlagen mit Einwohnerwerten über 50.000 dürfen ihren Klärschlamm künftig nicht mehr landwirtschaftlich ausbringen, sondern müssen ihn verwerten, damit beispielsweise das wichtige Element Phosphor zurückgewonnen werden kann. Wie sich die Phosphorrückgewinnung und die Klärschlammverwertung technologisch gestalten, wird die Zukunft zeigen.
„In drei bis vier Jahren werden Klärschlammverwertungsanlagen gebaut, die auch eine Entwässerung, Trocknung und die Rückgewinnung von Phosphor umfassen“, schätzt Wolfgang Threm. Der Area Sales Manager bei Mitsubishi Electric Automation Projects erklärt, dass Verwertung momentan vor allem bedeutet, dass der Klärschlamm in Industrieanlagen, wie Kohlekraftwerken oder Zementöfen, einfach mitverbrannt wird.
Das Problem: Aufgrund der hohen Temperaturen, die bei diesen Verbrennungsprozessen herrschen, geht dabei auch kostbares Phosphor verloren. Monoverbrennungsanlagen sind dagegen speziell für Klärschlamm konzipiert: Sie verbrennen den Schlamm bei niedrigen Temperaturen, damit der Phosphor in der Asche zurückbleibt und wiederverwendet werden kann.
Wasserentzug beeinflusst die Wirtschaftlichkeit
Kleine Abwasserbehandlungsanlagen, die für weniger als 50.000 Einwohner ausgelegt und häufig in ländlichen Regionen angesiedelt sind, nehmen in der überarbeiteten Klärschlammverordnung eine Sonderstellung ein: Sie sollen in Zukunft auch weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Klärschlämme für Düngezwecke zu nutzen.
„Es ist gut, dass der Gesetzgeber kleinere Anlagen ausgenommen hat“, findet Wolfgang Steiger, Ingenieur Verfahrenstechnik bei Flottweg. Große Anlagen verfügen oft bereits über Möglichkeiten, ihren Klärschlamm zu verwerten. Bei kleineren Anlagen ist es dagegen gängige Praxis, den entwässerten Klärschlamm abtransportieren zu lassen, damit er extern verwertet werden kann. „Hier geht es eher darum, dem Klärschlamm so viel Wasser wie möglich zu entziehen, denn das bestimmt letztendlich die Wirtschaftlichkeit“, erklärt der Ingenieur. Er erläutert, dass drei Faktoren die variablen Kosten bestimmen: die Antriebsenergie für die Anlagen, das Flockungsmittel, das dem Klärschlamm für den Trocknungsprozess zugeführt wird, und die Entsorgungskosten, die derzeit zwischen 40 und 80 Euro bezogen auf eine Tonne feuchten Schlamm liegen.
Stellschrauben sieht Steiger zum einen bei der Eindickung und Entwässerung des Klärschlamms, für die sein Unternehmen Dekanter herstellt und in der immer noch Potenzial steckt. Zum anderen ist es möglich, den Einsatz polymerer Flockungsmittel zu reduzieren und den Strombedarf der Antriebe in Kläranlagen zu senken. Durch technische Weiterentwicklungen und die Umgestaltung von Maschinen sei es heute laut Steiger möglich, 40 Prozent Energie im Vergleich zu Geräten von vor 25 Jahren zu sparen.
„Ein Großteil der Energie geht dort verloren, wo mit Luft gearbeitet wird, also beispielsweise bei den Kompressoren“, berichtet Christoph Westerwelle, Leitung Industriemanagement Infrastruktur bei Phoenix Contact Deutschland, aus Sicht eines Automatisierers. Hier sei es aber ebenfalls möglich, über intelligente Steuerungslösungen und Belüftungskonzepte viel Energie zu sparen. Als Beispiel nennt Westerwelle eine Kläranlage, die über den Einbau eines Plattenlüfters 80 Prozent Energie sparen konnte.
Auch im Hinblick auf die Effizienz der Klärschlammentwässerung schreitet die Entwicklung voran. Zwar seien bei dem Anteil der Trockensubstanz nur kleine Schritte im niedrigen einstelligen Prozentbereich möglich, die Hebelwirkung ist jedoch enorm: Bereits zwei Prozent mehr Trockensubstanz sparen bis zu 10 Prozent der Entsorgungskosten, rechnet Wolfgang Steiger vor. „Je mehr man den Schlamm trocknen kann, umso weniger Transportkosten fallen an“, ergänzt Wolfgang Threm. Betreiber sollten ihre Prozesse folglich schon bei der Behandlung von Klärschlamm anpassen.
Gleiche Voraussetzungen, unterschiedliche Möglichkeiten
Bestehende Abläufe innerhalb der Anlage anzupassen und an verschiedenen Stellschrauben zu drehen, lohnt sich also. Das gilt nicht nur für kommunale Anlagen, sondern auch für die Industrie: „Ich habe das Gefühl, viele Unternehmen sind sich noch gar nicht bewusst, was die neue Klärschlammverordnung für sie bedeutet, obwohl beispielsweise bei Molkereien oder in Papierfabriken große Mengen an Klärschlamm anfallen“, weiß Wolfgang Threm aus Erfahrung. „Die Prozesse, die dort ablaufen, ähneln denen der kommunalen Abwasseranlagen. In der Mikrobiologie liegen allerdings Unterschiede und auch der Schlamm, der zur Entwässerung anfällt, kann andere Eigenschaften haben als Schlamm, der in Kläranlagen anfällt“, erklärt Wolfgang Steiger.
Im Gegensatz zu kommunalen Abwasseranlagen haben Industrieunternehmen den Vorteil, ihre Prozesse dahingehend verbessern zu können, dass die Menge an Abwasser und damit auch an Klärschlamm sinkt.
Ein weiterer Unterschied sind die Möglichkeiten der Industrie, zu investieren: „Wenn eine Industrie gezwungen ist, etwas zu tun, dann sind auch die Gelder da“, so Threm. Eine Kommune müsse dagegen sehr genau überlegen, wie Anlagenmodernisierungen finanziert werden können. Dennoch ist er sich sicher: „Es wird in den kommenden 15 Jahren einige Investitionen im Zusammenhang mit der neuen Klärschlammverordnung geben. Das Gesetz ist beschlossen.“
Die Abwägung darüber, wo das begrenzt verfügbare Geld am sinnvollsten zu investieren ist, wird schwieriger, erklärt Christoph Westerwelle: „Anlagenbetreiber im kommunalen Umfeld haben eine Menge Themen, die sie neben der Klärschlammverordnung noch umsetzen müssen. Da geht es um Energieeffizienz, um IT-Sicherheit oder die vierte Reinigungsstufe.“ Letztere steht in Deutschland unmittelbar bevor, schätzt Wolfgang Threm.
Bestehende Anlagen nachzurüsten liegt zwar nahe, gestaltet sich allerdings oft schwierig: „Wo die Entsorgung im Vordergrund steht, wird meist kein Wertstoff produziert“, gibt Steiger zu bedenken. „Durch den Beschluss der Klärschlammnovelle entsteht aber auch ein Geschäftsfeld. Einige Unternehmen und Industrien, beispielsweise die Zementindustrie, fangen jetzt damit an, den Klärschlamm zu verwerten statt zu verbrennen, um Phosphor zurückzugewinnen“, sagt Threm. Und Steiger pflichtet ihm bei: „Phosphor kommt oft aus politisch instabilen Regionen, deshalb ist man gut beraten, wenn man sich unabhängig macht und heimische Ressourcen nutzt.“
Ein Umdenken ist zwingend notwendig
Ob große oder kleine Investitionen, wichtig ist, dass ein Umdenken stattfinden muss, da sind sich alle Beteiligten einig. Der große Teil der Abwasserbranche sei jedoch noch sehr konservativ, meint Christoph Westerwelle: „Heute werden die Möglichkeiten der Automatisierung noch nicht überall abgerufen.“ Er beobachtet aber, dass sich ein Wandel seit einigen Jahren andeutet und immer mehr Betreiber sich neuen Wegen öffnen. Wichtig dabei: „Die Verantwortlichen müssen von selbst Interesse entwickeln, neue Technologien einzusetzen.“
Dabei ist es allerdings nicht zielführend, lediglich einen Teil einer Anlage zu betrachten, sondern den gesamten Prozess in den Blick zu nehmen. Ebenso wichtig sei es, dass die Betreiber gemeinsam mit Anbietern moderner Automatisierungstechnik Wege finden, um Verbesserungen in der Anlage vorzunehmen. Denn nicht immer muss gleich ein komplettes Gebläse ausgetauscht werden. Oft reicht es bereits, die Potenziale bestehender Technik auszuschöpfen.
In vielen Fällen ist diese jedoch schon in die Jahre gekommen: „In zahlreichen Abwasseranlagen müssen wir erst einmal den heutigen Stand der Technik erreichen, denn ein Großteil von ihnen ist älter als 20 Jahre“, weiß Westerwelle. Selbst bei diesen Anlagen seien aber die Grundsteine für moderne Technik bereits gelegt, denn auch dort sind viele Informationen schon vorhanden. „Im Zuge der Digitalisierung ist es deshalb die Aufgabe von Software, die Informationen intelligent zu nutzen“, rät Christoph Westerwelle. Damit sei es möglich Anomalien zu erkennen und Wetterdaten einzubeziehen, um beispielsweise besser auf Starkregenereignisse vorbereitet zu sein.
Arbeitsplätze verlagern sich in den Schaltraum
Der Einzug moderner und digitaler Technologien wirft wie auch in anderen Branchen die Frage auf, welche Auswirkungen dabei auf Berufsbilder und Arbeitswelten zu erwarten sind. „Es ist richtig, dass dadurch Arbeitsplätze verloren gehen, auf der anderen Seite entstehen aber Arbeitsplätze bei den Technikanbietern und bei Dienstleistern. Sie verlagern sich also mehr“, meint Wolfgang Threm. Steiger ergänzt: „Auch die Qualität der Arbeitsplätze ändert sich durch moderne Technik. Wenn sich Arbeitsplätze aus der Kläranlage mehr in den Schaltraum verlagern, wirkt sich das positiv auf die Gesundheit aus.“
Die Zeit, die Mitarbeiter in der Anlage verbringen müssen, lässt sich unter anderem dadurch reduzieren, dass Filter durch Zentrifugen ersetzt werden: „Dann ist es nicht mehr notwendig, in die Anlage zu gehen und den Filter zu reinigen, weil hier ein geschlossenes System vorliegt“, erklärt er. Außerdem sind viele Kläranlagen heute schon vernetzt und können automatisch mit einer Nachbaranlage zusammen gefahren werden. Eine Kläranalage muss also nicht mehr Tag und Nacht oder gar an Feiertagen besetzt sein.
So positiv die Vernetzung sich auf Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter einer Kläranlage auswirkt, so gefährlich könnte sie für die Sicherheit der kritischen Infrastrukturen sein. Große Anlagen sind auf diesem Gebiet häufig gut aufgestellt. Bei Phoenix Contact beobachtet man aber auch, dass mittlere und kleine Anlagen von sich aus immer stärker darauf achten, dass ihre Maschinen in Sachen IT-Sicherheit auf dem neuesten Stand sind.
Dabei geht es oft nicht darum, ein komplett neues IT-System aufzusetzen, sondern sich damit auseinanderzusetzen, wie Maschinen oder Anlagen miteinander verbunden sind und der Zugang zu ihnen geregelt ist. „Man muss bewusster mit der Technik und der IT umgehen, die in Kläranlagen eingesetzt werden“, rät Westerwelle, der oft erlebt hat, dass Geräte, die bereits verwendet werden, noch immer mit dem Herstellerpasswort gesichert sind.
Abwassertechnik kann zum Exportschlager werden
Ob es nun um die Entwässerung von Klärschlamm, die Automatisierung von Kläranlagen oder die Nutzung von Software für die IT-Sicherheit geht – Betreiber von Kläranlagen sind hierzulande in guten Händen. Denn im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland weit vorne bei der Behandlung von Abwasser. „Das ist eine Chance für die deutsche Industrie“, findet Wolfgang Steiger. „Wir sind sowohl bei der IT als auch im Maschinenbau führend und ich hoffe, das wird in Zukunft ein Exportschlager.“
Deshalb appellieren alle Roundtable-Teilnehmer an die Abwasserindustrie, keine Angst vor Neuerungen und Anfangsinvestitionen zu haben. Moderner Technik die Tür zu öffnen, lohnt sich – finanziell und gesellschaftspolitisch. Und nur wer im eigenen Land ein Pionier ist, kann anderen Ländern ein Vorbild sein und den Export ankurbeln.