Die Energiewende stellt Stromnetze vor neue Herausforderungen: Solar- und Windanlagen speisen Strom dezentral und unregelmäßig ein, während der Energiebedarf durch die Wärme- und Mobilitätswende weiter steigt. Dadurch rechnet man damit, dass sich in den nächsten Jahren die über das Stromnetz übertragene Energiemenge verdoppelt. Die Leistung von Photovoltaikanlagen soll auf das Achtfache, die Zahl der E-Auto-Ladeboxen sogar auf das Dreißigfache ansteigen. Um auch in Zukunft die Netzinfrastruktur weiter stabil zu halten und nicht unnötig ausbauen zu müssen, will man zur Steuerung des Stromnetzes der Zukunft auf Künstliche Intelligenz (KI) setzen. Und genau das hat das Stadtwerk am See im Rahmen eines Pilotprojekts erfolgreich realisiert.
In Echtzeit überwachen und agieren
„Im Rahmen des Projekts haben wir mit Daten aus dem Friedrichshafener Gewerbegebiet „Fallenbrunnen“ das Stromnetz der Zukunft konzipiert und eine Netz-Regelung erfolgreich simuliert“, erklärt Jan Etzel, Leiter Stromnetzbetrieb beim Stadtwerk am See. Das Herzstück eines intelligenten Netzes ist ein „smarter“ Regler, der von Künstlicher Intelligenz gesteuert wird. Er verfügt über alle Informationen aus dem Niederspannungsnetz, wie beispielsweise aktuelle Messwerte von Trafostationen, Verbrauchern und Erzeugern – darüber hinaus kennt er Jahresverbräuche, Wetterdaten und vieles mehr.
Aus diesen Daten kann der Regler nahezu in Echtzeit erkennen, ob das Netz stabil ist oder Handlungsbedarf besteht. Die KI kann in Sekundenschnelle Maßnahmen ergreifen, um Lastspitzen zu glätten und die Netzstabilität zu gewährleisten. „Der innovative Regler wurde permanent mit den aktuellen Netzdaten ,gefüttert‘ und lernte jeden Tag dazu. Er ist in der Lage die Datenflut zu analysieren und umgehend die richtigen Entscheidungen zu treffen. Natürlich alles unter der Prämisse, dass Verbraucher stets ausreichend mit Strom versorgt werden“, so Etzel.
Um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steuerung der Netze zu erforschen, hatten sich 2020 das Stadtwerk am See, die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz, das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, das International Solar Energy Research Center Konstanz und ein weiterer Energieversorger als Projektgruppe zusammengeschlossen. Das Leuchtturmprojekt „KI-basierte Planung und Betriebsführung von Verteilnetzen und Microgrids zur optimalen Integration regenerativer Erzeuger und fluktuierender Lasten im Rahmen der Energiewende (AI4Grids)“ wurde vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit mit 2,5 Millionen Euro als Leuchtturmprojekt gefördert. In dem Forschungsprojekt wurden erste Prototypen von Niederspannungsreglern auf der Basis von Künstlicher Intelligenz entwickelt und getestet.
„Nicht nur die KI, sondern auch wir haben viel gelernt. Wir haben ein Zielbild für intelligente Stromnetze entwickelt und definiert, wie intelligente Zähler, intelligente Trafostationen und Künstliche Intelligenz ineinandergreifen“, erklärt der Netzexperte des Stadtwerks. Das Stromnetz des Stadtwerks am See ist generell gut aufgestellt: Im vergangenen Jahr fiel durchschnittlich nur 8 Minuten lang der Strom aus. Damit geht es Kunden im Stadtwerk am See-Netzgebiet deutlich besser als im übrigen Bundesgebiet. Hier gab es durchschnittlich über 12,2 Minuten (2022) Stromausfall. „Wir investieren pro Jahr durchschnittlich 8 Millionen Euro in unsere Stromnetze. Die Verfügbarkeit von 99,99999 Prozent attestiert uns eine überdurchschnittliche Versorgungssicherheit“, betont Mark Kreuscher, Leiter Netze beim Stadtwerk.