In den zurückliegenden Jahren ist die Anzahl der dezentralen und regenerativen Stromerzeuger vor allem in den Verteilnetzen stark gestiegen. Laut der Studie „Virtuelle Kraftwerke als wirkungsvolles Instrument für die Energiewende“ der PricewaterhouseCoopers Wirtschaftsprüfgesellschaft (PWC) ist eine volkswirtschaftlich zufriedenstellende Einbindung solcher Anlagen in die Regelung und die Netzstrukturen bislang nur unzureichend gegeben. Derartige Kraftwerke sollen künftig eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung übernehmen, indem sie viele dezentrale Erzeuger für eine sinnvolle Nutzung etwa im Regelenergiemarkt bündeln. Allerdings übersteigt bei kleineren virtuellen Kraftwerken der Aufwand, der für ihren Aufbau und Betrieb erforderlich ist, bisher den wirtschaftlichen Nutzen.
Die Siemens-Division Smart Grid hat mit dem dezentralen Energiemanagementsystem DEMS eine Voraussetzung zur Realisierung virtueller Kraftwerke geschaffen. Zur E-World 2014 hat das Unternehmen nun mit DEMS-Portal einen cloud-basierten Webservice für virtuelle Kraftwerke vorgestellt. Dieser Dienst versetzt insbesondere Stadtwerke und kleinere Energieversorgungsunternehmen in die Lage, dezentrale Energieressourcen ihrer Kunden zusammenzuschalten und die gebündelte Leistung einem größeren virtuellen Kraftwerk zur Vermarktung anzubieten. „Wir sind aktuell noch in der Entwicklung der benötigten Bausteine mit dem Ziel, im Frühsommer mit der neuen Version von DEMS an den Markt zu gehen“, erklärt Thomas Werner, Senior Key Expert Product Lifecycle Management, Siemens Smart Grid. „Ab Mai oder Juni wollen wir entsprechende Pilotprojekte umsetzen.“
Das DEMS-Portal soll insbesondere kleinere Stadtwerke befähigen, gegenüber ihren Kunden als virtuelles Kraftwerk aufzutreten, ohne dass sie dafür nennenswert in eine Infrastruktur investieren müssen. Die notwendigen Funktionen stellt das Portal zur Verfügung, gleichzeitig können die Besitzer von dezentralen Anlagen darüber dem virtuellen Kraftwerk die Verfügbarkeit ihrer Anlagen einfach mitteilen. Die eigentliche Vermarktung findet dann in einem übergeordneten größeren virtuellen Kraftwerk statt, das große Versorger wie RWE oder große Stadtwerke wie die Stadtwerke München betreiben. Da solche Vermarktungsprozesse in den Energie- und Regelmärkten sehr komplex sind, eröffnet sich über die webbasierte Lösung eine Option auch für kleinere Stadtwerke, die bisher nicht genügend Ressourcen für eine Marktteilnahme hatten. Auf der anderen Seite kennen sie als lokale Einheit die Verhältnisse am besten und können so gezielt Kunden oder dezentrale Erzeuger ansprechen und für ihr virtuelles Kraftwerk gewinnen.
Plattform für Erzeuger und Stadtwerke
Da die Standardfunktionen von DEMS zum Aufbau eines kleineren virtuellen Kraftwerks ausreichen, reduzieren sich die Softwarelizenzkosten im Vergleich zu einer Vollversionslizenz. Zudem muss das Stadtwerk keine teure Rechnerhardware anschaffen, auch das Aufbauen und Vorhalten von Fachpersonal entfällt.
Insgesamt bündelt der Webservice als technische Plattform, die Siemens als Dienstleister stellt, drei Ebenen:
Die Kleinbetreiber von Biogas-, Photovoltaik- oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen,
die Stadtwerke mit lokaler Bedeutung, und
die Betreiber von übergeordneten virtuellen Kraftwerken.
„Mit der Cloudversion von DEMS können Stadtwerke mit ihren Verbrauchs- und Erzeugungskapazitäten attraktive Erlöse erwirtschaften und gleichzeitig einen Beitrag für den Aufbau des Energiesystems der Zukunft leisten“, erklärt Jan Mrosik, CEO der Siemens-Division Smart Grid. „Als Partner unseres virtuellen Kraftwerksverbundes können Stadtwerke den Aufwand für kleinere virtuelle Kraftwerke reduzieren und den wirtschaftlichen Nutzen durch unsere Vermarktung auf den Energiemärkten erheblich steigern“, ergänzt Andreas Breuer, Leiter Neue Technologien/Projekte von RWE Deutschland.
Siemens und RWE arbeiten auf dem Gebiet der virtuellen Kraftwerke bereits seit über fünf Jahren zusammen und wollen auch bei den anstehenden Pilotprojekten mit dem DEMS-Portal kooperieren. Die Idee, kleinere Stadtwerke einzubinden, ist auch der Tatsache geschuldet, dass die großen virtuellen Kraftwerke in der Fläche nicht problemlos neue Mitstreiter akquirieren und bündeln können. Unter dem Strich generiert der DEMS-Cloud-Ansatz Vorteile für alle Beteiligte. Stadtwerke spielen in Deutschland traditionell eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung des Landes. Mit ihrer regionalen Verankerung und ihrem Ansehen in der Bevölkerung sind sie prädestiniert, die zunehmende Dezentralisierung der Energieerzeugung so zu koordinieren, dass alle Marktteilnehmer einen möglichst großen Vorteil aus den erneuerbaren Energiequellen oder der Kraft-Wärme-Kopplung ziehen.
Grafik erleichtert Modellierung
Für Anlagenbesitzer und Stadtwerke gibt es weitere Pluspunkte, denn sie profitieren von der Software-Architektur und der IT-Sicherheit des Systems. Siemens sorgt zudem für die regelmäßige Pflege und notwendige Updates des Webportals. Anpassungen, die unter anderem durch Lerneffekte, Änderungen durch den Gesetzgeber etwa beim EEG oder neue Aspekte beim Vermarktungsmodell notwendig sind, werden schnell umgesetzt. Spareffekte kommen darüber hinaus dadurch zustande, dass in dem neuen Portal mehrere virtuelle Kraftwerke betrieben werden können.
Grundsätzlich baut das Portal auf erprobten Bausteinen auf. Besonders wichtig dabei ist der DEMS-Designer, mit dem Stadtwerke alle „Mitspieler“ eines virtuellen Kraftwerks, also Erzeuger, aber auch Lasten oder Speicher sowie die zugehörigen Verträge erfassen und modellieren können. Dieses grafische Werkzeug zur Dateneingabe hatte Siemens in der letzten DEMS-Fassung 3 neu entwickelt [1]. Es erlaubt dem Anwender, bei der Entwicklung der Topologie seines Energiesystems in seiner Modellierungswelt zu bleiben. Der Designer reduziert den Aufwand bei der Projektierung eines virtuellen Kraftwerks im Vergleich zum bisherigen System um rund 60 Prozent.
Regionale Energieversorger bekommen mit dem Portal eine kompakte Plug-and-Play-Lösung. Dabei besitzt es alle notwendigen Funktionen eines virtuellen Kraftwerkes, also Aufbau und Darstellung durch den Designer, Prognose der Anlagenkapazitäten und die Einsatzplanung durch das überregionale EVU. Gegenüber den Kunden des Versorgers tritt das Portal im Übrigen mit dessen Markennamen und Logo auf (White Labeling). Für die Kleinerzeuger bleibt das jeweilige Stadtwerk also der bewährte Ansprechpartner.
Standardisierte Schnittstellen
Die Schnittstellen zwischen dem Portal und den Stadtwerken sind sehr einfach gehalten. Die Kommunikation läuft über gängige IEC-Protokolle (wie IEC 60870-5-104), einige wenige Daten werden darüber hinaus über SFTP-Protokolle ausgetauscht. Dabei sind standardisierte Lösungen besonders wichtig, weil hier sehr viele Stadtwerke und noch mehr Erzeuger eingebunden werden sollen. Zudem erhöhen sie die Wirtschaftlichkeit. Bei den großen virtuellen Kraftwerken sind auch spezialisierte Schnittstellen denkbar, weil es sich hier um nur wenige Anbindungen handelt.
Welches Potenzial für eine cloud-basierte DEMS-Lösung allein in Deutschland besteht, zeigt die Tatsache, dass hierzulande etwa 800 Stadtwerke tätig sind. Derzeit gibt es rund ein Dutzend virtuelle Kraftwerke von verschiedenen Betreibern. Nach der Einführungsphase mit einigen Pilotprojekten will Siemens sein Portal zunächst bundesweit anbieten, später sollen dann weitere Länder und Märkte auch außerhalb Deutschlands folgen.
Weitere Informationen
[1] Energy 2.0: Ausgabe 8.2013, Seite 51