In ihrem Klimaschutzprogramm 2030 formuliert die Bundesregierung das Ziel, bis zum Jahr 2030 im Bereich der Windenergie an Land insgesamt eine installierte Leistung von 67 bis 71 GW in Deutschland zu erreichen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung strebt ihrerseits an, die installierte Windenergieleistung in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2030 auf 10,5 GW zu erhöhen. Das entspricht fast einer Verdopplung der zum 31.12.2019 installierten Leistung von 5,9 GW. Um diese Ziele zu erreichen, müssen künftig hierzulande zahlreiche weitere Windenergieanlagen errichtet werden.
Wenn eine Windenergieanlage Strom erzeugt, stößt sie zwar kein CO2 aus, allerdings belasten die in ihr verbauten Materialien wie Stahl und Beton sowie der Energieverbrauch zur Herstellung der Anlage das Klima. Mit jeder Tonne Rohstahl, die in Europa produziert wird, werden rund 1,3 Tonnen CO2 freigesetzt, weltweit fallen derzeit sogar mehr als zwei Tonnen CO2 pro Tonne Rohstahl an. Ein wichtiger Bestandteil von Beton ist Zement. Um eine Tonne Zement herzustellen, wird eine Tonne CO2 ausgestoßen. Bei einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-115 zum Beispiel fallen allein für den Turm 368 Tonnen Stahl beziehungsweise Eisenwerkstoffe sowie mehr als 1000 Tonnen weiterer Werkstoffe wie Beton an. Diese Zahlen verdeutlichen den ökologischen Fußabdruck der Windenergieanlagen als Bauwerke. Das Baumaterial scheint damit ein interessanter Ansatzpunkt, um die Klimabilanz einer Windenergieanlage zu verbessern.
Ist Holz ein innovativer Baustoff?
Bereits seit langer Zeit nutzen die Menschen Holz, um Gebäude und andere Infrastruktur zu errichten. So verbindet eine Holzbrücke über dem Rhein schon seit Jahrhunderten die Gemeinde Bad Säckingen in Baden-Württemberg mit der Schweizer Gemeinde Stein. In letzter Zeit rückt die natürliche Ressource als Baustoff wieder in den Fokus der Architekten. In Heilbronn kann man im Stadtteil Neckarbogen das 34 Meter hohe Wohnhaus Skaio aus Holz besichtigen. Das zehnstöckige Gebäude wurde anlässlich der Bundesgartenschau 2019 gebaut und verfügt über Wände, Decken sowie eine Stützkonstruktion aus Holz. Ein noch höheres Gebäude aus Holz entsteht derzeit mit der „Wildspitze“ in Hamburg. Das 64 Meter hohe, 18-stöckige Bauwerk soll im Jahr 2021 vollendet sein.
Obwohl diese Beispiele zeigen, dass sich Holz auch für den Bau höherer Objekte eignet, wird es bei Windenergieanlagen bis jetzt kaum verwendet. In Deutschland gibt es mit dem „Timber Tower“ bisher ein Pilotprojekt einer Windenergieanlage mit Holzturm in Hannover-Marienwerder. Auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland nimmt der Windkraftprojektierer Rabbalshede Kraft mit dem Windpark Fägremo nun ein neues Vorhaben in Angriff. Geplant ist die Errichtung von zehn Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von 240 Metern, deren Türme aus Holz bestehen sollen und für die bereits eine Genehmigung vorliegt. Peter Meinlschmidt und Christoph Pöhler vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung halten Windenergieanlagen mit Holztürmen in solchen Dimensionen durchaus für realistisch. „Entscheidend ist hier, wie sich die Gesamthöhe auf Rotorblattlänge und Turmhöhe verteilt“, erläutert Meinlschmidt.
Vorteile von Holz beim Bau
Erst bei einer einzigen Pilotanlage haben sich die Projektentwickler bisher entschieden, den Turm aus Holz zu errichten. Die Vorteile von Holz als Baustoff ließen sich künftig aber auch bei der Realisierung weiterer Windenergieanlagen nutzen. Durch Holz werden die Anlagen zu einem langlebigen Kohlenstoffspeicher. Wird der Wald nachhaltig bewirtschaftet, nimmt ein Baum im Laufe seines gesamten Wachstums mehr CO2 auf, als bei seiner Verarbeitung zu Schnittholz oder anderen Holzwerkstoffen ausgestoßen wird. Aus den Materialeigenschaften des Holzes ergeben sich allerdings nicht nur Vorteile für das Klima, sondern auch für die Konstruktion von Windenergieanlagen. Holz könne sehr langlebig sein, was an jahrhundertealten Häusern in Norddeutschland zu beobachten sei, sagt Meinlschmidt. Entscheidend sei dabei, wo das Holz eingesetzt werde und dass es nicht feucht wird beziehungsweise schnell wieder abtrocknet. Auch die mechanische Dämpfung ist ein Aspekt, der für Holz als Baustoff spricht. „Die Automobilbranche versucht bei Crashtests bereits Holz statt Stahl einzusetzen, da es die dabei freigesetzte Energie besser aufnimmt als Metall“, so Meinlschmidt. Auch könne Holz pro Gewichtseinheit mehr Druck ableiten als Beton, was sich insbesondere bei Bauwerken der Größe heutiger Windenergieanlagen als positiv erweise.
Feuchtigkeit schlecht für das Holz
Feuchtigkeit und eine mögliche Pilzbildung können die Nutzung von Holz allerdings erschweren. „Wenn Wasser schnell wieder trocknet, stellt dies für das Holz kein Problem dar“, versichert Pöhler. Daher wird das Holz beim Brückenbau vorher bearbeitet, damit es kein Wasser aufnimmt. Bei einer Windenergieanlage kann das Holz am Turm mit einer LKW-Plane ummantelt werden, um es so vor Feuchtigkeit zu schützen. Um zudem zu überwachen, ob sich Kondenswasser unter der Plane sammelt, können in bestimmten Abständen Sensoren befestigt werden, welche die Feuchtigkeit am Holz messen. Wird das Holz vorher bearbeitet und ordentlich behandelt, kann es laut Meinlschmidt und Pöhler jedoch 20 Jahre lang für den Bau der Windenergieanlage halten. „Um Schwachstellen einzelner Bretter zu kompensieren, werden mehrere, dünnere Lagen miteinander verklebt“, erklärt Pöhler. „Kritische Stellen wie Astlöcher werden durch die Stabilität darüber liegender Bretter ausgeglichen, sodass Schwachstellen im Holz auf mehrere Bretter verteilt werden.“
Verschiedene Holzarten geeignet
Anders als Beton und Stahl ist Holz ein nachwachsender Rohstoff und in Europa überall verfügbar. Nach Einschätzung von Meinlschmidt und Pöhler wird es wegen des hierzulande vorhandenen Forstbestandes sowie der Witterungsbedingungen der jüngeren Vergangenheit in den nächsten zwei Jahren viel billiges Holz geben, das sich verarbeiten und als Holzwerkstoff verwenden lässt. Ob sich eine Holzart allerdings als Baumaterial eignet, hänge laut der beiden Experten vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung grundsätzlich von der Dichte sowie der Festigkeit ab, die jeweils unter den einzelnen Holzarten variieren. „Momentan werden vor allem Buche und Fichte als Bauholz verwendet. Grundsätzlich eignen sich aber noch mehr Holzarten für den Bau“, so Meinlschmidt. Bevor eine Holzart zum Bau genutzt werden kann, muss sie allerdings vom Deutschen Institut für Bautechnik zugelassen werden. Die trockenen Sommer der vergangenen beiden Jahre waren für Fichten problematisch, und auch der Borkenkäfer machte Bäumen zu schaffen. Borkenkäfer fressen sich zwar nur in den äußeren Teil des Holzes und nicht in den gesamten Stamm, allerdings ist fraglich, ob das Holz von Bäumen, die vom Borkenkäfer befallen sind, sogenanntes Kalamitätsholz, noch die notwendige Festigkeit zum Bauen bietet.
Nutzen des Holzes nach WEA-Rückbau
Nach dem Rückbau einer Windenergieanlage kann das Holz in einer Verbrennungsanlage über Kraft-Wärme-Kopplung energetisch genutzt werden, um Wärme zu erzeugen. Auf diese Weise kann es sogar mehr Energie liefern als insgesamt zu seiner Produktion aufgewendet wurde. Gleichzeitig wird nur so viel CO2 freigesetzt, wie der Baum während seines Wachstums aufgenommen hat. Da die Filter großer Verbrennungsanlagen sehr gut und effizient seien, stelle die Verbrennung laut Meinlschmidt und Pöhler auch bei bearbeitetem Holz kein Problem für die Umwelt dar. Je nach Beschaffenheit des Turmes kann das Holz auch für andere bauliche Zwecke wiederverwertet werden. Wie aufwendig es allerdings ist, das Holz zu recyceln, hänge davon ab, wie es vorher bearbeitet wurde.
Windbranche hat noch Fragen
Angesichts der Materialeigenschaften, der Verfügbarkeit und der Vorteile für das Klima stellt sich die Frage, warum beim Bau von Windenergieanlagen bislang kaum auf Holz zurückgegriffen wurde. Meinlschmidt und Pöhler sehen in der Marktkonsolidierung der Windbranche einen Grund dafür. Nach ihrer Einschätzung habe diese verhindert, dass die Branche in der Hinsicht Innovationen hervorbringt. „Die verbliebenen Unternehmen hatten bislang keinen großen Ehrgeiz, neue Materialien wie Holz für die Serienfertigung von Windenergieanlagen zu finden“, sagt Meinlschmidt. Einen weiteren Grund sieht er darin, dass bislang noch kein Projekt umgesetzt wurde, das die Dimensionen heute gängiger Windparks aufweist. Der Timber Tower in Hannover sei ein Einzelprojekt gewesen und von seiner Größe her nicht repräsentativ, um die Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen aus Holz darzustellen.
Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie versichert hingegen, dass die Windenergiebranche viel Geld in Innovationen stecke, die zu Gewichtsreduzierung, einfacherer Logistik und Kostendegression führen würden. Dies gelte gerade für den Turmbau. Aus seiner Sicht tun sich beim Thema Holz allerdings vor allem noch Fragen der Korrosion auf, die offenbar derzeit noch nicht voll überzeugend beantwortet worden seien. „Sollte das Projekt in Gotland erfolgreich umgesetzt werden und den Praxistest bestehen, wird die Branche sich dieses sicher genau ansehen und gegebenenfalls zu neuen Erkenntnissen gelangen, die dem Einsatz von Holz dann neue Möglichkeiten schaffen“, so Axthelm.