Wenn die weltweiten Ziele der Reduktion von Treibhausgas-Emissionen, insbesondere von CO2, Realität werden sollen, müssen neue, nachhaltige Quellen zur Energiegewinnung erschlossen werden. Dabei steht auch die Wasserkraft im Fokus. In Norwegen zum Beispiel wird rund 95 Prozent der gesamten elektrischen Energie von Wasserkraftwerken erzeugt, in der Schweiz sind es 56 Prozent. Dabei handelt es sich allerdings um Turbinenkraftwerke in gebirgigen Regionen. Die Ozeane, die immerhin zwei Drittel der Erdoberfläche bedecken, sind als Energiequelle weltweit noch weitestgehend ungenutzt, wenn man von einigen Gezeitenkraftwerken an Flussmündungen absieht.
Das wird sich ändern, wenn es nach den Plänen des schwedischen Start-up-Unternehmens Ocean Harvesting geht. Das Unternehmen hat ein System mit der Bezeichnung „InfinityWEC“ (Wave Energy Converter) entwickelt, das Energie aus der Wellenbewegung der Ozeane gewinnen kann (Bild 1).
Ein Blick auf die Hydraulik
Das Grundprinzip ist einleuchtend. Auf dem Meeresgrund werden Bojen befestigt. Wenn sich die Schwimmkörper mit dem Wellengang anheben und absenken, wird diese Bewegung von einem Hydrauliksystem, einem Hydraulikspeicher, der mit einem großen Gasvolumen verbunden ist, und zwei Schwerlast-Kugelgewindetrieben von NSK aufgenommen. Die Muttern der Kugelgewindetriebe sind direkt mit dem Hydrauliksystem verbunden. Sie wandeln die lineare Auf- und Abbewegung in eine rotative Bewegung (der Welle des Kugelgewindetriebs) um. Diese Bewegung wirkt direkt auf einen Generator, der elektrischen Strom erzeugt (Bild 2).
Das Hydrauliksystem wirkt mit einer nahezu konstanten Kraft von 1 Meganewton (MN) auf die Boje. Die beiden Kugelgewindetriebe bringen in Kombination mit den Generatoren bidirektional eine Kraft von weiteren +/- 1 MN auf. Insgesamt wird somit eine kontinuierlich steuerbare Kraft von 0 bis 2 MN durch das „Power take-off“-Modul in jedem WEC bereitgestellt. Auf diese Weise wird eine hohe Leistungsdichte erreicht, was für eine entsprechend hohe Energieausbeute sorgt. In der Praxis werden zahlreiche solcher „Kraftwerke“ einen Park bilden (Bild 3).
Kugelgewindetriebe mit doppelter Aufgabe: Krafterzeugung und Dämpfung
Bis dieses ebenso elegante wie nachhaltige Konzept in die Praxis umgesetzt werden konnte, mussten viele Detaillösungen entwickelt werden. So muss zum Beispiel die optimale Ausrichtung des Bojenkörpers in jeder einzelnen Welle gewährleistet sein. Diese so genannte Phasenkontrolle ist essenziell für eine effektive Energiegewinnung. Das System erzeugt Energie, indem die durch die Kugelgewindetriebe aufgebrachten Kräfte der Bewegung entgegenwirken und damit die Funktion eines Dämpfungssystems übernehmen.
Mikael Sidenmark, CEO der Ocean Harvesting Technologies AB: „Vor dem Auflaufen jeder Welle muss die Boje optimal positioniert werden. Dazu leisten die Kugelgewindetriebe unterstützt vom Hydrauliksystem, das heißt durch die Kraft aus gespeicherter kinetischer Energie, einen entscheidenden Beitrag. Die Dämpfung, die sie ausüben, folgt einer von uns berechneten Kraftkurve, um ein Maximum an Energie zu gewinnen.“
Auch die Rückstellung der Kugelgewindetrieb-Mutter in der Abwärtsbewegung muss gewährleistet sein. Das übernimmt ebenfalls das Hydrauliksystem. Es speichert einen Teil der Energie, die durch die Auftriebskraft entsteht, und gibt sie während der Abwärtsbewegung an den Kugelgewindetrieb ab.
Langlebige und zuverlässige Antriebstechnik – intelligente Elektronik
Einen hohen Anteil des gesamten Entwicklungsaufwandes verursachte der Algorithmus, der bei jedem Hub des WEC eine möglichst gute Bojenposition ermittelt. Diese „Wunschposition“ wird durch gezielte Steuerung der Kraft erreicht, die von den Kugelgewindetrieben aufgebracht wird.
Eine weitere Innovation ist das zweistufige Überlastsystem. Bei starkem Seegang stoppt es sanft die Aufwärtsbewegung der Boje. Welchen Vorteil das bietet, erläutert Mikael Sidenmark: „Bei starken Wellenbewegungen bleibt die Boje unter Wasser. Sie erzeugt erst dann wieder Energie, wenn sie die Oberfläche erreicht. Im Unterschied zu anderen Systemen, die Strom aus Wellenenergie erzeugen, müssen wir die WECs also nicht abschalten, wenn hoher Wellengang herrscht. Das erhöht die Energieausbeute ganz erheblich.“
Auswahl des Antriebs: Zahnstange, Winde oder Kugelgewindetrieb?
Die Auswahl des Antriebssystems für diese Funktionen verlangte ebenfalls große Sorgfalt, zumal das System permanent unter widrigen Umgebungsbedingungen (gekapselt unter Wasser; Bild 4) arbeitet und die Wartungszugänglichkeit nur durch die Entnahme des kompletten Systems aus dem Wasser geschaffen werden kann.
Sidenmark: „Ursprünglich haben wir bei unseren Versuchen Windenantriebe genutzt, später dann auch Zahnstangenantriebe. Wir haben aber festgestellt, dass Schwerlast-Kugelgewindetriebe unser Anforderungsprofil am besten erfüllen. Sie bieten eine hohe Belastbarkeit in Kombination mit hoher Geschwindigkeit, langen Hüben, hoher Effizienz sowie einen hohen Wirkungsgrad bei der Umwandlung von linearer in rotative Bewegung bei vergleichsweise geringen Kosten.“
Den Ausschlag für NSK als Zulieferer und Entwicklungspartner gab letztlich die sehr lange Lebensdauer der Schwerlast-Kugelgewindetriebe aus der HTF-Serie von NSK (Bild 5). Sidenmark: „Die Kugelgewindetriebe sollen 100 Millionen Lastzyklen in zwanzig Jahren ausführen. Das ist sehr anspruchsvoll.“ Ein weiterer Grund für die Zusammenarbeit, so Sidenmark, ist die gute Unterstützung durch die Antriebsspezialisten von NSK.
Entwickelt für anspruchsvolle Hochlastanwendungen
Die Schwerlast-Kugelgewindetriebe der HTF-Serie wurden ursprünglich für anspruchsvolle Hochlastanwendungen im Maschinenbau entwickelt, unter anderem für Pressen und andere Umformanlagen sowie für Spritzgießmaschinen mit elektrischem statt hydraulischem Antrieb.
Mit ihrer Fähigkeit, sehr hohe Lasten aufzunehmen und dabei eine außergewöhnlich lange Lebensdauer zu erreichen, kommen sie auch in anderen Infrastruktur-Anwendungen zum Einsatz, zum Beispiel als Dämpfungselemente in neuartigen Systemen für den Erdbebenschutz von Hochbauten.
Vom Maßstabmodell zum 1:1-Prototypen
Aktuell testet Ocean Harvesting einen Prototypen des „InfinityWEC“ im Maßstab 1:10. Bei zufriedenstellendem Verlauf soll im Jahr 2023 ein Prototyp im Maßstab 1:3 im Meer erprobt werden. Im Anschluss daran wird ein erstes „Wellenkraftwerk“ in voller Größe seine Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen. Bis dahin muss und wird NSK auch noch Entwicklungsarbeit leisten und einen HTF Schwerlast-Kugelgewindetrieb in der von Ocean Harvesting benötigten Baugröße konstruieren und fertigen.
Die Gründer von Ocean Harvesting haben bereits Kooperationspartner für erste WEC-Anwendungen gefunden. So evaluiert ein norwegischer Öl- und Gaskonzern aktuell die Stromversorgung seiner Bohrplattformen per Wellenenergie. Und: Wellenenergie kann weltweit genutzt werden und gilt als die größte ungenutzte Quelle für die Erzeugung von regenerativer Energie. Der Markt für InfinityWEC ist also vorhanden, und mit der HTF-Serie von NSK hat Ocean Harvesting die geeigneten Kugelgewindetriebe für diese anspruchsvolle Anwendung ausgewählt.