Wärmerückgewinnung „Der Wärmemarkt hat eine Schlüsselfunktion für die Energiewende“


"Wir sehen gerade im Neubau für die Wärmepumpen nach wie vor eine sehr gute Perspektive."
Dr. Martin Viessmann ist geschäftsführender Gesellschafter und Präsident des Verwaltungsrates bei Viessmann.

05.10.2013

Die Energiewende stemmen nicht Sonne und Wind allein. Auch der Wärmemarkt will dabei helfen, die Mammutaufgabe zu bewältigen. Energy 2.0 sprach mit Dr. Martin Viessmann über die Zukunft des Wärmemarktes und seine Wünsche an die Politik.

Energy 2.0: Herr Dr. Viessmann, in der Geschichte Ihres Unternehmens spielen vor allem Öl und Gas eine Rolle, im Gegensatz zu Strom.

Dr. Martin Viessmann: Strom ist ein Derivat, das aus Kohle, Gas und Öl oder Wind- bzw. Sonnenenergie erzeugt wird. Insofern ist er kein originärer Energieträger. Strom wird aber in Zukunft eine deutlich größere Bedeutung erlangen, als das heute der Fall ist. Vor allem aber steigt die Bedeutung der erneuerbaren Energien. Mit Produkten zu deren Nutzung tätigen wir heute bereits fast 30 Prozent unseres Umsatzes. Ungeachtet dessen sollte man die fossilen Energieträger nicht unterschätzen. Auf Öl und vor allem auf Gas werden wir auf absehbare Zeit nicht verzichten können. Umso wichtiger ist deren möglichst effiziente Nutzung.

Hat Öl noch eine Zukunft?

Durchaus. In Deutschland sind sechs Millionen Ölheizungen installiert und wenn kein Gas- oder Fernwärmeanschluss in der Nähe ist, gibt es nicht viele Alternativen, ein Gebäude anlagentechnisch energetisch zu sanieren. Es wird sicher auch in Zukunft genügend Fälle geben, wo Öl-Brennwerttechnik, sinnvollerweise in Kombination mit Solar, eine umweltfreundliche und vor allem energieeffiziente Lösung darstellen wird.

In den vergangenen Jahren haben Wärmepumpen in den Haushalten großen Zulauf gehabt. Sehen Sie diese Entwicklung durch die Steigerungen beim Strompreis gefährdet?

Wir sehen gerade im Neubau für die Wärmepumpen nach wie vor eine sehr gute Perspektive, auch wenn ganz offensichtlich durch die steigenden Strompreise eine gewisse Verunsicherung eingetreten ist und die Nachfrage stagniert. In Zukunft wird aber der Eigenverbrauch von Photovoltaik-Strom gerade in Verbindung mit Wärmepumpen deutlich an Bedeutung gewinnen, denn diese Kombination kommt dem Wunsch vieler Hausbesitzer nach Autarkie entgegen.

Die Speicherung selber erfolgt ja heute oft über teure Batterien. Favorisieren Sie die Speicherung in Form von Wärme?

Wenn die Energiewende gelingen soll, muss der fossile Energieverbrauch deutlich gesenkt werden. Einmal im Wege der Effizienzsteigerung, aber vor allen Dingen müssen fossile Energieträger durch Erneuerbare ersetzt werden. Wenn diese Substitution durch erneuerbaren Wind- oder Solarstrom erfolgen sollen, muss man zunächst das Transportproblem lösen, aber dann auch das Speicherproblem. Gerade das ist sicher eine der größten technischen Herausforderungen. Momentan gibt es noch keine marktgerechten technischen Lösungen, aber viele Firmen beschäftigen sich mit der Entwicklung neuer Batterietechnologien.

Ist Power-to-Gas eine Lösung?

Wir können uns sehr gut vorstellen, dass Power-to-Gas eine wirkliche Alternative darstellt, um überschüssigen Solarstrom durch Elektrolyse in Wasserstoff umzuwandeln und unter Zusatz von CO2 zu 2 methanisieren. Das Erdgasnetz hat ein riesiges Speichervolumen. Erdgas liegt nahezu überall und insofern könnte das eingespeiste Methangas unabhängig von Zeit und Ort seiner Erzeugung bedarfsgerecht verbraucht werden. Aber das sind natürlich großtechnische Lösungen und da bedarf es eines politischen Willens und entsprechender Rahmenbedingungen. Wenn sich die neue Regierung gebildet hat, ist es eine ihrer primären Aufgaben, für das Gelingen der Energiewende - die ja nun politisch entschieden ist und für die es in meinen Augen kein Zurück mehr gibt - die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Dazu gehören die Lösung des Stromtransports und die richtigen Leitplanken für die Entwicklung von Technologien zur Speicherung von überschüssigem Strom.

Wie sollte das aussehen? Wünschen Sie sich ein Anreizprogramm?

Ich wünsche mir Technologieförderung auf wissenschaftlicher Ebene und Forschungsprojekte. Und dann auch die Unterstützung bei der Markteinführung. Wichtig ist eine ideologiefreie, technologieoffene und energieträgerneutrale Förderpolitik.

Sie waren in den letzten Jahren selber aktiv in der Politikberatung. Wo sind Ihre Erwartungen in den letzten Jahren von der Politik enttäuscht worden?

Vom Wärmemarkt aus betrachtet, mit dem wir unmittelbar zu tun haben, ist die Enttäuschung groß. Es ist auch in der laufenden Legislaturperiode nicht gelungen, den Wärmemarkt so zu adressieren, dass der Modernisierungsstau aufgelöst wird. Dabei wissen die Politiker sehr genau, dass der Wärmemarkt eine Schlüsselfunktion für die Energiewende hat. Würde man den Gebäudebestand energetisch sanieren, könnte die dadurch eingesparte Energie die Atomstromlücke schließen. Damit würde man auch die politischen Ziele erreichen. Es ist schade, dass die Abschreibung der energetischen Sanierung von Wohngebäuden im Bundesrat mehrere Male gescheitert ist und auf Eis liegt, weil sich Länder und Bund da nicht verständigen konnten.

Was war aus Ihrer Sicht die Ursache dafür?

Die Länder wären unmittelbar von geringerer Einkommensteuer betroffen gewesen, der Bund hingegen hätte höhere Mehrwertsteuereinnahmen erzielt. Da war es offensichtlich nicht möglich, ein Arrangement zu finden, obwohl die steuerliche Förderung den Staat kein Geld kostet, sondern zu Mehreinnahmen führt. Allen Politkern ist klar, dass es bei der Energiewende kein Zurück mehr gibt. Jetzt muss man abwarten, was die neue Regierung entscheiden wird. Vor allem muss man neben den erneuerbaren Energien den Stellenwert der Effizienztechnologien angemessen berücksichtigen.

Welche Leitplanken würden Sie den Politikern für die Zeit nach der Bundestagswahl vorgeben?

Zunächst, dass man aus der bisherigen Erfahrung lernt. Eine wichtige Erkenntnis ist sicherlich, dass Zwangsmaßnahmen nicht zielführend sind. Es geht darum, Anreize zu setzen und den Investoren einen größtmöglichen Entscheidungs- und Handlungsspielraum zu lassen. Nehmen Sie das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz in Baden-Württemberg. Das ist sicher gut gemeint, aber in der Konsequenz ist die Modernisierung in Baden-Württemberg stark rückläufig gegenüber vorher, weil es teilweise gar nicht möglich ist, die Anforderung zu erfüllen, mindestens zehn Prozent Anteil erneuerbare Energien zu erreichen. Jetzt denkt die Regierung sogar darüber nach, die Nutzungspflicht von 10 auf 15 Prozent zu erhöhen.

Führen also praxisfremde Vorgaben dazu, dass die Regelung floppt?

Ich würde nicht sagen, dass es ein Flop ist. Die Bemühung ist ja durchaus nachvollziehbar, aber wir brauchen mehr Praxisbezug. Vor allem wäre Überzeugungsarbeit mit Sicherheit zielführender als ordnungspolitische Vorgaben, die zunächst einmal höhere Kosten verursachen.

Mit Ihrem Effizienz-Plus-Projekt haben Sie selbst gute Erfahrungen gemacht. Können Sie es als Blaupause für mehr Energieeffizienz auch kleineren Unternehmen empfehlen?

Unser Projekt „Effizienz Plus“ dient nicht nur der Effizienzsteigerung. Es ist auch ein Modell zur CO 2-Reduzierung durch erneuerbare Energien und setzt im Prinzip eine Doppelstrategie um: Auf der einen Seite sollen fossile durch erneuerbare Energien ersetzt und parallel dazu Effizienztechnologien für die Nutzung fossiler Energie eingesetzt werden, um CO 2-Emissionen zu reduzieren. Wir haben mit diesem Modellprojekt den Beweis geführt, dass man nicht auf Technologien von morgen warten muss. Mit marktverfügbarer Technologie sind heute bereits die politischen Ziele von 2050 erreichbar. Wir haben mit wirtschaftlichen Investitionen die CO 2-Emissionen um 80 Prozent reduzieren können. Unsere Erfahrungen geben wir weiter an unsere Marktpartner, indem wir sie beispielsweise im Rahmen unserer Energieforen vorstellen. Darüber hinaus haben wir auch eine Beratungsgesellschaft gegründet, die interessierte Firmen über alternative Möglichkeiten berät, die Energieeffizienz zu steigern und CO 2-Emissionen zu reduzieren.

Trägt sich eine solche Energieberatung schon wirtschaftlich?

Es ist gar nicht unser Ziel, damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das Know-how aus unserem Projekt stellen wir Marktpartnern zur Verfügung, aber ganz wichtig für uns ist es ja, die Anwendung der Produkte in der Praxis zeigen zu können. Heute und in Zukunft sind immer mehr Systeme gefragt und hier wollen wir vor allem die Systemeinbindung demonstrieren. Selbstverständlich unterstützen wir dann andere Industrieunternehmen bei der Entwicklung von Energiekonzepten. Wir sehen uns hier in einer beratenden und unterstützenden Funktion - nicht mehr.

Nachhaltigkeit ist für Sie ein großer Wert. Was bedeutet das für Sie im Zeichen der Energiewende konkret?

Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir Ressourcen schonen und die Lebensgrundlagen der Folgegenerationen erhalten. Wenn man sich mal vor Augen führt, dass die Menschheit in einem Jahr so viel Energie verbraucht, wie in einer Million Jahren eingelagert worden ist, oder dass sich der Energieverbrauch seit 1970 verdoppelt hat und sich bis 2030 verdreifachen wird, ist wohl jedem klar, dass es so nicht weiter gehen kann. Insofern muss man durch Effizienzmaßnahmen den Verbrauch fossiler Energie reduzieren und sie durch sinnvolle Nutzung erneuerbarer Energien ersetzen. Das ist die Aufgabe jedes Einzelnen. Nachhaltigkeit war schon immer Leitlinie unseres Handelns. Unser Unternehmen zählt zu den Umweltpionieren. Wir sind das erste Unternehmen unserer Branche und das zweite Unternehmen überhaupt gewesen, das nach EMAS zertifiziert worden ist. Hinzu kommt, dass wir ein Familienunternehmen sind und nicht kurzfristig orientiert handeln, sondern mittel- bis langfristig und dabei vor allem auf Kontinuität setzen. Auch deshalb ist die Nachhaltigkeit ein zentraler Wert unserer Unternehmenskultur.

Beim Klimaschutz wird heute immer öfter kontrovers diskutiert, ob eine globale Erwärmung eigentlich stattfindet und wenn ja, wie stark sie von den CO 2-Emissionen der Menschheit verursacht ist. Wie sehen Sie das?

Dass sich das Klima wandelt, sollte unstrittig sein. Man muss doch nur mal schauen, wie die Gletscher abschmelzen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welcher wissenschaftlichen Theorie er folgt. Ich bin davon überzeugt, dass wir irgendwann ein ökologisches Desaster erleben werden, wenn der Energieverbrauch weiter steigt. Dieser Verantwortung muss sich unsere Generation bewusst sein. Hier sind nicht nur die Politiker gefordert, internationale Abkommen zu schließen oder national die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, sondern da ist jeder Einzelne in der Pflicht. Ich sehe unser Unternehmen in besonderer Weise gefordert.

Sehen Sie in Großprojekten wie Desertec, die in Schwierigkeiten geraten, ein Menetekel für die zentrale Energieversorgung durch erneuerbare Energien?

Nein, niemand konnte ernsthaft annehmen, dass ein visionäres Konzept wie Desertec alle Probleme unserer Energieversorgung lösen würde. Die Politik muss klare Ziele formulieren, aber auch darüber nachdenken, mit welchen konkreten und realistischen Maßnahmen diese Ziele erreicht werden können. Sie muss die Zielerreichung überwachen, wie in der freien Wirtschaft auch. Ein gesamthaftes, strategisches Konzept fehlt aber schlicht.

�?� so ähnlich wie auch beim Kostenanstieg durch das EEG.

Die Politiker, die seinerzeit das EEG auf den Weg gebracht haben, hätten doch schon damals wissen müssen, dass ein ungebremster Ausbau von Photovoltaik und Windenergie zu stark steigenden Strompreisen führt, wenn nicht die entsprechenden Transportkapazitäten geschaffen werden durch die damit verbundene dezentrale Stromerzeugung - und wenn nicht rechtzeitig geklärt wird, was mit dem überschüssigen Strom passiert. Es ist bedrückend, dass die Antworten und möglichen Lösungsansätze hierfür erst jetzt diskutiert werden. Wenn ich mir Ziele setze, muss ich antizipieren, was zur Zielerreichung alles an Maßnahmen erforderlich ist und darf keine Teilbetrachtung anstellen.

Der Weitblick der Politiker reicht aber oft nur eine Legislaturperiode.

Wer in politischer Verantwortung steht, der muss sich dessen bewusst sein, dass seine Entscheidungen Wirkung über diese vier Jahre hinaus entfalten. Deshalb muss er bereit sein, ideologiefreie Ziele zu setzen und längerfristige Maßnahmen zur Zielerreichung auf den Weg zu bringen. Mit der Reduzierung von CO 2alleine ist es doch nicht getan. Es ist allen klar, dass der Strom bezahlbar bleiben muss. Die Energiewende hat verschiedene Dimensionen. Es geht nicht nur um Ökologie, sondern auch um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts und die Sicherung des Wohlstandes. Letzteres trifft den „ganz normalen“ Bürger. Als man damals dieses Gesetz verabschiedet hat, hätte man schon Weichen stellen müssen. Es gab genug Stimmen, die darauf aufmerksam gemacht haben.

Brauchen wir für das Monitoring der Energiewende einen Energieminister?

Das habe ich Frau Merkel sogar schon vor Jahren vorgeschlagen. Das Gelingen der Energiewende hat mittlerweile eine dermaßen große volkswirtschaftliche Bedeutung, dass ein eigenes Ministerium hierfür eigentlich überfällig ist. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest die Weichen so gestellt werden, dass es eine klare eindeutige Verantwortlichkeit gibt. Es wäre schon mal ein ganz entscheidender Schritt, dass jemand für die Energiewende verantwortlich gemacht wird und es wäre toll, wenn der nächste Bundeskanzler bzw. die Kanzlerin das zur Chefsache machen würde.

Dieses Interview erscheint in der Energy 2.0 wenige Tage vor Ihrem 60. Geburtstag. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Energie?

Mein Wunsch wäre es, dass sich alle nicht nur zur Nachhaltigkeit bekennen, sondern nachhaltig handeln.

Und für die eigene Zukunft?

Wenn man 60 wird, ist der dritte Lebensabschnitt nicht fern. Ich wünsche mir, dass die nächste Generation das Unternehmen erfolgreich weiter führt.

Aber der wollen Sie das Ruder nicht so schnell überlassen?

Alles zu seiner Zeit.

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