Wenn Bill Gates sich in Prophezeiungen ergeht, dann lauscht die Technikwelt. Bereits 1994 soll er gesagt haben, der elektronische Marktplatz werde unsere Kultur ebenso verändern wie Gutenbergs Druckerpresse die Welt des Mittelalters. Es mag Zufall sein, dass zu eben dieser Zeit Amazon die Bühne betrat. Das Unternehmen gilt heute als einer der größten Online-Händler der Welt und bietet nahezu grenzenlosen Konsum, rund um die Uhr.
Der Erfolg der Onliner lässt auch die klassischen Händler nicht ruhen, doch deren Online-Strategien könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Handelsketten wie Media-Saturn im Preiskampf mit Online-Händlern wie Amazon liegen, ist die Unterhaltungsbranche noch auf der Suche nach zukunftsfähigen Geschäftsmodellen, Banken oder Automobilhersteller hingegen konzentrieren sich auf Services. Und auch die Energiebranche hat mittlerweile die Online-Welt für sich entdeckt.
Chance für die Energiewirtschaft
Vom Potenzial der digitalen Marktplätze profitieren Unternehmen der Energiebranche auch im B2B-Geschäft. Eon erweitert sein Online-Angebot deshalb für Großkunden um ein integriertes Portal, mit dem sie ihre Strom- und Gasportfolios über das Internet managen können. Mit „Eon Digital für Großkunden“ reagiert das Unternehmen auf die Veränderungen des Strom- und Gasmarkts in den vergangenen Jahren: Viel kleinteiliger und schneller ist das Geschäft geworden. Wie Privatleute erwarten auch Großkunden heute Vorteile von der Digitalisierung. Vor allem wollen sie schnell und effizient reagieren, um zum bestmöglichen Preis verkaufen können.
Das integrierte Portal bietet dafür aktuelle Informationen und schnelle Reaktionsmöglichkeiten. „Eon Digital ist kein reines Informationsportal, sondern interaktiv“, erklärt Oliver Renzel. Der Leiter Portfoliomanagement Strom & Gas bei Eon Energie Deutschland hat die zündende Idee für das Portal gehabt. Hier können Kunden nun Strom- und Erdgasmengen online kalkulieren und bestellen, Verträge aktiv bewirtschaften, Mengentranchen bestellen oder sich realisierte Bezüge viertelstunden- oder stundengenau darstellen und analysieren lassen. So behalten sie den Überblick über ihre Energieverbräuche und können genauer planen – und das alles auch auf mobilen Endgeräten. Das Portal richtet sich insbesondere an große Industriekunden und Stadtwerke, die damit ihren Energiebedarf auf Knopfdruck managen können.
„Wir stellen uns vor, dass der Kunde morgens sein Portal einschaltet und den ganzen Tag über damit arbeitet“, beschreibt Renzel das ideale Nutzerverhalten. Um das dem Kunden schmackhaft zu machen, verknüpft die Lösung Funktionen miteinander: Neben der Energiebeschaffung und der Visualisierung des Energieverbrauchs im Unternehmen gehören dazu auch Marktberichte, lebendig aufbereitet beispielsweise als Experten-Podcasts. Die Marktdaten und -analysen sollen den Kunden als Entscheidungshilfe für die Bewirtschaftung ihrer Portfolios dienen.
Für die Grundfunktionen musste Eon das Rad nicht neu erfinden, sondern konnte aus einer Fülle an Applikationen schöpfen, die der Konzern bisher als Einzellösungen angesehen hat. Sie alle sollen aber in Zukunft in eine Gesamtlösung münden, die zu einer Single-Sign-On-Lösung reifen soll: Einmal anmelden, auf alle Funktionen zugreifen.
Wächst mit seinen Aufgaben
Damit ist dann aber noch längst nicht Schluss mit dem Ausbau des Portals, denn es soll anhand von Kundenbedürfnissen ständig wachsen und „lernen“. „Große Konzerne wie Eon waren in der Vergangenheit mitunter schwerfällig unterwegs. Mit dem Portal zeigen wir unseren Kunden, wie flexibel wir heutzutage agieren“, erläutert Renzel den Hintergrund dieser „agilen“ Strategie.
Den Prototyp hat Eon bereits auf der E-World 2014 vorgestellt. Seit Juli sammelt der Konzern Erfahrungen mit Kunden, die das Portal bereits vorab nutzen. Noch in Entwicklung befinden sich beispielsweise Funktionen zur EEG-Direktvermarktung, die auf Anregung der Kunden entstehen. Etwa alle sechs Wochen erhält das System neue Funktionen und Services. Die nächste Palette an Funktionen stellt Eon zur E-World 2015 vor. Geplant ist außer der Unterstützung für die Direktvermarktung auch ein Zielpreisalarm, der Kunden wie bei einem Aktiendepot benachrichtigt, wenn ein Produkt eine Kursschwelle erreicht.
Portal mit Potenzial
Erste Stimmen aus der Branche seien positiv: Eon sprach auf der Stadtwerketagung im Mai mit Kunden, wo etwa Marco Krasser, Geschäftsführer SWW Wunsiedel, die Transparenz hervorhob, die durch eine „gleiche Sicht auf die Dinge“ sowohl aus Verkäufer- als auch Käuferperspektive entstehe. Lob habe es auch für den schnellen Zugang zu Energiedaten gegeben, etwa von Dr. Alfred Kruse, Geschäftsführer der Stadtwerke Burg. Vor dem Hintergrund steigender Umsatzerwartungen beim E-Commerce liegt Eon mit seiner Strategie also in gutem Fahrwasser. Denn beispielsweise der Konjunkturindex für E-Commerce, den Intellishop und das E-Commerce-Center Köln alle zwei Monate herausgeben, vermittelt einen Eindruck davon, wo Deutschland beim Online-Handel steht. Demnach zeigt die Wachstumskurve hierzulande stetig nach oben. Mitte 2014 bewerteten zwei von drei befragten Unternehmen ihre E-Commerce-Umsätze positiv bis sehr positiv. 83,7 Prozent gaben an, in den kommenden zwölf Monaten mit einem weiteren Wachstum der E-Commerce-Umsätze zu rechnen.
Oliver Renzel könnte also zufrieden sein mit dem, was er und sein etwa 25-köpfiges Team erreicht haben. Die größte Aufgabe steht der Mannschaft jedoch noch bevor: „Wir wollen die Brücke vom klassischen Commodity-Lieferanten zu einem echten Service-Anbieter schlagen.“