Energy 2.0: Herr Dr. Ritter, was bewirkt der Kostendruck in der Energiebranche?
Dr. Jörg Ritter: Die Netzseite, die massiv von der Anreiz-regulierung betroffen ist, muss ihre Gesamtorganisation optimieren. Im Sinne kosteneffizienter Kundenprozesse ist es auf der Lieferantenseite ähnlich, und dort werden Produkte eine noch sehr viel stärkere Rolle spielen.
Wie kann man wieder Margen-reichere Produkte finden?
Am Stromverkauf kann man kaum noch verdienen. Die Energieversorger müssen Services schaffen, mit denen sie den Kunden letztendlich binden können. Das immer wieder zitierte Kühlhaus, dessen Lastverschiebepotential intelligent am Strommarkt genutzt werden kann, ist da ein gutes Beispiel. Es führt aber nicht unbedingt dazu, dass weniger Strom verbraucht wird, sondern dass der Strom zu Zeiten eingekauft wird, zu denen er günstiger ist. Das ist üblicherweise dann der Fall, wenn überschüssiger Wind- oder Solarstrom erzeugt wird.
Gibt es so wenig Potenzial, dass man immer wieder auf die gleichen Beispiele stößt?
Das Kühlhaus ist ein besonders plakatives Beispiel. Das Verfahren ist überall einsetzbar, wo eine disponible Strommenge vorhanden ist, nicht nur im Verbrauch, sondern auch in der Eigenerzeugung.
Dieses Demand Side Management erhöht den Steuerungsaufwand. Rechnet sich das?
Ein vier- bis fünfstelliger Euro-betrag ist für die Anbindung in der Regel nötig. Den muss man natürlich wieder herausholen, aber das Potenzial ist vorhanden, weil die Ersparnisse fünf bis zehn Prozent der Energiekosten ausmachen können. Der Energielieferant sollte die dazu notwendigen Prozesse wie Prognose, Optimierung oder Handel weitestgehend automatisieren.
Dezentrale Energieerzeugung erfährt derzeit einen großen Schub. Ist das eine Goldgrube für alle IT-Dienstleister?
Ja, das kommt zwar nicht auf einen großen Schlag, aber sukzessive, etwa bei der Direktvermarktung. 65 Prozent der Onshore-Windenergie wird direkt vermarktet und das heißt, sie ist prinzipiell wie erwähnt zum Laden eines Kühlhauses als Stromspeicher nutzbar. Man kann sie sogar noch weiter veredeln, zum Beispiel für die Bereitstellung von Regelenergie. Das bedarf dann einer speziellen IT-technischen Lösung. Der Markt ist da und auch schon umkämpft.
Kommen wir zum Smart Metering: Warum bewegt sich da denn so wenig?
Das frage ich mich auch.
Hat die Branche bei diesem Thema schon resigniert?
Könnte man fast meinen. Aus meiner Sicht herrscht immer noch eine hohe Verunsicherung, was es uns tatsächlich flächendeckend bringt, bis 2020 das EU-Ziel umzusetzen, 80 Prozent der Meter smart zu machen. Die EU hatte für alle Mitgliedsländer vorgegeben, bis September 2012 eine Kosten-Nutzen-Analyse anzustellen. Das BMWi hat die Analyse aber erst zu diesem Zeitpunkt ausgeschrieben und die Ergebnisse werden erst 2013 erwartet. Das heißt auch, dass sie für die Bundestagswahl nicht mehr deutbar sind. Klar ist, dass die Investitionen in diese Infrastruktur über Netz- oder andere Entgelte wieder hereinkommen müssen. Das passt im Augenblick nicht in die Diskussion um die Strompreise, auch im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl.
Verbraucher sind ja bereit, für Luxus, Bequemlichkeit und Sicherheit Geld auszugeben. Erwarten Sie 2013 einen Durchbruch für Smart-Home-Technologie?
Es mag mehr Bewegung in den Markt kommen, wir sehen aber für 2013 keine Revolution. Ich sehe auch Energiemanagement im Haushalt nicht als einen schnellen Boom, aber durch den Umbau des Energiesystems ist das eine zunehmend interessante Fragestellung. Zu beachten ist allerdings, dass hausinterne Energiemanagementsysteme, die sinnvollerweise im Verbund mit dem Netzbetreiber und dem Lieferanten arbeiten sollten, stark von den noch zu finalisierenden BSI-Sicherheitsprofilen abhängig sind.
Wie attraktiv sind smarte Lösungen auf der Kostenseite?
Es stellt sich die Frage der Anrechenbarkeit der Kosten für solche Lösungen. Im Augenblick ist es ein Problem für uns und unsere Mitbewerber, dass nur Investitionen in den Netzausbau typischerweise auch in die Netzentgelte einfließen. Intelligente IT-Lösungen werden dagegen im Rahmen der Netzentgelte nur anerkannt, wenn man sie entsprechend rechtfertigen kann. Das ist bei den innovativen Technologien aber nur schwer nachweisbar. Eigentlich müsste auch ein Netzunternehmen in diesem Umfeld forschen und die Investition für Pilotprojekte in sogenannte smarte Netze anrechnen können. Das kann es aber nicht und das prangern die Netzgesellschaften an. Wir sehen große Einsparpotenziale gegenüber dem konventionellen Netzausbau, wenn mittels entsprechender IT-Überwachung und -Steuerung die Netze stärker ausgelastet werden können. Eine "Kupferplatte Deutschland" stellt zwar für einen Smart Market eine ideale Plattform dar, sie ist aber für uns alle nicht finanzierbar.
Was steht sonst noch auf Ihrer Wunschliste an die Politik?
Fragen, die wir noch adressieren, betreffen das Marktdesign und eine Verlässlichkeit in der Entwicklung der Gesetzgebung. Es steht außer Frage, dass wir erneuerbare Energien weiter ausbauen müssen, nur das Wie ist die kritische Frage. Die Politik muss die wesentlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Diese müssen sich auf die Einhaltung der Ziele in Bezug auf den Klimawandel, die ausreichende Unabhängigkeit von Energieimporten und den kontrollierten Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang mit dem Netzausbau konzentrieren. Unser Beitrag als IT-Unternehmen besteht darin, auf Seiten der IT-Systeme gute und vor allem kostengünstige Lösungen zu schaffen. Netzseitige Investitionen in diese IT müssen dann aber auch bei den Netzentgelten anerkannt werden.
Darf man in einem Wahljahr da neue Impulse erwarten?
Über die von mir angerissene genauere Trennung zwischen Smart Grid und Smart Market diskutieren auch die Verbände mit der Bundesnetzagentur. Bei dieser Diskussion gibt es noch kein abgeschlossenes Bild, aber ich erhoffe mir, ähnlich wie beim übergeordneten Marktdesign, dass das stärker und schneller vorangetrieben wird. Das wird 2013 nicht zu einer Lösung führen, aber man kann erwarten, dass neue Regierungsprogramme und Energiekonzepte das forcieren werden.
Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.