Europa wächst zusammen, auch bei der Stromversorgung. Dafür sorgt unter anderem eine neue Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ), die zwischen dem französischen Baixas und Santa Llogaia in Spanien errichtet wurde. Die zusätzliche Verbindung wird die Stromaustauschkapazität zwischen den beiden Ländern, die derzeit 1400 MW beträgt, verdoppeln. Nachdem die Tests im Sommer beendet wurden, nimmt sie ihren kommerziellen Betrieb im September auf.
Die Anlage kann zusätzlich zweimal 1000 MW in beide Richtungen übertragen und wurde von Siemens in der neuen HVDC-Plus-Technologie errichtet (siehe Kasten auf Seite 46). Die Entfernung zwischen den beiden Stromrichterstationen, die für die Übertragung benötigt werden, beträgt rund 65 Kilometer. Die Gleichstromkabel wurden in der Erde verlegt und auf einer Strecke von 8 Kilometer in den Pyrenäen durch einen Tunnel geführt.
Tim Dawidowsky, CEO der Business Unit Transmission Solutions in der Siemens-Division Energy Management, erklärt: „Das HGÜ-System als Stromverbindung zwischen Frankreich und Spanien hat Modellcharakter. Es ist ein zukunftsweisender Weg, wie Engpässe in den europaweiten Übertragungsnetzen nach und nach beseitigt werden können. Mit unserer HGÜ-Anlage, der derzeit weltweit leistungsstärksten ihrer Art, haben wir einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet.“ Die ersten Tests zur Inbetriebnahme der Stromrichterstationen wurden bereits erfolgreich durchgeführt.
Selbstgeführte Leistungselektronik, die wie bei HVDC Plus anstelle von Thyristoren IGBT verwendet, kann beliebig ein- und ausgeschaltet werden und erhöht so die Dynamik des Systems. „Für die angeschlossenen Wechselspannungsnetze ist es vorteilhaft, dass Blind- und Wirkleistung unabhängig voneinander dynamisch steuerbar sind“, erklärt Dawidowsky. Zudem benötigt diese Bauweise deutlich weniger Platz und eignet sich so auch für eng bebaute Umgebungen oder auch Offshore-Plattformen – ist allerdings auch teurer. Auf der anderen Seite sind die Investitionen aufgrund der kleineren Anzahl von Übertragungsleitungen, einfacherer Strukturen und des Wegfalls von Filtern geringer.
Stufenlose Blindleistungsregelung
Beim HGÜ-Projekt zwischen Frankreich und Spanien ist es Siemens gelungen, die Leistungsfähigkeit der modernen Umrichtertechnik auf 1000 MW zu erhöhen. Die Übertragungsgleichspannung beträgt +/- 320 kV – auch ein neuer Rekord. Die Umkehr der Energieflussrichtung ist innerhalb von nur 150 Millisekunden möglich. Auftraggeber der neuen Verbindung, die die iberische Halbinsel besser an die Stromnetze Europas anschließt, ist die Projektgesellschaft Inelfe (Interconnexion Electrique France Espagne), die von den Stromversorgern Réseau de Transport d’Electricité (RTE, Paris) und Red Eléctrica de Espana (REE, Madrid) gegründet wurde.
Das gesamte Investitionsvolumen für die Doppelleitung liegt bei 700 Mio. Euro. Dazu hat die Europäische Kommission 225 Mio. Euro an Zuschüssen geleistet, die European Investment Bank hat zudem einen Kredit in Höhe von 350 Mio. Euro gewährt. Darin inbegriffen war die Umsetzung technischer Besonderheiten, die nur mit der modernen Umrichtertechnik zu realisieren waren. Dazu zählen die von der Energieübertragung unabhängige und stufenlose Blindleistungsregelung in den Netzen von RTE und REE sowie die schnelle Energierichtungsumkehr im Falle einer Netzstörung.
Nicht zuletzt ermöglicht die Schwarzstartfähigkeit dem HGÜ-System, das betroffene Energieversorgungsnetz schnellstmöglich wieder aufzubauen. „Zudem weisen Frankreich und Spanien zeitlich unterschiedliche Peaks bei der Höchstlast im Tagesverlauf auf, die sich mit der neuen Verbindung sehr gut ausgleichen lassen“, betont Yves Decoeur, General Manager der Inelfe.
Stromaustausch verdoppelt
Die iberische Halbinsel hat derzeit eine der geringsten Anbindungsraten auf dem Stromsektor in ganz Europa, das heißt die Möglichkeiten des Stromimports oder -exports sind deutlich limitiert. Immerhin wird die Kapazität des Stromaustausches dank der neuen Verbindung von 3 auf 6 Prozent verdoppelt, bleibt aber noch unter der Empfehlung der EU von mindestens 10 Prozent. Dennoch erhöht sich die Versorgungssicherheit auf beiden Seiten der Pyrenäen und ermöglicht die Integration von weiteren erneuerbaren Energiequellen, ohne die Netzstabilität zu gefährden.
So sind in Spanien 30.000 MW insbesondere an Wind- und Solarenergie verfügbar. Das Projekt zwischen Frankreich und Spanien hat auch deshalb Vorbildcharakter für ganz Europa und ist damit ein Meilenstein auf dem Weg zum gemeinsamen Energiemarkt innerhalb der EU.