Interview über Energiebeschaffung für KMUs Günstigen Strom einkaufen

Strommarkt-Experte Tobias Federico von Montel Analytics

Bild: Energy Brainpool
20.09.2024

Wie können sich energieintensive mittelständische Unternehmen gegen hohe und volatile Strompreise absichern? Beides zugleich sei „ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt der Strommarkt-Experte Tobias Federico von Montel Analytics gegenüber unserer Schwesterpublikation energy.prime. Denn man könne sich nur gegen hohe Preise absichern, wenn man sich zu einem fixen Preis bindet, der dann aber günstig sein soll.

Herr Federico, nachdem sich verschiedene Energieökonomen für eine Aufteilung Deutschlands in unterschiedliche Strompreiszonen ausgesprochen haben, treten nun Industrie- und Wirtschaftsverbände für den Status Quo ein. Warum braucht der deutsche Strommarkt eine solche Initiative?

Nun ja, als aller erstes muss man dazu sagen, dass es am Strommarkt immer wieder Wellen beziehungsweise Modeerscheinungen gab, die eine gewisse Dominanz gezeigt haben. Zu Beginn der 2000er war es das Thema: Man braucht keine Kraftwerke, wir haben doch den Markt. Nach der Enron-Pleite waren konventionelle Kraftwerke das Asset der Stunde. In den Jahren 2005 bis 2014 hat sich der Stromhandel in seiner Dominanz durchgesetzt und den Strommarkt bestimmt. Seit 2015 haben wir eine verstärkte Dominanz von Netzthemen, die versuchen ihre „Duftmarke“ im Strommarkt zu hinterlasse. Und seit der Energiekrise 2022 sind es die Energieökonomen, die zur Hilfe genommen wurden, um die Komplexität des Systems, zu dem der Strommarkt mittlerweile geworden ist, zu erfassen und politisch zu gestalten. Bei Letzteren sind zwar oft gute Ideen entstanden, deren praktische Umsetzungen aber entweder ein Ding der Unmöglichkeit waren oder politisch kurzfristig zurückgezogen wurden – wie etwa die Gasumlage – beziehungsweise langfristig den Markt verunsichert haben, wie die Erlösabschöpfung. Unter diesem Aspekt ist der aktuelle Streit zwischen den Ökonomen und den Verbänden, die im Übrigen in dieser Konstellation noch nie ein gemeinsames Statement veröffentlicht haben, zu sehen. Die einen sehen das aus einer theoretischen Brille mit guten Argumenten und die anderen sehen das aus einer praktischen und pragmatischen Brille auch mit guten Argumenten.

Sind steigende Redispatch-Kosten und negative Strompreise nicht ein klares Indiz dafür, dass der Strommarkt nicht richtig funktioniert?

Steigende Redispatch-Kosten und negative Strompreise sind für mich nur Symptome. Die Ursache liegt aber nicht in der Preiszone oder im Marktdesign an der Strombörse, sondern im fehlenden Netzausbau und der fehlenden Flexibilisierung der Stromnachfrage auch durch neue Technologien, die nicht mit der Geschwindigkeit des Ausbaus von EE einhergehen. Und die Krankheit ist der fehlende Investitionswille und -anreiz, gepaart mit umfassender Bürokratie und „Not in my backyard“-Mentalität. Der Strommarkt im Sinne der Preissignalgeber funktioniert gut. Die Liquidität und das Vertrauen in den Markt ist gegeben, gerade, weil er nur eine Preiszone abbildet, sonst wäre die Liquidität in den einzelnen Preiszonen deutlich geringer. Zudem gibt es die Gefahr einer lokalen Marktmarkt, wenn in einer Preiszone ein Unternehmen eine hohe Anzahl an Kraftwerkserzeugungskapazitäten hat. Aber wie schon gesagt, negative Strompreise zeigen, dass flexible Nachfrager fehlen und hohe Redispatchkosten zeigen, dass das Netz nicht vernünftig ausgebaut wurde.

Vor allem Batteriespeichersysteme und flexible Stromverbraucher wie etwa Elektrolyseure können systemdienlich eingesetzt werden. Das hilft in den Regionen mit Stromüberschüssen aber nur, wenn ihr Betrieb auch wirtschaftlich ist. Wie muss das Marktdesign verändert werden, damit diese Anlagen in das Energiesystem integriert werden und den weiteren Ausbau der Erneuerbaren sinnvoll flankieren können?

Argument der Investitionsanreize in Netzinfrastruktur und in Kraftwerke eingeführt wurden, gesehen, dass es noch heute nicht nur deutliche Preisunterschiede gibt, sondern wir sehen auch, dass Wasserkraftwerke und Windkraftwerke einfach dorthin gebaut wurden, wo der „Brennstoff“ in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, völlig unabhängig von den Preiszonenpreisen. Mit anderen Worten, in 30 Jahren haben es die Preiszonen nicht geschafft, das richtige Preissignal für Investitionsanreize zu setzen. Denn dafür sind die Preisdifferenzen auf Dauer zu gering, aber vor allem einfach zu volatil, als dass ich nur auf dieser Basis eine Investitionsentscheidung treffen würde. Flexibilisierungssysteme würden heute schon funktionieren, wenn es das Thema Netzentgelte nicht gäbe und diese Systeme den Großhandelsmarktpreis abbilden könnten. Wenn ich jedoch fixe Netzentgelte pro kWh zu zahlen habe, nimmt mir das einen Großteil der Marktchancen. Dynamische Netzentgelte könnten helfen, aber auch die Entscheidung der Erlösabschöpfung im Energiekrisenjahr hält viele Marktteilnehmer davon ab, auf sehr volatile oder hohe Strompreise zu setzen, denn es besteht die Gefahr, dass die Politik wieder eingreift. Das ist ein Effekt, der nicht zu unterschätzen ist und auf Energieökonomen-Seite wahrscheinlich noch gar nicht wahrgenommen wurde.

In Skandinavien und auch in den USA hat man mit regionalen Strompreiszonen gute Erfahrungen gemacht. Sind regionale Strompreiszonen nicht auch hierzulande zumindest so lange eine sinnvolle Alternative, wie der verzögerte Netzausbau noch hinter dem Zubau an erneuerbaren Energien hinterherläuft? Warum lassen sich diese Erfahrungen aus dem Ausland nicht auf Deutschland übertragen?

Also, wie schon gesagt, Skandinavien hat sei 30 Jahre Zonale Preise und der Netzausbau läuft immer noch hinterher. Und in den USA sind sogar Nodale Preissysteme eingeführt worden, die noch kleiner sind und aus Netzknotenpunkten Preise bilden. Was diese beiden Märkte gemeinsam haben und was diese von Deutschland ganz klar unterscheidet, ist die Effizienz der sogenannten Contract for differences (CfD). Jeder Markt hat das Problem der fehlenden Liquidität. Und wenn sich eine Zone oder ein Knotenpunkt, in dem ich gerade nicht bin, als sehr liquide ausweist, dann habe ich natürlich, wenn ich in der für mich falschen Preisezone bin, ein deutliches Problem. Das konnte in diesen Märkten ganz gut durch die Differenzkontrakte behoben werden. Da aber ein Netzengpass vorliegt, beinhalten diese Kontrakte keine physische Lieferung, sondern einen finanziellen Ausgleich. Und dies sind sogenannte Future-Kontrakte mit einem täglichen Gewinn und Verlustausgleich, der Variation Margin. Das ist etwas, was in Deutschland nicht durchsetzbar ist, denn die meisten Versorger und die meisten Industriekunden dürfen keine Finanzprodukte handeln. D.h. sie können sich gar nicht absichern. In Skandinavien und den USA ist das ganz anders, da sind Finanzprodukte der Standard. Deswegen wird ein solche System in Deutschland scheitern.

Mal von der aktuellen Diskussion abgesehen, ganz pragmatisch für unsere Leser gefragt: Welche Maßnahmen sollten energieintensive mittelständische Unternehmen ergreifen, um sich gegen hohe und volatile Strompreise abzusichern?

Oh, beides ist ein Ding der Unmöglichkeit. Denn man kann sich nur gegen hohe Preise absichern, wenn man sich fest zu einem fixen Preis bindet, der dann aber günstig ist. Und günstig sind die Preise nur dann, wenn sie auch volatil sind. D.h. ich muss die Volatilität nutzen, damit ich den günstigen Zeitpunkt zur langfristigen Absicherung nutze. Aber ich bin dann abgesichert, ich bin eingeloggt und kann nichts mehr machen. Spiele ich hingegen die Volatilität, ohne mich gegen hohe Preise abzusichern und baue ich auf volle Verbrauchsflexibilität, dann habe ich eine Berg- und Talfahrt mit günstigen Preisen, aber auch mit hohen Preisen.

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