Wer kühlen will, muss Wärme wegschaffen. Und wer es warm mag, muss zum Heizen Wärmeenergie liefern. Der Prototyp der Universität des Saarlandes tut genau das: Er transportiert Wärme, und zwar mit einer völlig neuen Methode, die ohne die Nachteile der bisher üblichen Arten zu kühlen und zu heizen auskommt. „Klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel etwa braucht man dafür nicht“, sagt Messtechniker Professor Andreas Schütze.
Im Grunde basiert das Verfahren darauf, dass Drähte aus einer besonderen Formgedächtnislegierung, in diesem Falle Nickel-Titan (NiTi), gezogen und wieder entlastet werden. „Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese“, erklärt Stefan Seelecke, Professor für Intelligente Materialsysteme der Saar-Universität.
Bei den Drähten aus Nickel-Titan ist dieser Effekt besonders stark: Wenn gespannte Drähte bei Raumtemperatur wieder entlastet werden, kühlen sie sich dadurch um bis zu etwa 20 °C ab. Das macht es möglich, Wärme abzutransportieren. „Beim Belasten findet eine ebenso große Erwärmung statt, sodass der Prozess auch als Wärmepumpe eingesetzt werden kann“, sagt Felix Welsch, der gemeinsam mit Susanne-Marie Kirsch im Rahmen von Doktorarbeiten am Prototyp arbeitet.
Stellschrauben zur Maßschneiderung gefunden
Der Prototyp, den die Forschergruppe auch auf der Hannover Messe 2019 vorstellt, ist die erste kontinuierlich laufende Maschine, die Luft mit dem neuen Verfahren kühlt. Ein speziell konstruierter Nockenantrieb sorgt dafür, dass während der Rotation fortwährend Bündel aus 200 μm dicken NiTi-Drähten gezogen und entlastet werden. In zwei separaten Kammern wird Luft durch die Bündel geblasen, die in der einen entsprechend erwärmt und in der anderen gekühlt wird. Auf diese Weise lässt sich die Maschine als Wärmepumpe oder Kühlmaschine betreiben.
Was einfach klingt, ist ein kniffliges Unterfangen: Mehrere Jahre haben die Ingenieure an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in verschiedenen, unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Schwerpunktprogramm „Ferroic Cooling“ geförderten Projekten geforscht. Mit Versuchsreihen und Simulationsmodellen fanden sie heraus, wie der Mechanismus am effizientesten abläuft, wie stark die Drähte gezogen werden müssen, um eine bestimmte Kühlleistung zu erreichen, welche Drehzahl bei der Rotation am besten ist und wie viele Drähte sie bündeln müssen.
„Durch die größere Oberfläche ist der Wärmetransport schneller, daher kühlen Bündel viel besser“, erklärt Kirsch. Mit einer Thermokamera analysierten die Ingenieure, wie Erwärmung und Abkühlung exakt ablaufen. Durch diese Forschungen haben sie viele Stellschrauben, mit denen sie das System nun maßschneidern können. „Wir haben mit den Ergebnissen aus den bisherigen Forschungen eine Software entwickelt. Damit können wir unsere Heiz- und Kühltechnik für verschiedene Anforderungen am Computer exakt anpassen und Systeme planen, die dann gebaut werden können“, so Kirsch.
Potenzial für die Industrie
Diese Grundlagenforschung könnte für die Industrie interessant werden. Denn die neue Heiz- und Kühltechnik kann je nach Legierung bis zu 30-mal mehr Wärme- oder Kühlleistung abgeben, als sie mechanische Leistung beim Ziehen und Loslassen benötigt. Damit ist das System bislang bereits zweimal besser als eine Wärmepumpe und dreimal besser als ein üblicher Kühlschrank. „Und dazu ist sie umwelt- und klimafreundlich, da die Kühlung oder Erwärmung unmittelbar erfolgt“, sagt Seelecke. So könne beispielsweise Luft in einer Klimaanlage ohne zwischengeschaltete Wärmetauscher gekühlt werden, ohne dafür hochdruckfeste und dichte Leitungssysteme zu benötigen.
Die Saarbrücker Ingenieure forschen nun daran, die Wärmeübertragung der Maschine zu optimieren, um die Effizienz noch weiter zu steigern „Wir wollen erreichen, dass die gesamte Energie aus den Phasenumwandlungen möglichst vollständig zum Kühlen oder Heizen verwendet wird“, erklärt Doktorand Welsch. Die EU-Kommission und das US Department of Energy haben das Verfahren als zukunftsträchtigste Alternative zur etablierten Kältekompressionstechnologie bewertet.
Der saarländische Forschungsstand wird organisiert von der Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer der Universität des Saarlandes (KWT). Sie ist zentraler Ansprechpartner für Unternehmen und initiiert unter anderem Kooperationen mit Saarbrücker Forschern.
Universität des Saarlandes auf der Hannover Messe 2019: Halle 2, Stand B46