„Wir spielen mit der Dynamik des Netzes, indem wir die Stabilität der rotierenden Massen immer stärker mit erneuerbarer Energie penetrieren“, sagt einer, der nicht im Verdacht steht, ein Gegner der Erneuerbaren zu sein. Ganz im Gegenteil: Clemens Triebel hat viele Jahres seines Berufslebens deren Ausbau vorangetrieben, vielleicht am prominentesten als Mitgründer von Solon, dem ersten börsennotierten Solarunternehmen Deutschlands und zwischenzeitlich einer der größten deutschen und europäischen PV-Hersteller. Lange vor der Insolvenz des Berliner Solarpioniers 2011 sattelte er um und ist seit 2008 Vorstand des von ihm mitgegründeten Batterie- und Netzspezialisten Younicos.
Kleine Störungen des Netzgleichgewichts, wie sie im Prinzip nicht nur die unkoordinierte Verbrauchscharakteristik, sondern auch viele dezentrale Erzeuger ins Netz einbringen, führen nicht zu ernsthaften Problemen, solange die Trägheit aus rotierenden Massen im Netz ausreichend ist. „Weil die gesamte Stabilität unserer Netze einzig und allein auf der Trägheit der rotierenden Systeme beruht, müssen wir uns diesem Thema immer stärker stellen“, insistiert Triebel.
Inselsysteme zeigen Probleme früher
Younicos kann die entstehenden Probleme wie durch ein Brennglas in seinen Projekten betrachten, weil sich das Unternehmen insbesondere auch mit Inselsystemen befasst hat, darunter solche, die auf echten Eilanden angesiedelt sind. Wo kein Umland als Puffer wirken kann, werden Netzprobleme schneller sichtbar, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien stark zunimmt, wie es die Energiewende mit sich bringt: „Die rotierenden Massen wollen wir ja loswerden. Aber wer übernimmt dann die Netzverantwortung?“, fragte Triebel auf einer Smart-Grid-Fachtagung von Wago im Februar in Offenbach, um gleich selbst die Antwort nachzuliefern: „Die Systemdienstleistung muss dann in der Intelligenz des Systems stecken und nicht mehr in der Trägheit des Systems.“
Kein Wunder, dass der Vordenker für diese Aufgabe auch Batterien mit ins Spiel bringt, die ja beide Rollen übernehmen können: Energie liefern und abnehmen. Dabei sind Batterien extrem schnell in ihrem dynamischen Verhalten, um Größenordnungen schneller jedenfalls als man das in der thermischen Energieerzeugung gewohnt ist. Wo immer Hitze oder Dampferzeugung im Spiel ist, liegen die Reaktionszeiten auf der Minuten-Skala: Eine 1-MW-Batterie schaltet ihre Leistung dagegen innerhalb von 2,5 ms von abgeben auf aufnehmen. Im Netz kommt diese Dynamik allerdings leicht abgeschwächt an: „Der Bottleneck steckt mit 8 ms in den Leistungsendstufen der Wechselrichter“, so die Erfahrung von Younicos.
Auch was das Regelband betrifft, haben Batterien Vorteile: „Eine Batterie kann zu 100 % in jede Richtung regeln“, betont Triebel. Mit 200 % ihrer Leistung haben sie etwa zehnmal so viel Hub wie ein Kraftwerk, wenn es zwischen Volllast und 80 % Leistung fährt. Weil mit Batterien auch eine präzisere Regelung möglich ist, können 2 GW installierte Batterieleistung daher 25 GW Must-run-Kraftwerkskapazität ersetzen. Allerdings: Pro Gigawatt kosten Batterien heute noch etwa eine Milliarde Euro – „eigentlich preisgünstig“, wie Triebel angesichts von 30 Milliarden Investitionen für den Netzausbau findet.
Ganz so eindeutig sehen das allerdings nicht alle Fachleute. Der Leiter des weltweiten Smart-Grid-Programms bei ABB, Prof. Dr. Jochen Kreusel, rät dringend dazu, Speicher als eine Flexibilitätsoption immer im Vergleich zu anderen Alternativen zu betrachten, wie er beim Energiedialog seines Unternehmens Anfang März in Schwetzingen sagte. „Solange man die gewünschte Funktion zum Umgang mit Volatilität erhalten kann, indem man beispielsweise Prognosen verbessert, die Marktprozesse schneller und reaktionsfreudiger macht oder über Verbundsysteme weitere Lasten oder Quellen erschließt, sind Speicher beim heutigen Stand von Technik und Kosten im Allgemeinen keine wirtschaftliche Option.“ Wenn man diesen Vergleich außer Acht lasse, könne man leicht zu Fehleinschätzungen kommen.
Im Abregeln von Energieerzeugern wiederum sieht Younicos-Vorstand Triebel nicht nur Vorteile: In unseren Inselprojekten lassen wir zu, dass 30 % der Wind- und Sonnenkapazität abgeregelt wird. Das ist das wirtschaftliche Optimum.“ Bei der konventionellen Erzeugung fragt er jedoch nach dem volkswirtschaftlichen Sinn: „Ein Gaskraftwerk abzuregeln ist wie auf der Autobahn mit Tempostat durch eine 80er-Zone zu fahren, indem man die Handbremse anzieht“, formuliert Triebel einen einprägsamen Vergleich. „So hält man den Dampf bereit, um später wieder mehr liefern zu können.“
Batterien für Netzdienstleistungen
Wenn schon nicht für Regelleistung, so können Batterien doch eine wichtige Rolle im Netz spielen, wenn sie Netzdienstleistung erbringen: „Frequenzregelung, Spannungshaltung, Peak-Shaving, Peak-Shifting und Schwarzstart-Fähigkeit – das sind alles Themen, die geldwerten Vorteil bringen werden, heute aber noch nicht auf der Rechnung sind“, argumentiert Younicos-Vorstand Triebel. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe mit Blick auf die Chemie der elektrischen Energiespeicher: „Zwischen diesen Business-Cases flexibel hin- und herzuschalten und dabei dafür zu sorgen, dass die Chemie des Batterieparks sich wohlfühlt, erfordert hochkomplexe Software.“ Die Königsdisziplin sei, dann noch ein Arbitrage-Modell als Geschäftsmodell darüberzulegen. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese unterschiedlichen Anforderungen sehr viel Intelligenz und sehr viel Information von Seiten der Netzbetreiber erfordern.
Auch wenn der Weg dorthin also schwierig ist, lautet Triebels Resümee jedenfalls: „Wir müssen begreifen, dass wir die Netzdienstleistungen, die wir in den letzten hundert Jahren aus der Trägheit der rotierenden Massen bezogen haben, dort nicht mehr herbekommen werden.“