Während die Hoch- und Mittelspannungsnetze bei Verteilnetzbetreibern in der Regel in Echtzeit rund um die Uhr überwacht werden, besteht gerade im Niederspannungsnetz noch häufig Verbesserungspotenzial. So blieb der Ausfall von niederspannungsseitigen Ortsnetz-Trafostationen und nachgelagerten Kabelverteilerschränken bei Energieversorgungsunternehmen in der Vergangenheit oft lange unbemerkt.
Beim größten Teil ihrer 14.200 Ortsnetz-Trafostationen sowie 5.000 Kunden- und Einspeisestationen wusste Schleswig-Holstein Netz (SH Netz) zudem bislang wenig über aktuelle Betriebszustände im nachgelagerten Niederspannungsnetz. Wollte man konkret etwas über die Auslastungs- und Spannungssituation eines Trafo-Standorts erfahren, musste ein Mitarbeiter hinfahren und ein Messgerät einbauen. Nach Ablauf der Messperiode fuhr erneut jemand raus und baute das Messgerät wieder aus, damit es anschließend ausgewertet werden konnte.
Präventives Eingreifen möglich
Die beschriebenen Szenarien sollen bei SH Netz demnächst der Vergangenheit angehören – indem man die Ortsnetz-Trafostationen und das nachgelagerte Niederspannungsnetz durch den Einsatz von Internet of Things (IoT)-Technologie transparent macht.
Und das funktioniert so: die Stationen sowie ausgewählte Kleinverteilerschränke werden mit Multimessgeräten ausgestattet, die Parameter wie Spannungen, Ströme, Leistungswerte, Lastspitzen, Kurz- und Erdschluss kontinuierlich erfassen – etwa im Viertelstundenrhythmus. Die Daten gelangen via ModBus-Kabelverbindung zu einem in der Trafostation montierten LoRaWAN-Sender, der sie zu einem LoRaWAN-Gateway überträgt. Von dort aus werden die Daten über herkömmliche Kommunikationskanäle an ein Backendsystem übertragen, wo eine spezielle Software eine Auswertung und via Dashboard die Visualisierung der Daten auf diversen Endgeräten ermöglicht.
Damit ist der Netzbetreiber jederzeit über alle wesentlichen Betriebsstände der Niederspannungsnetze im Bilde. Entwickeln sich Parameter an bestimmten Stellen im Verteilnetz kritisch, kann der Netzbetreiber sofort präventiv eingreifen.
Mehr noch: Die Software lässt sich so parametrieren, dass SH Netz im Falle eines Stromausfalls sofort eine Fehlermeldung aus der betroffenen Ortsnetz-Trafostation erhält. Somit erfährt der Netzbetreiber nicht nur unmittelbar vom Stromausfall, sondern er weiß auch sofort exakt, welche technische Anlage betroffen ist. Die Monteure können also unmittelbar nach Bekanntwerden der Störung zielgerichtet ausrücken, um den Fehler zu beheben. Wenn dann ein Kunde anruft, um einen Stromausfall zu melden, kann die Leitwarte sagen: „Unsere Monteure sind schon unterwegs.“
Zwei unterschiedliche Testnetze
Seit September 2018 ist SH Netz mit dem Partner Zenner IoT Solutions dabei, das LoRaWAN-basierte Grid Monitoring des Niederspannungsnetzes im Rahmen eines LoRaWAN-Projektes, mit Anwendungen wie Metering und Submetering, im Unternehmen aufzubauen und zu testen. Das Unternehmen konnte in der Vergangenheit bereits in Rahmen anderer IoT-Projekte Erfahrungen mit der Überwachung von Ortsnetz-Trafostationen sammeln.
„Für den Piloten im Teilprojekt zu netzdienlichen und netztechnischen LoRaWAN-Anwendungen haben wir zwei Testnetze in Westerrönfeld und Jevenstedt ausgesucht“, berichtet Teilprojektleiterin Katharina Löffler. „Das zuerst genannte Verteilnetz versorgt ein Industriegebiet, das andere ein Wohngebiet. Beide liegen im Empfangsbereich eines schon vorhandenen LoRaWAN-Gateways in Rendsburg, wo sich die Netzleitstelle der SH Netz befindet.“
Zenner IoT Solutions ist in das Projekt als Systemlieferant, Entwickler und Berater eng eingebunden, hilft bei der Installation, ermöglicht den LoRaWAN-Netzbetrieb und stellt seine IoT-Plattform „Element“ zur Verfügung. Auch die Entwicklung des Dashboards zur Visualisierung der Betriebszustände liegt in den Händen der IoT-Spezialisten aus Hamburg. Für Geschäftsführer Matthias Behrens, der in Jevenstedt wohnt, ist das Projekt bei SH Netz eine Herzensangelegenheit.
„Es vereint mehrere Anwendungsfälle aus den Bereichen Netzdienste und Netztechnik unter einer gemeinsamen SH Netz-Projektleitung.“, ergänzt Ole Langmaack, einer der Gesamtprojektleiter des Feldtests. „Wir haben besonders auf ein zielstrebiges und agiles Vorgehen wert gelegt. Durch die bedarfsgerechte Entwicklung konnte innerhalb weniger Wochen ein erster Prototyp mit realen Werten aus dem Niederspannungsnetz als End-to-End-Lösung der SH Netz auf die Beine gestellt werden.“
Auch Matthias Dau, Teamleiter in der Netzberechnung Strom im SH Netz-Geschäftsbereich Netztechnik und ebenfalls Gesamtprojektleiter, ist begeistert: „Die Technik funktioniert, die ersten Praxistests sind vielversprechend, und das Feedback von allen Beteiligten und Entscheidern ist sehr positiv.“
Das Grid Monitoring des Niederspannungsnetzes verspricht darüber hinaus auch einen Nutzen für die Netzplanung. „Indem wir kontinuierlich Messwerte erheben, gewinnen wir Einsichten und erkennen Muster, die wir auch an anderer Stelle in die Planungen des Netzausbaus in der Niederspannungsebene einfließen lassen können“, erläutert Maximilian Rose, Teammitglied in der Netzberechnung Strom.
Gestaltung des Rollouts
Begleitet wird das Projekt von einer Studie der SH Netz, die Erkenntnisse darüber vermitteln soll, wie man den Rollout der LoRaWAN-basierten Fernüberwachung optimal gestalten kann. Dau: „Dabei geht es um Fragen wie: Wie viele Messgeräte benötigt man, um die nötigen Erkenntnisse zum Netzzustand zu gewinnen? Wie können wir den Piloten intelligent in die Fläche tragen? In welchen Netzgebieten und Gemeinden profitieren wir davon am meisten? Welche finanziellen und personellen Kapazitäten stehen uns zur Verfügung? Und wie lässt sich das Grid Monitoring des Niederspannungsnetzes optimal in die Prozesskette bei Netzausfalleinsätzen integrieren?“
Zusatzinformationen: Was ist LoRaWAN?
Networks (LPWAN). Die Funktechnologie zeichnet sich durch hohe Reichweiten, gute Gebäudedurchdringung und geringen Energieverbrauch der batteriebetriebenen Endgeräte aus. Sender und Empfänger (sog. IoT-Gateways) können bis zu 15 km auseinanderliegen und dennoch miteinander kommunizieren. Zudem verfügen LoRaWAN-Signale über die Eigenschaft, selbst massive Mauern durchdringen zu können, so dass auch Geräte in Kellerräumen und Schächten gut adressierbar sind. Die LoRaWAN-Technologie eignet sich primär für Anwendungen, bei denen kleine Datenmengen kontinuierlich oder episodisch übermittelt werden müssen.