Die Ergebnisse einer neue Studie vom Fraunhofer ISI in Bezug auf eine CO2-neutrale Produktion in der Industrie zeigen auf, welche Schlüsselstrategien über sehr unterschiedliche Transformationspfade hinweg robust und umsetzbar sind. Dabei werden drei Szenarien mit Schwerpunkten bei Elektrifizierung sowie der Nutzung von Wasserstoff oder synthetischen Kohlenwasserstoffen berechnet. Der nun veröffentlichte Bericht des Projekts „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland“ (Langfristszenarien 3) wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt und umfasst die Szenarien zur Transformation des Industriesektors.
Das vom Fraunhofer ISI eingesetzte Energiemodell Forecast erlaubt eine detaillierte Abbildung des Industriesektors und zeichnet sich besonders durch eine hohe technologische und räumliche Auflösung aus. Entsprechend sind zum Beispiel Rückschlüsse zur räumlichen Verteilung der zukünftigen Strom- und Wasserstoffnachfrage innerhalb Deutschlands möglich. Technologischen Voraussetzungen für die Transformation können detailliert nach Branchen und Prozessen aufgeschlüsselt und identifiziert werden.
Drei Szenarien beinhalten unterschiedliche Pfade zur Treibhausgasneutralität
Die drei berechneten Szenarien TN-Strom, TN-H2 und TN-PtG/PtL erreichen eine Minderung der Treibhausgasemissionen im Industriesektor von etwa 97 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Auf den Einsatz fossiler Energieträger sowie Biomasse wird vollständig verzichtet. Verbleibende Restemissionen sind verteilt auf mehrere, überwiegend relativ kleine Quellen von Industrieprozessen. Die Energieversorgung wird in den Szenarien jeweils stark auf Strom, Wasserstoff beziehungsweise Power-to-Gas umgestellt.
Die Szenarien zeigen einen Wasserstoff-Bedarf von über 150 Terawattstunden (TWh) pro Jahr alleine für die Versorgung der etwa 20 größten Chemie- und Stahlstandorte. Der Aufbau einer entsprechenden Versorgungsinfrastruktur könnte entlang bestehender Erdgas-Trassen geschehen. Klare Ausbauziele würden der Industrie Planungssicherheit beim Umbau des Anlagenparks bieten.
Elektrifizierung als effizienteste Option für CO2-neutrale Prozesswärme
Die Elektrifizierung ist in den meisten Branchen die effizienteste Möglichkeit der CO2-neutralen Versorgung mit Prozesswärme, da weniger Umwandlungsverluste wie bei der Erzeugung von Wasserstoff oder synthetischen Kohlenwasserstoffen beziehungsweise Power-to-Gas auftreten. Gleichzeitig sind für die Unternehmen die Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Verfügbarkeit von grünem Strom am Standort geringer.
Hingegen verlangt eine Elektrifizierung bei den meisten Prozessen einen umfangreichen Umbau oder Austausch bestehender Heizkessel und Ofenanlagen. Dem Einsatz von hybriden Systemen, welche flexibel Wasserstoff, Strom oder Erdgas nutzen können, kann dabei eine Schlüsselrolle zukommen und der Industrie eine graduelle Transformation ermöglichen.
Eine vollständige Elektrifizierung der Prozesswärme würde den Stromverbrauch der Industrie in Deutschland in etwa verdoppeln, auf über 400 TWh pro Jahr. Eine Fokussierung auf Wasserstoff oder Power-to-Gas würde einen noch höheren Strombedarf für die Erzeugung der entsprechenden Energieträger mit sich bringen. Entsprechend ist ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien(besonders Wind und Solarenergie) für die Stromerzeugung sowie die Beseitigung von Netzengpässen eine sowohl notwendige wie auch robuste Strategie.
Energie- und ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft notwendig
In allen drei Szenarien zeigt die Studie, dass sowohl ambitionierter Fortschritt bei der Energie- und Ressourceneffizienz sowie der Ausbau der Kreislaufwirtschaft zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Industriewende darstellen. Ansonsten wäre der Bedarf von CO2-neutralen Sekundärenergieträgern weitaus höher, was zu höheren Kosten und noch größeren Herausforderungen beim Umbau des Energiesystems führen würde.
Strategien zur Umstellung auf eine Kreislaufführung haben besonders bei den CO2-intensiven Grundstoffen wie Stahl oder Kunststoff große Wirkung.
Perspektiven für die Speicherung oder Nutzung von Emissionen aus Industrieprozessen benötigt
Die Zement- und Kalkindustrie benötigt klare Perspektiven zur Speicherung oder Nutzung der CO2-Emissionen. Ohne den Aufbau einer CO2-Transportinfrastruktur, welche die wichtigen Standorte der Zement- und Kalkherstellung mit möglichen Senken in Speicherstätten oder der chemischen Industrie verbindet, können diese Branchen keine Klimaneutralität erreichen. Hierfür sind außerdem grundsätzliche rechtliche und politische Weichenstellungen nötig.
Dr. Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds „Nachfrageanalysen und -projektionen“ am Fraunhofer ISI, stellt abschließend fest: „Die von uns berechneten Szenarien zeigen, dass besonders die nächsten Jahre für das Erreichen der Klimaziele entscheidend sind. Das neue Sektorziel des novellierten Klimaschutzgesetzes verstärkt den Handlungsdruck zusätzlich und kann nur erreicht werden, wenn die Politik den regulatorischen Rahmen so anpasst, dass die Industrie eine klare Perspektive für den wirtschaftlichen, groß-industriellen Betrieb CO2-neutraler Herstellungsverfahren hat. Die von uns identifizierten robusten Strategieelemente sollen kurzfristige Entscheidungen und Weichenstellungen ermöglichen, wenngleich langfristig natürlich noch große Unsicherheiten bestehen.“
Im Projekt Langfristszenarien 3 arbeitet das Fraunhofer ISI zusammen mit Consentec, der TU Berlin und dem IFEU. Neben diesem Bericht zum Industriesektor werden auf der Projektwebseite www.langfristszenarien.de regelmäßig neue Ergebnisse und Berichte zu anderen Aspekten des Energiesystems veröffentlicht. Hier ist zusätzlich zum Bericht auch ein öffentlich zugänglicher Datensatz verfügbar, der im Datenexplorer online erkundet werden kann.