Die Forschenden haben die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie analysiert. Das Ergebnis: Die Folgen wären zwar deutlich, aber handhabbar. Deutschland würde die Energie nicht ausgehen. Allerdings müssten Öl, Steinkohle und Gas aus anderen Ländern bezogen und die Industrie langfristig umstrukturiert werden.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde der Studie zufolge kurzfristig um 0,5 Prozent bis 3 Prozent zurückgehen, umgerechnet zwischen 100 und 1.000 Euro pro Jahr und Einwohner. Zum Vergleich: 2020 sank das BIP aufgrund der Corona-Pandemie um 4,5 Prozent.
Politik unterschätze Ausweicheffekte
Die Öl- und Kohleeinfuhren aus Russland könnten relativ leicht durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden. Schwieriger wird es beim Gas: Es gibt keine Pipelineinfrastruktur für Lieferungen aus anderen Regionen und nur weniger verfügbare Gasterminals. Aktuell bezieht Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund die Hälfte des jährlichen Gasbedarfs aus Russland.
Die Forschenden berechneten anhand eines makroökonomischen Modells, welche wirtschaftlichen Folgen ein Stopp dieser Importe hätte und kombinierten die Ergebnisse mit Daten zum deutschen Energieverbrauch. Gas aus anderen Ländern wie Norwegen, Algerien oder Aserbaidschan und der Einsatz anderer Brennstoffe zur Elektrizitätsherstellung, wie Kohle oder Kernenergie, könnten das Defizit vermutlich nur auf etwa 30 Prozent reduzieren.
Teures Gas müsste über den Sommer eingelagert werden, um den Bedarf im kommenden Winter zu decken. Insgesamt sollten die Kosten des Importstopps selbst im pessimistischsten Szenario allerdings nicht über drei Prozent des BIPs ansteigen. „Die Politik unterschätzt, dass sich Industrie und Konsumenten bei höheren Preisen anpassen werden“, sagt Moritz Schularick, Professor bei ECONtribute an der Universität Bonn. Also etwa auf andere Energiequellen umsteigen oder den Verbrauch reduzieren.
Einkommensschwache Haushalte entlasten
Die Forschenden fordern die Politik auf, einkommensschwache Haushalte gezielt zu unterstützen und gleichzeitig Anreize für einen geringeren Gasverbrauch zu setzen. „Wenn ein Embargo gewünscht wird, sollte es möglichst früh beginnen, damit sich Industrie und Haushalte während des Sommers umstellen können“, sagt Schularick. Auch wenn ein Embargo nicht unmittelbar bevorstehe, sei es ratsam, die Energiepreise schon jetzt weiter anzuheben. Langfristig müsse außerdem die Gasinfrastruktur zu anderen Ländern ausgebaut werden.
Die Studie ist unter anderem im Rahmen von ECONtribute entstanden. Es handelt sich dabei um den einzigen wirtschaftswissenschaftlichen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Exzellenzcluster – getragen von den Universitäten in Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Ziel von ECONtribute ist es, Märkte besser zu verstehen und eine grundlegend neue Herangehensweise für die Analyse von Marktversagen zu finden, die den sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit, wie zunehmender Ungleichheit und politischer Polarisierung oder globalen Finanzkrisen, gerecht wird.