Autonome Fahrzeuge sollen dem Menschen künftig Entscheidungen im Straßenverkehr abnehmen. Für viele komplexe oder unvorhergesehene Situationen reichen aktuelle Modelle, mit denen Autos hierfür „gefüttert“ werden, aber noch nicht aus.
Ein Team der TU München um Prof. Eckehard Steinbach, Inhaber des Lehrstuhls für Medientechnik und Mitglied des Board of Directors der Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM), verfolgt einen neuen Ansatz. Mittels Künstlicher Intelligenz kann ihr System aus vorausgegangenen Situationen lernen, in denen selbstfahrende Testfahrzeuge im realen Straßenverkehr an ihre Systemgrenzen gestoßen sind. Das sind Fälle, in denen der Mensch wieder die Kontrolle über das Auto übernommen hat – entweder, weil das Auto ihn zum Eingreifen aufforderte oder weil er sich selbst aus Sicherheitsgründen dazu entschied.
„Wir ignorieren die Meinung des Autos“
Die Technologie erfasst mithilfe von Sensoren und Kameras die Umgebung und zeichnet den Zustand des Fahrzeugs auf, beispielsweise den Stand des Lenkrads, die Beschaffenheit der Straße, das Wetter, die Sicht und die Geschwindigkeit. Die auf einem sogenannten rekurrenten neuronalen Netz (RNN) basierende KI lernt dann, aus diesen Daten Muster zu erkennen.
Wird ein solches Muster in einer neuen Fahrsituation wiedererkannt, weil es in der Vergangenheit unter diesen Umständen schon einmal zu einer Überforderung der automatisierten Steuerung kam, wird der Fahrer durch die KI gewarnt. So kann er reagieren, bevor eine kritische Situation entsteht.
„Um Fahrzeuge autonomer zu machen, untersuchen viele der bisherigen Methoden, was die Autos bislang vom Verkehr verstehen, und verbessern dann die Modelle, nach denen sich die Autos richten“, erklärt Steinbach. „Der große Vorteil unserer Technologie ist: Wir ignorieren völlig die Meinung des Autos und schauen stattdessen rein auf die Daten des tatsächlichen Geschehens und finden Muster.“
Auf diese Weise soll die KI auch potenziell kritische Situationen entdecken, die in Modellen vielleicht nicht oder noch nicht erkannt wurden. „Unser System bietet damit eine Sicherheitsfunktion, die weiß, wann und wo die Autos Schwächen haben“, sagt Steinbach.
Warnung bis zu sieben Sekunden im Voraus
Das Forschungsteam hat die Technologie gemeinsam mit BMW und deren automatisiert fahrenden Entwicklungsfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr getestet. Rund 2.500 Situationen, in denen der Fahrer eingreifen musste, wurden dabei ausgewertet.
Die Studie ergab: Eine Vorhersage potenziell kritischer Situationen ist mit einer Genauigkeit von über 85 Prozent möglich – und zwar bis zu sieben Sekunden vor deren Eintreffen.
Voraussetzung für das Funktionieren der Technologie ist allerdings eine große Datenmenge; die KI kann nur Erfahrungen mit der Systemgrenze erkennen und vorhersagen, die bereits gemacht wurden. Angesichts der hohen Zahl an Entwicklungsfahrzeugen würden Daten aber quasi von allein erzeugt, wie Studienautor Christopher Kuhn erklärt: „Jedes Mal, wenn es bei Testfahrten zu einer potenziell kritischen Situation kommt, fällt ein neues Trainingsbeispiel für uns ab.“ Die zentrale Speicherung der Daten mache es möglich, dass jedes Fahrzeug aus den Aufzeichnungen der Flotte lernen kann.