Welche Bedeutung hat der Auftrag Dolwin5 für ABB?
Wir haben die Netzanbindung von Offshore-Windparks von Anfang an mitgestaltet. BorWin1 war das weltweit erste Projekt, das mit Strom aus Offshore-Windparks mittels Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ, englisch: HVDC, die Redaktion) ins Netz einspeist. Danach folgten die Projekte DolWin1 und DolWin2, die wir für Tennet ebenfalls als Generalunternehmer realisiert hat. Im Projekt DolWin5 werden wir nun die aktuelle Version der HVDC-Light-Technologie, die spannungsgeführte HGÜ, einsetzen. Diese bringt viele Vorteile im Betrieb und bei der Netzstabilisierung mit sich. Aber nicht nur technologisch ist DolWin5 ein großer Entwicklungsschritt. Erstmals wurde eine Netzanbindung mit dem Konsortium Aibel/Keppel Fels an einen Plattformlieferanten vergeben. Wir als ABB haben unsere technische Lösung auf das Plattformkonzept unserer Partner hin abgestimmt. Der Auftrag ist für uns auch eine Bestätigung unseres neuen Geschäftsmodells, bei dem wir uns auf die energietechnische Ausrüstung des Projekts fokussieren.
Was bringt diese neue Herangehensweise konkret?
Die Erkenntnisse aus den bisherigen Netzanbindungsprojekten für Offshore-Windparks mit HGÜ-Technologie haben wir genutzt, um gemeinsam mit den Partnern ein optimiertes, auf die Plattfom ausgerichtetes HGÜ-Konzept zu entwickeln. Mit der Entwicklung unseres neuen Geschäftsmodells können wir einen größeren Fokus auf die Integration des HGÜ-Systems in die Plattform legen und somit auch die Komplexität der Schnittstellen reduzieren. Wir erwarten daher eine klarere und einfachere Handhabung der Schnittstellen im Projekt.
Welche Anlagen und Komponenten liefert ABB für das Projekt?
Wir liefern die gesamte HGÜ-Technologie inklusive der Nebensysteme, sowohl für die Konverterplattform, als auch für die Konverterstation an Land. Das beinhaltet auch gasisolierten Schaltanlagen sowie Transformatoren. Zudem verantworten wir die komplette Projektabwicklung der Landstation einschließlich der Hoch- und Tiefbauleistungen.
Wie erfolgt das Zusammenspiel zwischen der lokalen Einheit in Deutschland und dem HGÜ-Kompetenzzentrum in Schweden?
Die Technik kann nicht ohne Berücksichtigung der Schnittstellen –lokale Standards, Anforderungen oder Genehmigungen – erfolgreich implementiert werden. Daher vernetzen wir die Teams in Ludvika, Schweden, mit lokalen Experten in Deutschland. Die Projektabwicklung erfolgt integriert, das heißt die Rollen im Projektteam werden mit den richtigen Kompetenzen, unabhängig von der lokalen Zugehörigkeit der entsprechenden Mitarbeiter, besetzt. So ist auch sichergestellt, dass bereits in der Designphase alle Anforderungen berücksichtigt werden.
Tennet will durch Standardisierung Einsparpotenziale erzielen. Inwieweit profitiert auch ABB als Hersteller von dieser Herangehensweise?
Eine Standardisierung dient in erster Linie dazu Schnittstellen zu vereinfachen und Risiken für das Engineering sowie die Projektabwicklung zu minimieren und das ist für alle Projektbeteiligten wichtig. Für Tennet als Betreiber der Netzanbindungen ermöglicht die Standardisierung, die Kosten für den Betrieb und Wartung der Anlagen herstellerübergreifend zu optimieren. Allerdings können bei einer zu frühen Standardisierung auch Optimierungspotenziale verloren gehen. Vergleicht man beispielsweise den Platzbedarf unserer heutigen HGÜ-Technologie mit dem Bedarf früherer Jahre, wird man eine drastische Reduzierung erkennen. Wäre die HGÜ-Technologie vor fünf Jahren standardisiert worden, würden wir dieses Potenzial nicht erschließen können.
Welche konkreten Kostensenkungspotenziale sehen Sie?
Wir als ABB können natürlich nur die Einsparungen im Bereich der energietechnischen Ausrüstung der Netzanbindungen betrachten. Zusätzlich zur aktuellen Generation der HVDC-Light-Technologie werden erstmals die Offshore-Windenergieanlagen direkt mit 66 kV an die Konverterplattform angeschlossen. Dadurch entfallen die bisher notwendigen AC-Umspannplattformen in jedem Windpark. Weitere Potenziale sehen wir in einer – technisch machbaren – Erhöhung der Übertragungsleistung gegenüber der aktuell etablierten 900 MW bei +/-320 kV, wodurch die Offshore-Kosten pro installierter Übertragungsleistung weiter gesenkt werden könnten.
Welche Stromübertragungsverluste wird es auf der 130 km langen Strecke geben und wie sähe dies bei einer Lösung ohne HGÜ aus?
Bei einer Kabelstrecke von 130 km steht die Wechselstromtechnik vor dem Problem, dass die komplette Leistung in kapazitiven Umspannvorgängen innerhalb des Kabelsystems „verbraucht“ werden würde. Es müssten Kompensationsspulen entlang der Kabelstrecke vorgesehen werden, das heißt zusätzliche Offshore-Bauwerke einschließlich zusätzlicher Verlustfaktoren müssten errichtet werden. Mit unserer HVDC-Light-Technologie hingegen werden beim Betrieb mit Nennleistung die Gesamtverluste geringer als drei Prozent sein. Es ist also nicht nur die Effizienz der Übertragung, sondern vielmehr die technisch-wirtschaftliche Machbarkeit, die die Entscheidung für die HGÜ-Technologie begründet.
An welchen weiteren HGÜ-Projekten in Deutschland arbeiten sie aktuell noch?
Aktuell realisieren wir zwei weitere Projekte in Deutschland. NordLink, ein HGÜ-Interkonnektor, der die Stromnetze von Deutschland und Norwegen verbindet, für ein Konsortium aus Tennet, Statnett und der KfW. Für die Kunden 50Hertz und energinet.dk realisieren wir im Rahmen der Kriegers Flak Combined Grid Solution, eine HGÜ-Kurzkupplung (engl. „back-to-back“). Hier kommt die HGÜ-Technologie zum Einsatz, um die Verschiebung des Phasenwinkels zwischen dem dänischen und dem deutschen Netz auszugleichen, die über eine AC-Strecke miteinander verbunden sind.