Die Studie wurde vom Ausschuss für die Zukunft von Wissenschaft und Technologie (STOA) des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben.
Im Jahr 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Wasserstoffstrategie mit dem Ziel, die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie und im Verkehrssektor zu erhöhen und gleichzeitig den Einsatz von Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen zu fördern. Die neue Studie mit dem Titel Das Potenzial von Wasserstoff für die Dekarbonisierung der EU-Industrie zieht auf Grundlage von Literaturauswertungen und Expertenbefragungen Bilanz hinsichtlich der Umsetzung dieser Ziele durch entsprechende Politikinstrumente. Die STOA hat auf der Grundlage dieser Studie auch ein Strategiepapier veröffentlicht (unten verlinkt).
Aktuelle Lücken und Probleme
Große Investitionen sind nötig, doch Unsicherheit für Investoren ist groß
Wasserstoff ist ein Energieträger mit hohen Kosten. Daher sollte sein Einsatz vorrangig in Bereichen erfolgen, in denen eine direkte Elektrifizierung durch erneuerbare Energien noch nicht möglich ist. Klare Richtlinien für Wasserstoffanwendungen fehlen jedoch noch, was zu einer großen Verunsicherung bei Investoren führt. In diesem Zusammenhang schlägt die Studie vor, Wasserstoffanwendungen zu hierarchisieren.
Bis heute gibt es weder einen europaweiten Wasserstoffmarkt noch ein großflächiges Wasserstoffnetz. Allgemeine Regeln für einen zukünftigen Wasserstoffmarkt sowie Infrastrukturregelungen sind dem Bericht zufolge so schnell wie möglich erforderlich. Andernfalls könnten potenzielle Marktteilnehmer und Betreiber von Wasserstoffinfrastrukturen zögern, in mögliche Vorhaben zu investieren.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass in diesem Zusammenhang auch Fragen der Akzeptanz geklärt werden müssen. Künftige politische Maßnahmen müssen die Beteiligung weiterer Interessengruppen gewährleisten, insbesondere von Teilen der Zivilgesellschaft und in allen Teilen Europas.
Politische Rahmenbedingungen zur Marktdiffusion von Wasserstoff fehlen bislang
Ein weiteres Problem sind die derzeit verwendeten Förderprogramme, die hauptsächlich auf Demonstrationsprojekte zugeschnitten sind. Für eine Ausweitung der Wasserstofferzeugung und -nutzung sind zusätzliche Regelungen erforderlich.
Beim Handel mit Wasserstoff sowohl auf den europäischen Märkten als auch bei Importen aus Nicht-EU-Ländern fehlen klare Spezifikationen für die gehandelten Produkte. Zertifizierungssysteme sind noch in der Entwicklung, wobei strenge Kriterien sowohl für erneuerbaren als auch für kohlenstoffarmen Wasserstoff festgelegt werden müssen; letzteres schließt auch die fossile Erzeugung von Wasserstoff in Verbindung mit Kohlenstoffabscheidung ein.
Optionen für die Politik zur Förderung von Investitionen, Ankurbelung der Nachfrage und Steigerung der Produktion
Die Studie bietet mehrere Politik-Optionen für jeden der genannten offenen Punkte zur Umsetzung der EU-Wasserstoffstrategie. Um Investitionen in Wasserstoffmärkte und -infrastrukturen zu fördern, empfiehlt der Bericht die Einführung eines speziellen Zielsystems. Dies könnte auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden, z. B. mit verbindlichen Zielen für die Mitgliedstaaten oder einer Erweiterung des Mechanismus zur Schließung von Lücken bei den Zielen für erneuerbare Energien.
Als eine wichtige Option zur Schließung der Finanzierungslücke bei der großtechnischen Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff identifiziert die Studie Kohlenstoffdifferenzverträge (Carbon Contracts for Difference - CCfD), ein Politik-Instrument zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstofftechnologien im Industriesektor. Unternehmen, die neue Produktionsmethoden auf der Basis von erneuerbarem Wasserstoff einführen, die teurer sind als fossil betriebene Alternativen, würden dabei entschädigt werden.
Gesetzgebung auf EU-Ebene oder in den Mitgliedstaaten?
In der Studie werden drei Optionen für einen unterstützenden Rahmen in Bezug auf Marktregeln und Infrastruktur bewertet, der eine rasche Ausweitung der Wasserstoffnutzung gewährleisten und gleichzeitig eine flexible Infrastruktur ermöglichen soll. Die Optionen reichen von einer vollständigen Regulierung auf EU-Ebene bis zur Überlassung der Einzelheiten der Wasserstoffregulierung an die Mitgliedstaaten.
Die Regeln für die Infrastrukturgesetzgebung auf EU-Ebene könnten den bestehenden Rechtsvorschriften für die Gasinfrastruktur ähneln, mit klaren Regeln für die Entflechtung und den Zugang Dritter, könnten aber für eine begrenzte Zeit Raum für Experimente lassen, zum Beispiel in Bezug auf die Netzbetreiber und die Vergütung der Kosten.
Europa bei den Wasserstofftechnologien nach vorne bringen
Darüber hinaus unterstreicht die Studie die Bedeutung einer verbesserten Innovationsstrategie für Wasserstofftechnologien. Um die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirtschaftlichen Erfolg zu beschleunigen, könnten über das Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa hinaus ein spezieller Forschungs- und Innovationsrahmen, eine stärkere Unterstützung im Rahmen bestehender Programme oder einfachere Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten zur Förderung der Einführung von Wasserstofftechnologien erforderlich sein.
Dr. Jakob Wachsmuth, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte am Fraunhofer ISI und Hauptautor des Berichts, stellt abschließend fest: „Es wird erwartet, dass die anstehenden Verhandlungen über das bald erscheinende Gesetzespaket der EU zur Zukunft von Wasserstoff- und kohlenstoffarmen Gas-Märkten die von uns identifizierten Lücken bis zu einem gewissen Grad adressieren werden. Bei den Verhandlungen können die politischen Entscheidungsträger unseren Vergleich der Politik-Optionen berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Europäische Union bei der Dekarbonisierung des Industriesektors auf dem richtigen Weg ist, um ihre Klimaziele in den kommenden Jahren zu erreichen.“