Christian Wendler, Lenze Der Oktopus-Code

Christian Wendler ist Vorstandsvorsitzender von Lenze. Zuvor hatte er zahlreiche Führungspositionen inne, unter anderem als Geschäftsführer bei ABB. Neben seiner Tätigkeit beim Automatisierungsspezialisten ist der Diplom-Ingenieur Mitglied im Vorstand des ZVEI und im ZVEI-Fachverband Automation sowie Mitglied im Board Power Transmission Engineering des VDMA.

Bild: Lenze
23.10.2024

Ob gegen Fressfeinde, menschliche Bedrohungen oder stürmische See – der Oktopus meistert jede Herausforderung mit Bravour. Seit Millionen Jahren hat dieser Überlebenskünstler Strategien entwickelt, die ihn anpassungsfähig und resilient machen. Die Industrie sieht sich heutzutage ebenfalls rauen Bedingungen gegenüber. Doch welche Lehren können wir aus den Überlebensstrategien des Oktopus ziehen, um erfolgreich zu bestehen und den aktuellen Herausforderungen zu begegnen?

Der Oktopus ist ein faszinierendes Lebewesen. Die bemerkenswerte Resilienz, die er in seinen 500 Millionen Jahren Evolution entwickelt hat, bietet ein wertvolles Vorbild für moderne Herausforderungen in der Geschäftswelt, insbesondere in Bezug auf Dekarbonisierung, Digitalisierung und den demografischen Wandel.

Die Industrie steht vor der Aufgabe, ihre CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Dies ist eng mit Energieeinsparungen und der Anpassung an neue Technologien verbunden. Ein Beispiel hierfür ist die Factory 56 von Mercedes-Benz. Diese hochmoderne Produktionsstätte spart im Vergleich zu herkömmlichen Automobilfabriken über 25 Prozent Energie ein und erreicht CO2-Neutralität im Produktionsprozess. Das Werk nutzt Gleichstromtechnik und autarke, regenerative Energiequellen, was eine erhebliche Verbesserung der Energieeffizienz ermöglicht. Weltweit könnte in der PKW-Produktion durch solche Technologien ein Einsparpotenzial von über 2 Milliarden Euro pro Jahr realisiert werden.

Ein weiterer Aspekt ist die Netzstabilität. Die Umstellung auf elektrische Energie bringt oft Spannungsschwankungen und Netzprobleme mit sich, da bestehende Netze nicht immer für die benötigte Kapazität ausgelegt sind. Die Integration von Gleichstromtechnik und regenerativen Energiequellen, wie sie in der Mercedes-Benz Factory 56 verwendet wird, kann die Energiekosten senken und die Anfälligkeit für Netzinstabilitäten reduzieren.

Der Einsatz digitaler Technologien in der Produktion steigert die Effizienz und erhöht die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen. Ein Beispiel für erfolgreiche digitale Transformation ist der Einsatz von Predictive Maintenance durch künstliche Intelligenz (KI). Da jede Minute Stillstand in der Automobilproduktion etwa 20.000 Euro kostet, ist die Minimierung ungeplanter Stillstände unerlässlich. Der durchschnittliche Maschinenpark wird weltweit zu etwa 60 Prozent effizient genutzt. Durch KI und Smart Data kann diese Auslastung auf bis zu 90 Prozent gesteigert werden, was ein Einsparpotenzial von rund 45 Milliarden Euro eröffnet. Kontinuierliche Datenerfassung und intelligente Analyse ermöglichen reduzierte Stillstände und maximale Produktivität.

In Deutschland gehen in den kommenden Jahren etwa 10 Millionen Arbeitnehmer in Rente, was zu einem erheblichen Fachkräftemangel führen wird. Automatisierung wird daher zu einem entscheidenden Faktor. Ein Beispiel sind vollautomatisierte Logistiksysteme in sogenannten „Dark Warehouses“ für den E-Commerce. Diese Technologie könnte bis zu 3 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland und fast 100 Millionen weltweit ersetzen. Investitionen in solche Automatisierungslösungen betragen zwischen 25 und 45 Millionen Euro, wobei viele Anbieter mit Technology-as-a-Service flexible Finanzierungsmodelle anbieten.

Der Oktopus mit seiner extremen Anpassungsfähigkeit, seinem Zentralgehirn und acht dezentralen Gehirnen in den Tentakeln, kann sich an seine Umgebung anpassen und autark agieren. Diese Eigenschaften sind auch für die Wirtschaft von Bedeutung. Wir können Systeme so gestalten, dass sie widerstandsfähiger werden. Moderne Technologien wie Gleichstromtechnik in Kombination mit regenerativen Energiequellen sowie KI ermöglichen eine effiziente Steuerung der Energieversorgung und Steigerung der Produktivität, ganz ohne große Datenmengen in der Cloud. Und mit Automatisierung können sich Unternehmen ein Stück weit von demografischen Veränderungen entkoppeln.

Die Prinzipien des Oktopus – Anpassungsfähigkeit und Autarkie – bieten wertvolle Lehren für die Geschäftswelt. Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Dekarbonisierung, Digitalisierung und des demografischen Wandels erfolgreich stellen wollen, sollten diese Strategien in Betracht ziehen. Denn damit gewinnen sie mehr Produktivität und Resilienz.

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