Es ist noch gar nicht lange her, da herrschte eher Gerangel als Harmonie bei der Stromversorgung in Deutschland. Denn bis 2010 wurde in den vier Regelzonen in Deutschland, die sich Tennet TSO, 50Hertz Transmission, Amprion und TransnetBW teilen, wurde bei Leistungsüberschüssen und -defiziten eher gegeneinander geregelt als miteinander gearbeitet. Um Kosten zu sparen und die Systemsicherheit im deutschen Stromnetz zu erhöhen, schoben die vier Übertragungsnetzbetreiber dem Gegeneinanderregeln einen Riegel vor. Dazu gründeten sie einen Netzregelverbund, der die Dimensionierung und Beschaffung sowie den Einsatz und die Abrechnung von Regelenergie umfasst.
Große Verantwortung
Grundsätzlich sind die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) verantwortlich für das Übertragungsnetz zur überregionalen Versorgung und Übertragung im Höchstspannungsbereich. Um ein sicheres und stabiles Energieversorgungssystem sicherzustellen, müssen sie den überregionalen Stromaustausch störungsfrei gewährleisten. Dafür müssen sich Erzeugung und Verbrauch des Stroms jederzeit im Gleichgewicht befinden.
Als Dienstleistungsunternehmen betreiben die ÜNB die Infrastruktur der überregionalen Stromnetze zur elektrischen Energieübertragung operativ. Sie sind für bedarfsgerechte Instandhaltung und Dimensionierung dieser Netze verantwortlich und müssen Stromhändlern sowie -lieferanten einen diskriminierungsfrei Zugang zu diesen Netzen gewähren.
Die Übertragungsnetze sind über Umspannwerke an Netze der Verteilnetzbetreiber (VNB) angeschlossen. Einzelne Großkunden wie energieintensive Industriebetriebe können auch direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen sein. Im Zuge des Netzregelverbunds haben die Übertragungsnetzbetreiber ihre Leitsysteme informationstechnisch so miteinander verknüpft, dass gegenläufiger Regelleistungsbedarf zwischen den Regelzonen in Echtzeit festgestellt wird. Auf diese Weise sind die ÜNB in der Lage, den Einsatz von Regelenergie unmittelbar zu minimieren. Denn in dem Verbund nutzen die ÜNB die vorgehaltene Regelleistung gemeinsam.
Projekte mit Weitblick
Seit Bestehen des Netzregelverbunds hat sich viel getan in der deutschen Netzlandschaft. Doch auch in Zukunft haben die ÜNB alle Hände voll zu tun, um den Netzausbau und die Energiewende noch weiter voranzutreiben. Dafür kooperieren sei zum Teil untereinander, teilweise aber auch mit Kollegen aus dem Ausland. So arbeiten die deutschen ÜNB gemeinsam mit vier weiteren Partnern aus Belgien, Österreich, den Niederlanden und Frankreich im Projekt Picasso zusammen. Ziel ist es, eine Plattform zum gemeinsamen Abruf von Sekundärregelleistung ins Leben zu rufen.
Hintergrund dafür ist die im März 2017 verabschiedete EU-Richtlinie „Guideline on Electricity Balancing“, die die Einführung von Plattformen zum Austausch aller Regelenergiearten vorsieht. Um die Diskussion im europäischen Rahmen zu fördern, haben die Projektpartner frühzeitig mit der Planung und der Vorbereitung für die Implementierung einer europäischen Plattform für Sekundärregelleistung begonnen.
Eine gemeinsame Basis für nationale und internationale Windprojekte plant Tennet in der Nordsee. Das Konzept basiert auf einer Insel mit einer modularen Struktur. Die Module, von denen jedes eine Fläche von sechs Quadratkilometern hat, bieten Platz für den Anschluss von etwa 30-GW Offshore-Windkapazität. Von der Insel aus soll die Windenergie über Gleichstromkabel beispielsweise an die Niederlande, Großbritannien, Belgien, Norwegen, Deutschland und Dänemark verteilt. Bis eine solche Insel tatsächlich errichtet werden kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen: Tennet gibt an, dass die Insel zwischen 2030 und 2050 in der Doggerbank errichtet werden könnte.
Spannende Projekte in Deutschland
Neben grenzüberschreitenden Projekten steht auch der innerdeutsche Netzausbau auf der Tagesordnung der vier ÜNB. Eines der vielen Ausbauprojekte ist Ultranet – eine neue Gleichstromverbindung zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die Amprion aktuell plant. Rund 2.000 Megawatt elektrische Leistung soll die 340 Kilometer lange Leitung übertragen. Unterstützung bekommt Amprion dabei von TransnetBW. Erstmals sollen dabei Gleich- und Wechselstrom mit einer Spannung von 380 Kilovolt auf denselben Masten übertragen werden. Dafür ist es möglich, bestehende Trassen zu nutzen. Und auch abseits vom Netzausbau sind die ÜNB aktiv. So plant Tennet gerade gemeinsam mit Sonnen ein Blockchain-Projekt, das zeigen soll, wie miteinander vernetzte Heimspeicher helfen können, Engpässe im Netz zu managen und die teure Abriegelung von Windanlagen zu begrenzen.
In dem Projekt stellt Sonnen dem ÜNB flexible Kapazitäten aus vernetzten Heimspeichern zur Verfügung. TransnetBW entwickelt mit Smart System derzeit eine Lösung für die Energiesteuerung der Zukunft, die die beiden Kernbereiche Netz und Markt verknüpft. In diesem System werden zwischen den Akteuren nicht mehr nur Strommengen, sondern auch immer mehr Informationen zur Systemsteuerung, wie etwa Netzbelastung oder -zustand, und zu den entsprechenden Märkten ausgetauscht. All diese Vorhaben zeigen, dass alle vier ÜNB ein gemeinsames Ziel verfolgen. Der Wunsch nach einem starken Stromnetz und das Engagement in vielen Projekten rund um frische Ideen für den Strommarkt, werden auch in Zukunft eine solide Basis für ein harmonisches Miteinander sein.