Energiebeschaffung & -erzeugung Blindleistung managen

07.08.2014

Damit durch die Stromadern der Republik künftig mehr „sauberer“ Strom fließt, müssen sich die Netze wandeln. Eine durchdachte Bereitstellung und Nutzung von Blindleistung kann laut einer Studie helfen, ​Leitungsverluste zu reduzieren, die Spannungshaltung im Netz zu stützen und Investitionskosten zu verringern.

Aufgrund der Nutzung regenerativer Energiequellen müssen immer mehr dezentrale Erzeugungsanlagen an das bestehende Stromnetz angeschlossen werden. Gleichzeitig muss eine hohe Versorgungssicherheit jederzeit garantiert sein und eine normgerechte Spannungsqualität gewährleistet werden. Der Fachverband Starkstromkondensatoren im ZVEI (Zen­tral­verband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie) hat deshalb die Studie „Beitrag industrieller Blindleistungs-Kompensationsanlagen und -Verbraucher für ein innovatives Blindleistungs-Management in der Stromversorgung Deutschlands“ herausgegeben [1].

Die vom Institut für Netz- und Anwendungstechnik in Koope­ration mit der Technischen Hochschule Regensburg durchgeführte Studie stellt dar, wie ein höherer Kompensa­tionsgrad von betrieblichen Lasten das Verteilungsnetz beeinflusst und welche zusätzlichen positiven Beiträge sich daraus für die Energiewende ergeben. Darüber hinaus belegt die Studie, dass sich diese Effekte mit einem innovativen Blindleistungsmanagement verbessern lassen. Dazu muss die bewährte Technik der Blindleistungskompensation mit einer „intelligenten“ netzzustandsabhängigen Regelung kombiniert werden, sodass Blindstromflüsse im Netz aufeinander abgestimmt werden können.

Alle Netzbetriebsmittel (Freileitungen und Kabel, Schaltgeräte, Sicherungen und Transformatoren) müssen für die maximal zu übertragende Scheinleistung – die geometrische Summe aus Wirk- und Blindleistung – ausgelegt werden. Der Blindleistungsbedarf entsteht zum einen durch die Anlagen der Endkunden (vorwiegend motorische Lasten) und zum anderen durch die Netzbetriebsmittel selbst. Die Kompensation der Blindleistung entlastet die Betriebsmittel, reduziert die Übertragungsverluste und hat einen positiven Einfluss auf Spannungshaltung und -qualität.

In den nächsten Jahren werden sich die Blindleistungsflüsse innerhalb einer Spannungsebene und zwischen den verschiedenen Spannungsebenen verändern. Gründe hierfür sind der zunehmende Netzausbau, die Spannungsregelung mit Hilfe der Blindleistung durch dezentrale Erzeugungsanlagen (DEA) und neue Belastungssituationen der Betriebsmittel, die die DEA hervorrufen. In Schwachlastzeiten wird das Netz kapazitiver und bei starker Einspeisung induktiver wirken als bisher. Eine Verschärfung dieser Extremfälle ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass zugunsten regenerativer oder dezentraler Energieformen zwangsläufig mehr große konventionelle Kraftwerksblöcke vom Netz genommen werden müssen. Diese haben aber bisher für eine ausgeglichene Blindleistungsbilanz durch Einspeisung von Blindleistung gesorgt.

Der zunehmende Einsatz von Leistungselektronik, zum Beispiel in drehzahlgeregelten Motoren oder elektrischen Vorschaltgeräten, wird die Oberschwingungsbelastung der Spannung stetig erhöhen. Kompensationsanlagen werden bei entsprechender Auslegung häufig auch zur normgerechten Reduzierung der Oberschwingungspegel eingesetzt und können somit zusätzlich zur Blindleistungskompensation die Spannungsqualität grundsätzlich verbessern. Maximaler Nutzen kann erzielt werden, wenn die Kompensation der Blindleistung direkt am Verbraucher erfolgt. Die Studie untersucht zwei Möglichkeiten zur Optimierung der Blindleistungsflüsse im Verteilungsnetz:

  • Erhöhter Kompensationsgrad / autark arbeitendes, netz­unabhängiges Verfahren: Dabei wird der cosφ-Sollwert an allen Kompensationsanlagen erhöht, sodass nur das P-Q-Verhältnis (Wirk- zu Gesamtleistung) am Anschlusspunkt des Betriebs verändert wird.

  • Blindleistungsmanagement / geregeltes Verfahren: Ein innovatives Blindleistungsmanagement passt den cosφ-Sollwert für jede eingebundene Kompensationsanlage an die momentane Netzsituation vor Ort an und tauscht auch Blindleistung zwischen verschiedenen Spannungsebenen aus. Dabei kann es am Anschlusspunkt des Betriebes zu Über- und Unterkompensation kommen; der Einfluss auf die Spannungshöhe ist zu berücksichtigen.

Erhöhter Kompensationsgrad

Die Studie zeigt die positiven Effekte einer stärkeren Kompensation von Blindleistung für das Stromnetz. Steigt der einzuhaltende Kompensationsgrad bei industriellen und gewerblichen Abnehmern im Nieder- und Mittelspannungsnetz, kann der Blindleistungsbedarf nahe am Ort der Entstehung kompensiert und somit das Netz entlastet werden.
So ließen sich allein durch die Erhöhung des momentanen Kompensationsgrenzwerts (in der Regel cosφ = 0,90) die Netzverluste um 1,7 TWh pro Jahr in Deutschland senken. Dies entspricht dem Stromverbrauch von 480.000 Haushalten oder der Einsparung von knapp einer Million Tonnen CO2 pro Jahr.

Eine geringere Auslastung der Betriebsmittel würde sich einerseits positiv auf deren Lebensdauer auswirken, andererseits könnte die freiwerdende Netzkapazität dazu beitragen, in beträchtlichem Umfang weitere dezentrale Erzeugungsanlagen oder Lasten ins Netz zu integrieren. Dies verringert die Kosten für Netzausbau, -umbau und -erhalt um über 300 Millionen Euro pro Jahr. Die Studie konnte wissenschaftlich bestätigen, dass die Blindleistungskompensation einen wichtigen Baustein für eine effiziente und nachhaltige Energieversorgung darstellt.

Blindleistungsmanagement

Um das Potenzial der Blindleistung gänzlich zu nutzen, bedarf es der Einführung einer netzzustandsabhängigen Regelung, eines sogenannten Blindleistungsmanagements (siehe Abbildung oben). Damit ließen sich Blindleistungsflüsse (Q) optimal einstellen, indem Blindleistung mittels dezentraler Blindleistungsquellen und einer netzzustandsabhängigen Regelung je nach Bedarf und direkt vor Ort bereitgestellt wird. Blindleistungsquellen können betriebliche Kompensations­anlagen (vorwiegend kapazitiv), DEA oder netzeigene Kompensationsanlagen sein.

Auf Seiten der Betriebe besteht vielfach eine kostengünstige Möglichkeit, eine Kompensationsanlage aufgrund der vorhandenen Räumlichkeiten und der vorhandenen Anschlüsse mit einer Leistung bis zu 400 kvar zu erweitern. Hierdurch kann beispielsweise die Reduzierung der Übertragungsverluste, die Optimierung der Spannungshaltung sowie die Minimierung des Blindleistungsbezugs aus vorgelagerten oder eine gezielte Blindleistungs-Bereitstellung für angrenzende Netzebenen realisiert werden.

Nur ein auf den jeweiligen Netzzustand abgestimmtes Blindleistungsverhalten von DEA und industriellen Blindleistungskompensationsanlagen kann für eine optimale Ausnutzung der Netzinfrastruktur und eine Minimierung der Netzverluste sorgen. Dazu müssen allerdings Änderungen des regulatorischen Rahmens vorgenommen und faire, wett­bewerbliche Prozesse zur Beschaffung der Blindleistung eingeführt werden.

Gewerbliche und industrielle Betriebe könnten Blindleistung vielerorts volkswirtschaftlich kostengünstiger anbieten als dezentrale Erzeugungsanlagen kleinerer Leistung. Dieses Potenzial wird derzeit nicht genutzt. Die Einführung eines Blindleistungsmanagements der deutschen Verteilnetze ist eine gemeinsame Aufgabe der Netzbetreiber, Kunden und Lieferanten entsprechender Anlagen und Leistungen.

Blindleistung als Gemeinschaftsprojekt

Bilaterale Vereinbarungen zwischen Verteilungsnetz­betreiber und Kunden zur Blindleistungserbringung sind bereits heute denkbar, führen aber ohne die notwendigen gesetzlichen Vorgaben und die etablierten Prozesse zur Beschaffung von Blindleistung über finanzielle Anreize zu keinem volkswirtschaftlich günstigen und energieeffizienten Netzbetrieb. Deshalb sind für die Einführung eines fairen Blindleistungsmarkts umfassende Änderungen im Netzbetrieb und beim regulatorischen Rahmen erforderlich. Es besteht daher dringender Diskussionsbedarf zwischen Übertragungsnetzbetreibern, Verteilungsnetzbetreibern, Blindleistungskunden und -Anbietern sowie den politisch Verantwortlichen.

Weitere Informationen

[1] Download der Studie: www.zvei.org/Verband/Fachverbaende/Starkstromkondensatoren

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