Fachbeitrag Das Zuhause fernsteuern


Energiemanagement und Komfort: Mit nur wenigen Klicks lassen sich Heizung, Licht und Warmwasser von unterwegs steuern.

06.06.2013

Vernetztes Wohnen mit effizienter Energienutzung, Komfort und Sicherheitsfunktionen soll den Massenmarkt erobern. Doch jedes Gewerk hat eigene Standards, die auch im Wortsinn unter ein Dach gebracht werden müssen. In Allianzen erkundet die Branche übergreifende Ansätze.

Wer kennt das nicht: Das Fenster steht offen, die Heizung dennoch an. Oder das Licht im Keller brennt Tag und Nacht, weil niemand es sieht. Ärgerlich. Nicht nur der eigenen Schusseligkeit wegen, nein, es wird Energie unnötig verschwendet, die dazu noch Geld kostet.

Eine intelligente Steuerung könnte da helfen: Smart-Home-Applikationen, von denen es mittlerweile sehr viele günstige und nachrüstbare gibt - und täglich werden es mehr. Die Angebote stammen aus vielen Ecken: der Energiebranche, der Telekommunikation, der Gebäudetechnik, dem Unterhaltungssektor und der Sicherheitstechnik.

Was aber steckt genau dahinter? Wer Anbieter von Produkten fragt, wie sie „Smart Home“ definieren, erntet oft ein Lachen. „Das ist das große Problem: Jeder versteht etwas anderes unter Smart Home“, drückt es Günther Ohland aus, der erste Vorsitzende der Smart-Home-Initiative. „Beim einen ist es schon das automatische Öffnen der Jalousien, für den anderen eine Sturzerkennung und die Alarmierung des Pflegedienstes.“

Wobei wir bei weiteren Anwendungen eines intelligent vernetzten Haushalts wären. Insgesamt gibt es mehrere Domänen, in denen Smart-Home-Systeme für Effizienz, Komfort und Sicherheit sorgen: Energiemanagement/Haushaltsgeräte, Sicherheit, Unterhaltung/Büro, Gesundheit und alltagsunterstützende Assistenzlösungen (Ambient Assisted Living, AAL). Nach der aktuellen VDE-Studie „Smart Home + Building“ erfordert ein „echtes“ Smart Home allerdings die Integration und Interoperabilität aller vorhandenen Teilsysteme oder Domänen [1].

Smart Home für jedermann

Von der Vision des vernetzen Wohnens und Lebens wird schon seit über 20 Jahren geträumt. Allerdings ist dieser Komfort bisher vorwiegend in gehobenen privaten Haushalten zu finden. Der hier für die Hausautomation etablierte, internationale Standard ist KNX, dem sich bisher über 300 Hersteller angeschlossen haben. Zum Beispiel bietet ABB seine Komponenten zur Verbesserung der Energieeffizienz auf Basis von KNX an. Auch wenn dieser Standard mittlerweile vier Übertragungswege bedient - Busleitung, Powerline, Funk und IP -, sind Busleitungen verbreitet und eher im Neubau zu realisieren.

Für den Bestand - allein in Deutschland sind das über 40Millionen Wohnungen - ist das Smart Home damit aufwendiger zu gestalten. Hier sind nachrüstbare Systeme gefragt. Der Massenmarkt sei zudem eher über moderne online-basierte Software-Technologien zu erobern: „Durch browser- und appbasierte Technologien ist das Smart Home heutzutage massenmarktfähig“, hebt etwa Dr. Thomas Goette hervor, der Geschäftsführer von Greenpocket. „Die Menschen möchten ihr Zuhause schnell und bequem steuern können, am besten über den Tablet-PC oder von unterwegs über das Smartphone.“ Komfort und Sicherheit seien dabei wichtige Kriterien für den Erfolg einer Smart-Home-Lösung.

Den Komfort der mobilen Steuerung gibt es nun auch für die KNX-Gebäudesteuerung. Hierfür hat Merten, eine Marke des „Team Schneider Electric“, Mitte Mai die Inside-Control-App vorgestellt, mit der Anwender Licht, Temperatur, Belüftung, Klima oder Jalousien steuern und ihren Energieverbrauch im Auge behalten können. Auch Siemens hat für seine Smart-Home-Lösung „Synco Living“ eine Smartphone-App entwickelt und im März auf der ISH vorgestellt. Mit der App können Nutzer Informationen über den Betriebszustand der Anlagen erhalten und wenn nötig Sollwerte korrigieren oder den Anwesenheitsstatus ändern.

Mit Smartphone oder Tablet-PC und Apps wird der spielerische Zugang zum Smart Home geschaffen. Funkstandards sollen zudem eine kostengünstige Kommunikation zwischen Aktoren, Sensoren und Steuerzentralen ermöglichen - ohne Kabelschlitze zu klopfen. Mittlerweile gibt es hier eine gute Auswahl: EnOcean, ZigBee sowie proprietäre Funkstandards wie „HomeMatic“ von eQ-3 oder Z-Wave. Zudem existieren Lösungen, die das vorhandene hauseigene Stromnetz nutzen wie das proprietäre Bussystem „DigitalStrom“ von Aizo.

Schon bei den hier genannten Standards oder Technologien für das Heimnetzwerk - und das waren längst nicht alle - kann man den Überblick verlieren. „Die Vielzahl an Standards und Bussystemen, insbesondere die proprietären Lösungen sind eine Hürde, die Markteinführung überhaupt auf breiter Basis durchzuführen“, ist sich Dr. Siegfried Pongratz daher sicher, verantwortlich für die zentrale Koordination Heimvernetzung & Ambiente Systeme beim VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut. „Daher wollen wir im Hinblick auf Interoperabilität zusammen mit Partnern in einem Zertifizierungsprojekt eine standardisierte Lösung erarbeiten, damit die unterschiedlichen Systeme auch zusammenarbeiten können.“

Als Basis für die Zusammenarbeit der Bussysteme gibt es ebenfalls zahlreiche Technologien, die sogenannten Frameworks, die dann im Energiemanager, „Butler“ oder der „Home Base“ die Kommunikation der Geräte aller Domänen eines Haushalts ermöglichen sollen. Zu den Frameworks gehören der EEBus, OSGI (Open Service Gateway Initiative), Click (Connected Living Innovation Component Kit), Corba (Common Object Request Broker Architecture), DPWS (Devices Profile for Web Services), HGI (Home Gateway Initiative) und viele weitere mehr. Sich in diesem Dschungel der Standards zurechtzufinden ist nicht einfach und sollte der Endkunde letztendlich auch gar nicht leisten müssen.

Branchenübergreifende Partnerschaften

Smart-Home-Systeme sind komplex und umfassen mehrere Branchen, daher sind Partnerschaften und Kooperationen gefragt. Zum Beispiel Qivicon, eine von der Telekom initiierte Allianz der Unternehmen EnBW, eQ-3, Miele, Samsung und der Deutschen Telekom. Sie hat das Ziel, ein herstellerübergreifendes Smart-Home-Angebot zu entwickeln. Die ersten Produkte sollen voraussichtlich noch in diesem Jahr verfügbar sein (lesen Sie dazu auch den Beitrag auf Seite 25).

RWE arbeitet daran, seine Smart-Home-Lösung weiter auszubauen. „Das Produktportfolio, das heute für unser Smart-Home-System auf dem Markt ist, stammt komplett von RWE“, erläutert Holger Wellner, Leiter des Geschäftsbereich RWE Smart Home. „Das wird sich 2013 aber noch ändern. Da werden schon die ersten anderen Labels und Partner hinzukommen, die ihre Komponenten in das System von RWE Smart Home integrieren.“ Doch im Gegensatz zu Qivicon nutzt RWE keine vorhandenen Funk-Standards, wie Wellner versichert: „Wir haben keinen adäquaten Standard gefunden, der unseren Rahmenbedingungen für Sicherheit, Robustheit und Interoperabilität gerecht wurde. Daher haben wir uns dazu entschieden einen eigenen Standard komplett neu zu bauen.“

Greenpocket ist Anfang des Jahres eine Produktpartnerschaft mit Zyxel eingegangen, um seine Smart-Home-Lösung auszubauen. Damit erweitert das Unternehmen seine Software-Lösung um ein Smart-Home-Service-Gateway. Zusammen mit einer breiten Auswahl an Aktoren und Sensoren sollen sich damit nun Heizung sowie Elektro- und Haushaltsgeräte oder auch ganze Räume gezielt automatisieren und steuern lassen.

Eine Energiemanagement-Lösung hat SMA Solar Technology für PV-Anlagen-Besitzer auf den Markt gebracht. Diese können mit dem SMA Smart Home ihre Eigenverbrauchsquote intelligent erhöhen (siehe S. 28). Dabei aktiviert der Sunny Home Manager als Schaltzentrale über Funksteckdosen automatisch Wasch-, Geschirrspülmaschine oder Trockner und das innerhalb eines vom Nutzer vorgegebenen Zeitfensters. In das System eingebunden sind Batterien, und zukünftig sollen darüber hinaus auch Elektroautos über eine Wallbox mit der zentralen Steuereinheit kommunizieren können. Der Sunny Home Manager nutzt für den optimalen Einsatz der Verbraucher Wetterprognosen, gelerntes Benutzerverhalten und tatsächliche Verbrauchsprofile. Für einen standardisierten Smart-Home-Ansatz arbeitet SMA Technology in der Initiative EEBus mit [2]. Weiterhin ist das Unternehmen kürzlich eine Kooperation mit Miele eingegangen und strebt Kooperationen mit Herstellern von Heizungssystemen an.

Smart Home auf dem Weg aus der Nische

Das vernetze Zuhause ist bisher ein Nischenmarkt. Doch das scheint sich zu ändern wie RWE-Experte Holger Wellner beobachtet: „Wir stehen am Anfang eines komplett neuen Marktes. Das merken wir auch mit unseren Produkten - so haben wir in einer einzigen Aktion mehr als 60.000 Komponenten verkauft und inzwischen in unserem Marktsegment mit Lösungen zwischen 300 und 2000 Euro einen hohen Marktanteil.“ RWE geht davon aus, dass das vernetzte Haus in zehn Jahren zum Standard im gehobenen Wohnungsbau gehört.

Dass Smart-Home-Lösungen Menschen begeistern, bestätigt auch der Fertighaus-Hersteller Weber Haus. Das Unternehmen baue schon seit drei Jahren jährlich mehrere hundert Häuser mit einem wachsenden Anteil an Smart-Home-Funktionen, die über die Grundausstattung mit EnOcean-Funktechnologie hinausgehen. „Immer mehr Kunden wollen schon gleich einen Schritt weiter gehen und die Funktionen auch visualisiert haben“, sagt Holger Heid, Produktmanager von Weber Haus. Energiemanagement, Sicherheit und purer Komfort spielen laut Heid die tragende Rolle bei der Entscheidung für die modular aufbaubaren Smart-Home-Lösungen.

Weitere Informationen

[1] VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.: Studie Smart Home + Building: Plug-and-Play als Strategie zur Markterschließung, März 2013

[2] Mitglieder der Initiative EEBus: www.eebus.org/eebus-initiative-ev/mitglieder

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