Masse allein macht’s nicht, auch nicht bei „Big Data“, oder? Dass aus Quantität unter gewissen Umständen eine neue Qualität entstehen kann, macht Prof. Viktor Mayer-Schönberger (Universität Oxford) an einem Alltagsbeispiel deutlich: Ein Foto ist ein „Stillleben“, wie man es auch dreht und wendet. 24 Bilder pro Sekunden nimmt der Mensch dagegen als Bewegtbild wahr.
Weitere prägnante Gedanken aus seinem Vortrag zum Abschluss des BDEW-Kongresses Ende Juni In Berlin:
In der Welt von Small Data musste man beim Erstellen der Datensätze wissen, für welchen Zweck man sie braucht. Anders kann man im Zeitalter großer Datenhalden vorgehen: „Man kann Fragen beantworten, von denen man zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht wusste, dass sie interessieren würden“, sagt der Autor des Buches „Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird“.
Grippeinfektionen aus Suchanfragen vorhersagen
Und das liefert erstaunliche Einsichten. Google, so verblüffte schon Mayer-Schönbergers Einstiegsbeispiel, hat ein Modell gefunden, um Aussagen über die Verbreitung von Grippeinfektionen aus Suchabfragen abzuleiten – in Echtzeit versteht sich, noch bevor die Schneuzenden und Schniefenden eine Arztpraxis aufgesucht haben und ihre Symptome aktenkundig werden könnten.
Oder womit deckt sich ein durchschnittlicher US-Bürger ein, wenn ein Orkan heraufzieht? Außer Batterien und Taschenlampen greift er zu Poptarts in der Geschmacksrichtung Erdbeeren. Warum er zu dem Süßgebäck greift? Falsche Frage. „Das sagen die Daten nicht“, verweist Mayer-Schönberger auf eine prinzipielle Beschränkung der Big-Data-Analyse, die aber gut genug ist, um die begehrten Mitnahme-Produkte rechtzeitig vor der Katastrophe ins Blickfeld der Kunden zu bringen.
Bessere Entscheidungen treffen dank Big-Data-Analyse
Auch sinnvollere Anwendungen haben sich gefunden, etwa in Geburtskliniken: Um Infektion bei Frühgeborenen, die oft tödlich verlaufen, rechtzeitig erkennen zu können, wurden 1200 Vitaldatenpunkte pro Sekunde gesammelt und tatsächlich Muster gefunden, die eine Frühwarnung liefert, 24 Stunden bevor die gefährdeten Frühchen erste Symptome zeigen.
Big Data, so die Folgerung von Prof. Mayer-Schönberger aus diesen und weiteren Beispielen, könne helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Damit sei es eine „richtige und folgerichtige Entscheidung“, Daten ohne konkreten Grund zu sammeln – ein Satz, der in den Ohren von Datenschützern vermutlich alarmierend klingt.
Doch „mit Big Data verändern sich Geschäftsmodelle“, stelle der Oxford-Professor fest: „Sie werden Daten-zentrierter.“ Gewinner der Jagd nach neuen digitalen Geschäftsmodelle seien am ehesten die beweglichen kleinen Firmen und die großen Datenhalter – „Das Problem liegt in der Mitte“, so Mayer-Schönberger. Die Datensammelplattform über die Temperarturpräferenzen von Menschen in ihren Wohnungen hat nach dem Kauf von Nest jetzt Google, nicht die Energieversorger, warnte er.
Wie nachhaltig sind Big-Data-Geschäftsmodelle?
Die Sorgen der Menschen – etwa vor dem Ende eines Solidaritätspools, wenn Versicherungen Verhaltensdaten nutzen – müsse man ernst nehmen, mahnte Mayer-Schönberger, schon weil man die Daten sonst nicht bekomme. „Die Währung der digitalen Nachhaltigkeit sind Vertrauen und Verantwortung.“
Und noch ein nachdenklicher Satz am Schluss: „Die Diktatur der Daten entsteht, wenn man glaubt, dass die Daten Antwort auf die Frage nach dem Warum geben.“
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