Die Energiebranche hat eine der ältesten Mitarbeiterstrukturen in Deutschland. In den Personalabteilungen schrillen deshalb die Alarmglocken: Schon jetzt sind rund 34 Prozent der Belegschaft älter als 50 Jahre. Ein Drittel aller Menschen, die heute bei Energieversorgern tätig sind, werden spätestens in 15 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden – das geht aus einer Studie [1] der Hochschule Koblenz hervor.
Schwierigkeiten bereitet den Unternehmen dabei nicht nur die Rekrutierung von fachlich geeignetem Nachwuchs. 65 Prozent der Unternehmen haben außerdem erkannt, dass sie mittelfristig mit dem altersbedingten Ausscheiden von Kompetenz- und Wissensträgern konfrontiert werden. Strategien zur Lösung dieses Problems haben aber nur die wenigsten. Dabei sollten sich Personalmanager und andere Entscheider an dieser Stelle fragen: Wie hält man das bereits vorhandene Wissen im Unternehmen, bevor es in den Ruhestand abwandert? Hierauf liefert das digitale Wissensmanagement eine Antwort.
Von der Datenbank zum Wiki
Verschiedene Branchen beschäftigen sich intensiv mit der Frage nach der effizienten Nutzung des Wissens ihrer Mitarbeiter. Dies hat bereits mehrere IT-Lösungen hervorgebracht. Einfache Datenbanklösungen wurden von sogenannten Firmen-Wikis abgelöst und in der jüngsten Zeit sind Social-Media-Plattformen im Stil von Facebook im Trend.
Keiner dieser Ansätze hat sich im Sinne der Unternehmen als effizient und praxistauglich erwiesen. Sie scheiterten auch an den gelebten Strukturen innerhalb der Unternehmen. Heute liegen Unternehmen, die diese Techniken nutzen, damit bereits einen Schritt im Wettbewerb zurück. Weltweit agierende Konzerne wie Swisscom oder Bayer setzen inzwischen auf „Brain Technology“ anstelle klassischer Know-how-Management-Plattformen. Dabei handelt es sich um ein Tool, auf das innerhalb des Unternehmens jeder Mitarbeiter Zugriff hat und das das Wissen seiner Nutzer systematisch und anonym „sammelt“. Doch nicht nur das: Es analysiert das Know-how seiner Teilnehmer, kartographiert es und macht es jederzeit für jeden anderen Mitarbeiter abrufbar. Der Entwicklung liegt dabei ein interdisziplinärer Ansatz zugrunde, der neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit moderner Netzwerktechnologie verknüpft.
Mitarbeiterwissen „googlen“
Die Funktionsweise der Technologie ist erstaunlich einfach: Ein Mitarbeiter kann eine Frage in das System eingeben, die daraufhin intern an denjenigen Kollegen weitergeleitet wird, der die Frage mit hoher Wahrscheinlichkeit beantworten kann.
Der zugrundeliegende Algorithmus analysiert dabei ständig den Inhalt der Fragen und lernt mit jeder Frage, jeder Antwort, jeder Bewertung – also mit jeder Interaktion – die Nutzer und deren Expertise eigenständig kennen und leitet Fragen automatisiert den entsprechenden Know-how-Trägern weiter. So muss keine Frage doppelt gestellt werden, da jede gegebene Antwort dokumentiert wird und abrufbar bleibt. Mit zunehmender Nutzung entsteht so ein in Echtzeit abrufbares Firmengedächtnis, das sich automatisch aktualisiert.
Der Einsatz von „Brain Technology“ für Wissensmanagement bietet einem Unternehmen die Möglichkeit, das individuelle Wissen der Mitarbeiter zielgerichtet abzufragen – es gewissermaßen per interner Suchanfrage zu „googlen“. In Unternehmen aus verschiedenen Branchen hat diese Generation intelligenter Tools Einzug gehalten. Swisscom zum Beispiel setzt diese Technologie seit mehr als einem Jahr ein. Eine intern durchgeführte Studie belegt: Mehr als 10.000 Arbeitsstunden konnten durch das ständig abrufbare Mitarbeiterwissen eingespart werden. Das Unternehmen schätzt den betriebswirtschaftlichen Nutzen im ersten Jahr auf etwa 5 Millionen Schweizer Franken und sieht noch weitere Steigerungsmöglichkeiten.
Größe steigert Nutzen
Der größte Nutzen ergibt sich für Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeitern, da eine größere kritische Masse den Entwicklungsprozess des Firmengedächtnisses schneller vorantreibt. Der finanzielle und rein quantitative Mehrwert wird durch den qualitativen Nutzen in Form von dokumentiertem Know-how und dem Aktuellhalten wichtiger Inhalte noch übertroffen. Das „Firmengedächtnis“ eines Großkonzerns gilt schon als strategischer Asset in den Firmen, die Starmind nutzen.
Den Herausforderungen des demografischen Wandels kann nicht ausschließlich damit begegnet werden, allein auf das Rennen um die klügsten Köpfe im Recruiting zu setzen und zu versuchen, so dem kommenden Personalverlust entgegenzuwirken. Hat ein Unternehmen auch den Verlust von Know-how im Blick, kann dies die Karten im Wettbewerb der Energiebranche neu mischen.
„Firmengedächtnis“ aufbauen
Nur wer frühzeitig die Möglichkeiten moderner Technologie erkennt und für sich nutzt, kann sich so einen Vorteil sichern, wenn Kompetenz- und Wissensträger altersbedingt aus dem Unternehmen ausscheiden. Ein derartiges „Firmengedächtnis“ bietet Unternehmen heute schon die Möglichkeit, für diese Situation gewappnet zu sein.
Weitere Informationen
[1] Studie Hochschule Koblenz/ Energy-Relations: Arbeitgeber-Image Energie 2012 http://goo.gl/WxSHqr