Energy 2.0: Herr Grützmacher, wie erleben Sie die Stimmung in der Energie- und speziell in der Gas-Branche?
Stefan Grützmacher: Grundsätzlich ist die Stimmung nicht so gut. Die wirtschaftlichen Probleme sind bei allen angekommen, aber der größte Druck kommt aus der konventionellen Stromerzeugung, weil dort Cash-Verluste eingefahren werden.
Wie sieht es bei Gas aus?
Da haben wir das wirtschaftliche Problem nicht, weil wir nicht in der Stromerzeugung sind. Über Jahre war die Stromerzeugung zwar ein interessantes Geschäftsfeld, aber in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr. Wir hatten als Gasversorger letztes Jahr ein ganz zufriedenstellendes Jahr.
Die Ukraine-Krise zeigt wie erpressbar ein Land ist, das an Russlands Pipeline hängt. Wie beurteilen Sie – speziell als Gasversorger in Berlin, wo die Macht Russlands ja besonders augenfällig geworden ist – die Versorgungssicherheit?
Diese politische Entwicklung hätte vor ein paar Monaten sicher niemand erwartet. Aber wir haben in Deutschland seit über vier Jahrzehnten diese Bezugssituation und damals waren wir weit von geopolitischen Verhältnissen wie heute entfernt. Damals gab es den Ostblock und die Nato-Länder, beide hoch gerüstet mit teils atomaren Mittelstreckenwaffen, die aufeinander gerichtet waren. Und trotzdem ist eine Gasversorgung aufgebaut und durchgeführt worden. Die Russen haben während aller Krisen und der kältesten Zeiten des kalten Krieges immer geliefert, auch während Vietnamkrieg, Afghanistan-Krieg und Olympiaboykott 1980. Die Situation heute ist sicher ernst zu nehmen, aber ein Blick in die Vergangenheit sollte ein gewisses Maß an Besonnenheit schaffen.
Die Gasbranche würde gerne die Ölheizungen über die nächsten Jahre umstellen. Aber warum sollte jemand, dessen Ölheizung in die Jahre kommt, auf Gas umstellen? Öl-Brennwertgeräte sind auch effizient und die Tanks ja da.
Das hat ökonomische und ökologische Gründe. Früher hing der Ölpreis noch am Gaspreis, heute ist der Preis für Heizöl 20 Prozent höher als der Gaspreis. Das wird auch so bleiben, weil wir grundsätzlich mehr als genug Gas im Weltmarkt haben. Die Gaspreise sind trotz Ukraine-Krise noch auf moderatem Niveau. Der Markt erwartet also keine Lieferstörung.
Und ökologisch?
Selbst wenn man bei Öl Top-Technologie verwendet, hat man mit Gas 20 bis 25 Prozent weniger CO2-Emissionen. 20 Prozent weniger Kosten und 20 Prozent weniger Belastung für die Umwelt – das sind doch zwei gute Argumente.
Werden Gasversorger in Städten dank KWK immer mehr zu Stromanbietern?
Auch außerhalb der Stadt setzen wir auf Stromerzeugung, zum Beispiel aus Biogas.
Können und sollen Stadtquartiere energieautark werden?
Das kann passieren, aber für mich ist Energieautarkie eine Fehlentwicklung in der Energiewende. Wir haben nicht eine Energiewende im Bund oder 16 in den Ländern, wir haben tausende in jeder Kommune und dem kleinsten Dorf. Das hört sich smart an, aber nicht Autarkie ist hier die Lösung, sondern Vernetzung. Autarkie ist ohne die Lösung des Speicherproblems nicht durchzuhalten – und ist auch keine Antwort auf den Energiebedarf eines der wichtigsten Industrieländer der Erde. Autarkie ist somit in weiten Teilen eine Wunschvorstellung, aber vernetzte Dezentralität wird dagegen schon Teil der Lösung sein.
Das erzeugt jedenfalls immer komplexere Systeme. Wer soll die kosteneffizient umsetzen?
Die Komplexität ist bereits heute da und wird noch viel größer. Das ist die Herausforderung, auf die wir noch keine Antwort haben. Die Energiewende ist ein 1.0-Projekt, es hat vor uns noch niemand „gemacht“. Technologisch ist das alles andere als gelöst. Selbst wenn wir das Problem technologisch gelöst hätten, wäre es noch lange nicht ökonomisch gelöst. Die Energiewende wird Jahrzehnte dauern und wir müssen noch viele Dinge ausprobieren.
Die Lieferanten solcher Produkte sagen aber, die Technologie stehe schon bereit, ja sei teilweise schon serienreif. Wo sehen Sie noch Bedarf?
Die Hardware mag da sein, aber die Erfahrungen, wie sie zu steuern ist, fehlen. Jeder Energieversorger war in den letzten Jahren an den Rand der eigenen Leistungsfähigkeit und darüber hinaus mit dem informatorischen Unbundling gestresst. Das klingt technologisch lapidar, aber dieses Managen von bekannten Daten in bekanntem Umfeld hat die Unternehmen fast lahmgelegt. Jetzt wollen wir unbekannte Daten in einem vollkommen neuen Umfeld beherrschen. Ich bin der Meinung, das ist nicht trivial.
Haben wir also beim Thema „Big Data“ unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht, weil wir nicht einmal die Standarddaten beherrschen, geschweige denn analysieren können?
Daten haben wir en masse, aber was machen wir damit? Selbst Dienstleistungsanbieter aus anderen Märkten behaupten von sich, sie können Big Data, zahlen aber in der Energiebranche auch noch ihr Lehrgeld.
Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.