„Paradigmenwechsel wird kommen“ Gleichstrom in der Industrie

Guido Ege, Leiter Produktmanagement und Produktentwicklung bei Lapp.

Bild: Lapp
25.06.2020

Die Energieeinsparpotenziale von Gleichstrom in der Industrie sind so groß, dass zahlreiche Unternehmen intensiv an der Weiterentwicklung arbeiten. Eine der zu lösenden Aufgaben ist die Langzeitstabilität bestimmter Isolationsmaterialen der DC-Kabel. Guido Ege, Leiter Produktmanagement und Produktentwicklung bei Lapp, erläutert den aktuellen Stand der Entwicklung.

Welche Potenziale sehen Sie für das Thema Gleichstrom in der Industrie?

Bei Gleichstrom fallen die Verluste weg, die heute bei der Umwandlung zwischen Wechselstrom (AC) und DC und umgekehrt entstehen. Das Potenzial der Energieversorgung mit Gleichspannung zur Energie- und CO2-Einsparung ist deshalb enorm. Wir haben auf der vergangenen Hannover Messe am Gemeinschaftsstand „DC Industrie“ ein Exponat mit zwei Sechsachs-Robotern gezeigt. Dort konnte demonstriert werden, wie sich in dem Lastkollektiv, das durchlaufen wurde, 30 Prozent Energieeinsparung erzielen lässt. Das ist ein beachtlicher Wert und eine Kosteneinsparung, die man nicht ignorieren kann. Ein konsequent auf Gleichstrom ausgelegtes Energienetz käme auf einen Gesamtwirkungsgrad von 90 Prozent – gegenüber heute 56 Prozent. Mehrere große Braunkohlekraftwerke könnte man dann abschalten.

Inwieweit rechnen Sie damit, dass sich die Technologie in der Industrie durchsetzen wird?

Die Vorteile einer Umstellung sind so überzeugend, dass kaum ein Zweifel daran bestehen kann, dass der Paradigmenwechsel kommen wird, und zwar vor allem in der Industrie. Wir sind überzeugt davon, dass unsere Zielkundschaft wie der deutsche Maschinenbau und deren Endkunden, etwa im Automotive-Bereich sich verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen werden.

In welchem Zeithorizont rechnen Sie mit einem Durchbruch oder zumindest mit einer breiteren Durchdringung?

In der Industrie werden wir in den kommenden 3 bis 5 Jahren sicher weitere DC-Projekte sehen, allerdings nur in Nischenanwendungen. Es wird zunächst nicht die Masse an Anwendern für die Nutzung dieser Technologie geben. Es sind eher die großen Fertigungslinien, für die sich eine solche Investition rentiert. Demensprechend haben etwa die großen Automobilisten Testzellen installiert, die diese Effizienzgewinne, die durchaus bis zu 30 Prozent betragen können, heben möchten.

Wo sehen Sie speziell noch Handlungsbedarf?

Handlungsbedarf gibt es auf vielen Ebenen. Wir sind hier bei Kabeln in der Entwicklung aktiv. Weitere Baustellen gibt es in der Normung, außerdem müssen noch DC-taugliche Komponenten zur Verfügung gestellt werden, etwa bei Steckern und Schaltern. Hier muss noch weiter geforscht werden, denn bei Gleichstrom erlischt beispielsweise ein Störlichtbogen nicht von allein. Das kann lebensgefährlich werden. Wir von Lapp können aber nur zum Thema Verkabelung nähere Aussagen machen. Erste Forschungsarbeiten von uns in Kooperation mit der TU Ilmenau haben gezeigt, dass bestimmte Isolationsmaterialien weniger gut für dauerhafte DC-Anwendungen geeignet sind. Im Oktober ist das Folgeprojekt DC-Industrie2 gestartet. Hier sind wir geförderter Partner und werden insbesondere die Langzeitstabilität von Isolationsmaterialien für Kabel und Leitungen umfassend erforschen.

Lapp und die TU Ilmenau haben in Versuchen herausgefunden, dass die Isolationsmaterialien im Gleichspannungsfeld ein anderes Alterungsverhalten zeigen als in einem Wechselspannungsfeld. Wo liegen die Unterschiede genau?

Die Forschungsergebnisse sind ein wichtiges Indiz, dass das elektrische Feld, das von Gleichspannung erzeugt wird, eine andere Wirkung auf die Isolationsmaterialien hat als ein Wechselspannungsfeld. Viele Experten hatten das bisher bestritten. Diese Versuche waren eine erste Untersuchung, die das erstaunliche Ergebnis lieferte, dass die untersuchten Isolationsmaterialien unter den Einflüssen der unterschiedlichen Felder ein unterschiedliches Alterungsverhalten aufweisen. So zeigte sich, dass bestimmte Materialien weniger stabil unter dem Einfluss eines dauerhaften Gleichfeldes waren als andere, überraschenderweise schnitt etwa PVC weniger gut ab als erwartet. Das Alterungsverhalten hängt aber auch sehr stark von den vorgegebenen Alterungsparametern ab. Einige Ergebnisse sind aber auch widersprüchlich.

Mit welchen Konzepten lässt sich diesem Umstand begegnen?

Um hier zu belastbaren Aussagen zu kommen, bedarf es weiterer Forschung. Zum einen planen wir Alterungstests, die ohne Wasserbad auskommen, die dann allerdings länger dauern müssten. Zum anderen wollen wir verstehen, was chemisch und physikalisch im Kunststoff abläuft. Der Abbau des Polymers oder das Aufquellen im Wasser sowie das Herauslösen von Additiven könnten mögliche Ursachen sein. Bis dazu Daten vorliegen, gibt es keinen Grund, auf Leitungen mit PVC-Isolation in Gleichstromanwendungen zu verzichten. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Leitungen fest, also ohne Bewegung, sowie ohne mechanische Belastung etwa durch zu enge Biegeradien verlegt werden. Außerdem sollte die Umgebung stets trocken sein. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, etwa im bewegten Einsatz in Energieketten, können Anwender auf andere Isolationsmaterialien ausweichen. So hat TPE in unseren Prüfungen im Wasserbad ausgezeichnet abgeschnitten.

Welche Gleichstromleitungen hat Lapp bereits im Angebot und wie unterscheiden sich diese von herkömmlichen AC-Leitungen?

Wir haben auf Basis dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse als erster Hersteller bereits Leitungen eigens für Gleichstrom auf den Markt gebracht – darunter die Ölflex DC 100 mit neuer Farbcodierung der Adern nach der 2018 aktualisierten Norm DIN EN 60445 (VDE 0197):2018-02 für Gleichstromleitungen: rot, weiß und grün-gelb. Weitere Leitungen sind die Ölflex DC Servo 700 für stationäre und die Ölflex DC Chain 800 aus TPE für bewegte Anwendungen. Außerdem haben wir für die Partner in DC-Industrie eine Hybridleitung entwickelt, die alle Funktionen zur Ansteuerung eines Antriebs in einem Mantel vereint. Und auf der Hannover Messe zeigen wir die erste DC-Roboterleitung Ölflex DC Robot 900 mit der Aderisolation aus TPE und dem Mantel aus PUR. Damit sind wir Vorreiter bei der Entwicklung von Leitungen für Niederspannungs-Gleichstromnetze für industrielle Anwendungen.

Welche ökonomischen Erwartungen haben Sie als Unternehmen an die Technologie?

Als Marktführer wollen wir natürlich technologische Trends begleiten, unsere Expertise einbringen und vorne mit dabei sein. Wir sehen in Gleichstrom große ökonomische Chancen. Gerade für die Kunden aus der Automotive- und Prozessindustrie, mit denen wir seit vielen Jahren bereits partnerschaftlich zusammenarbeiten, sehen wir großes Potential. Die Zielgruppe ist so groß, dass es sich auf jeden Fall lohnt, bei Gleichstrom vorne mit dabei zu sein.

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