Steffen Munz, Schaltbau Die Gleichstromfabrik als Beitrag zu Net Zero

Steffen Munz ist seit März 2021 Vorstand der Schaltbau Group, einem Carlyle Portfolio-Unternehmen. Zuvor war er als Vorstand bei der VARTA AG und als Geschäftsführer bei Gardner Denver tätig.

22.10.2024

Ein wettbewerbsfähiger und klimaneutraler Produktionsbetrieb ist möglich! Wie? Mit der Gleichstromfabrik! Die weltweit erste Gleichstromfabrik hat Schaltbau im September 2023 mit der NExT Factory in Betrieb genommen. Was steckt hinter dem Konzept, was muss man bei der Planung beachten und welche Hürden muss insbesondere Deutschland noch nehmen, um Gleichstrom als Strom der Zukunft zu etablieren?

Die Geschichte der Elektrotechnik ist untrennbar mit den Namen Edison und Tesla verbunden. Thomas Edison brachte die Elektrotechnik mit der Gleichstromtechnik voran, während sein ehemaliger Mitarbeiter Nikola Tesla später zeigte, dass Wechselstrom (AC) und Drehstrom für die Übertragung elektrischer Energie besser geeignet sind. Die heutige Elektrifizierung und der Klimaschutz verlangen jedoch nach einer Neubewertung und Wiederentdeckung der Gleichstromtechnik (DC). Die weltweit erste Gleichstromfabrik, die Schaltbau im September 2023 in Bayern in Betrieb genommen hat, ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Gleichstromtechnik in der modernen Industrie ihre Renaissance erlebt. Doch welche Herausforderungen und Vorteile bringt die Umstellung auf Gleichstrom mit sich?

Gleichstromtechnik bietet große Vorteile in Bezug auf Energieeffizienz und die Integration erneuerbarer Energien. Ein wesentlicher Vorteil liegt in der Reduktion von Energieverlusten. In unserer NExT Factory konnten wir durch die Umstellung auf Gleichstrom den Energieverbrauch und die -kosten um bis zu 35 Prozent senken. Dies wird durch die direkte Nutzung von Solarenergie ermöglicht, die auf Gleichstrom basiert und so ohne die verlustbehaftete Umwandlung in Wechselstrom genutzt werden kann.

Ein weiterer bedeutender Vorteil ist die Einsparung von Material und Ressourcen. Durch den Einsatz von Gleichstrom konnten wir 25 Prozent weniger Kupfer in der elektrischen Vernetzung verwenden. Dies ist möglich, weil reine Gleichstromsysteme weniger Leitungen benötigen und keine Blindleistung übertragen müssen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Verdrahtung einfacher und kostengünstiger ist.
Trotz der Vorteile gibt es auch hier Herausforderungen bei der Implementierung der Gleichstromtechnik. Eine dieser Hürden ist beispielsweise die fehlende Standardisierung und die Notwendigkeit neuer Normen und Sicherheitsstandards. In unserem Pilotwerk mussten wir intensiv mit Normungsgremien und Energieversorgern zusammenarbeiten, um die notwendigen Voraussetzungen für den sicheren Betrieb zu schaffen. Ein weiteres Problem ist die Notstromversorgung. Trotz der hohen Autarkie unserer Fabrik benötigt die Sprinkleranlage ein Diesel-Notstromaggregat, da die aktuellen Sicherheitsnormen keine andere Redundanz zulassen. Gleichstromtechnik ist zwar technisch ausgereift, aber in einigen Bereichen werden noch regulatorische Anpassungen benötigt.

Mit einer Produktionsfläche von 220.000 m2 und einer Logistikfläche von 5.000 m2 wurde in der NExT Factory eine Infrastruktur geschaffen, die über traditionelle Fabrikstandards hinausgeht. Ein zentraler Bestandteil ist ein KI-basiertes Energiemanagementsystem. Dieses System überwacht zu jedem Zeitpunkt alle Verbraucher und Erzeuger und passt den Energiefluss entsprechend an, um Spitzenlasten zu reduzieren. Ein besonderes Beispiel dafür ist das Hochregallager, deren Betrieb durch diese KI-gestützte Technologie erheblich effizienter gestaltet wird. Normalerweise würde ein solches Lager eine Anschlussleistung von 120 bis 130 kW benötigen. Durch den Einsatz der Gleichstromtechnik und das intelligente Energiemanagementsystem konnte diese Last auf nur 26 kW reduziert werden.

Aber auch im Bereich der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität bietet die Gleichstromtechnik Potenziale. Solarzellen, Batterien und viele industrielle Anwendungen arbeiten bereits mit Gleichstrom. Ein weiterer vielversprechender Bereich ist die Integration von Energiespeichern. In der NExT Factory kommen Batteriespeicher zum Einsatz, um Energiespitzen zu puffern und die Netzstabilität zu gewährleisten. Diese Speicher haben eine Kapazität von 400 kWh und können bei Bedarf erweitert werden. Dies ermöglicht nicht nur eine hohe Autarkie, sondern auch eine stabile Energieversorgung, selbst bei Netzausfällen oder schwankender Solarstromproduktion.

Die Gleichstromtechnik erlebt derzeit eine Renaissance. Daraus ergeben sich erhebliche Vorteile für die Energiewende und den Klimaschutz. Gleichstrom kann durch die direkte Nutzung der Sonnenenergie zu einer nachhaltigen und effizienten Energieversorgung beitragen, Energieverbrauch und -kosten reduzieren sowie Materialressourcen einsparen. Die Herausforderungen sind nicht unüberwindbar und erfordern vor allem eine Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen und eine intensivere Zusammenarbeit von Industrie, Normungsgremien und Energieversorgern. Und die ersten Beispiele zeigen, dass die Gleichstromtechnologie nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis funktioniert und in die Zukunft weist.

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