Künstliche Intelligenz effizient nutzen Industrial AI im Mittelstand: Schluss mit dem Experimentieren

Die Transformation zur modernen Fertigung erfordert auch ein Umdenken in der Unternehmenskultur.

Bild: iStock, BlackJack3D
24.04.2025

Artificial Intelligence (AI) hat sich zu einem Kernthema für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft entwickelt. Besonders in der Industrie wird der Einsatz von AI in industriellen Anwendungen – auch Industrial AI genannt – immer wichtiger. Dennoch schaffen es viele Unternehmen nicht, die Technologie strategisch und gewinnbringend zu integrieren. Sie verweilen oft in einer Phase des „Experimentierens“, ohne langfristige Visionen oder messbare Erfolge zu erzielen.

Die Rolle von AI in der Industrie ist unbestreitbar – und ihr Potenzial enorm. Aus einer Studie von IW Consult und Google geht hervor, dass der gezielte Einsatz von AI die Produktivität im verarbeitenden deutschen Gewerbe um beeindruckende 7,8 Prozent steigern könnte. Dies würde zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von rund 56 Milliarden Euro führen. Doch trotz dieser vielversprechenden Aussichten tut sich der deutsche Mittelstand noch schwer damit, AI effizient zu nutzen. Laut einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragten Studie [2] befinden sich über die Hälfte (52 Prozent) der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) noch immer in einer Phase des Ausprobierens mit AI-Anwendungen. Nur 12 Prozent der Unternehmen haben mit der tatsächlichen Implementierung von AI begonnen, wobei Experten schätzen, dass keines den sogenannten „Reifegrad der Verankerungsphase“ erreicht hat.

Wie können mittelständische Unternehmen diese Experimentierphase hinter sich lassen und AI zu einem echten Mehrwert in ihren Produktionsprozessen verwandeln? Insbesondere in der Fertigungsindustrie, die sich mit steigenden Energiekosten, wirtschaftlicher Unsicherheit und neuen regulatorischen Anforderungen auseinandersetzen muss, ist eine konsequente und strategische AI-Implementierung entscheidend.

Nur mit den Fachabteilungen gelingt die Transformation

Der deutsche Mittelstand muss sich bewusst werden, dass er seine Rolle als Innovator verlieren und im internationalen Wettbewerb zum Getriebenen werden könnte, wenn er es versäumt, die Diskussionen auf Führungsebene zu überwinden und diejenigen einzubinden, die wirklich einen Unterschied machen können: die Fachabteilungen. Diese sind am besten mit den Kernprozessen des Unternehmens vertraut, haben die Datenhoheit und wissen, wo AI den größten Nutzen bringen und konkret zu Effizienzgewinnen führen kann.

In vielen Unternehmen existieren jedoch nach wie vor Vorbehalte gegenüber der Einführung von AI – vor allem die Angst, dass Maschinen Arbeitsplätze ersetzen könnten, ist noch immer präsent. Laut einer Studie von Zety fürchten 89 Prozent der Beschäftigten, ihre Arbeit aufgrund von AI zu verlieren. Doch wie bei jeder anderen technologischen Disruption wird auch AI eher zum Job Transformator statt zum Job Killer, sprich die Art und Weise, wie Arbeit erledigt wird, transformieren und Arbeitsprozesse effizienter gestalten.

Diese Transformation erfordert jedoch ein Umdenken in der Unternehmenskultur. Wie eine Studie von McKinsey zeigt, sind 44 Prozent der Mitarbeitenden besorgt, dass AI-Technologien aufgrund von Ungenauigkeiten Fehler verursachen könnten. Durch regelmäßige Erfolgskontrollen und die transparente Kommunikation konkreter Verbesserungen, wie etwa Kostensenkungen oder Produktivitätssteigerungen, wird das Vertrauen in AI-Technologien gestärkt und ihre Akzeptanz gefördert. Mitarbeitende sind dabei aktiv in den Prozess der AI-Einführung einzubinden und sollten frühzeitig durch Weiterbildungsmaßnahmen gezielt geschult werden. Auch der Einsatz von AI in vorgefertigten, praxisnahen Apps, die direkt in die tägliche Arbeitsumgebung integriert werden, trägt erheblich zur Akzeptanz bei. Eine erfolgreiche Implementierung von AI ist daher eng damit verbunden, die Technologie zu entmystifizieren und ihre Vorteile transparent zu kommunizieren.

Mehrwert durch Daten

Der erfolgreiche Einsatz von AI im industriellen Bereich beruht auf der systematischen Nutzung von Daten und ihrer Beziehung zueinander. Dabei sind es oft nicht die großen Datenbanken, sondern die alltäglichen Produktions- und Prozessdaten, die den größten Wert liefern. Das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeitenden, insbesondere in Bezug auf Produktionsabläufe, Qualitätsmerkmale und Kundenanforderungen, bilden die Grundlage für die effektive Anwendung von AI. Durch die Erfassung, Verknüpfung und Auswertung dieser Daten können Unternehmen signifikante Vorteile erzielen – sei es in der Prozessoptimierung, der vorausschauenden Wartung oder der Verbesserung der Liefertreue.

Der wahre Mehrwert entsteht allerdings, wenn Unternehmen beginnen, ihre Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle datengetrieben zu gestalten und neuartige Angebote zu entwickeln. AI-basierte Geschäftsmodelle wie Pay-per-Part-Modelle, Industrie-Apps oder Self-Service-Lösungen, etwa für die Maschinenwartung, schaffen echten Nutzen sowohl für Kunden als auch für Unternehmen.

Plattformen wie Manufacturing-X eröffnen Unternehmen die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und Daten gewinnbringend zu nutzen. Dies fördert nicht nur die Optimierung des Betriebs, sondern trägt auch dazu bei, die Anforderungen der nationalen und europäischen Vorschriften zu erfüllen. Durch die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz von AI werden Daten zu einem wertvollen Wirtschaftsgut, das Unternehmen neue Chancen für Wachstum eröffnet.

Vorgehensweise bei der AI-Implementierung

Unternehmen, die AI implementieren, sollten strategisch vorgehen, um einen maximalen Nutzen zu erzielen. Eine vorschnelle Implementierung ohne klare Zielsetzung führt häufig zu ineffizienten Ergebnissen. Stattdessen können Unternehmen einen schrittweisen Ansatz verfolgen:

  1. Prozessanalyse und Bestandsaufnahme: Die erfolgreiche Einführung von AI beginnt mit einer gründlichen Analyse der bestehenden Prozesse. Welche Prozesse sind bereits digitalisiert? Wo bestehen Optimierungsmöglichkeiten? Und welche Datenqualität ist vorhanden? Diese Bestandsaufnahme bildet die Grundlage für alle folgenden Schritte.

  2. Pilotprojekte und erste Tests: Im Rahmen von Pilotprojekten können Unternehmen erste Erfahrungen mit AI-gestützten Systemen sammeln und deren Integration in bestehende IT-Infrastrukturen testen. Gerade die Schaffung nahtloser Schnittstellen zwischen Legacy-Systemen und modernen AI-Komponenten ist herausfordernd und erfordert eine präzise Umsetzung, um den reibungslosen Betrieb des Unternehmens sicherzustellen.

  3. Datenintegration: Der Erfolg einer AI-Implementierung steht und fällt mit der Integration unterschiedlicher Datenquellen wie MES, ERP und Service-Management-Systemen. Nur eine konsistente und qualitativ hochwertige Datenbasis schafft die Voraussetzung für den effektiven Einsatz von AI-Technologien.

  4. Skalierung und Strategie: Je nach Unternehmensgröße ist eine skalierbare Strategie erforderlich. Für kleine Unternehmen (< 50 Mitarbeitende) stellen standardisierte, Cloud-basierte Lösungen einen idealen Einstieg dar, da sie Investitionskosten und technische Risiken reduzieren. Für mittlere Unternehmen (50 - 250 Mitarbeitende) empfiehlt es sich, eine AI-Roadmap zu entwickeln, um Ressourcen gezielt einzusetzen und mögliche Abhängigkeiten frühzeitig zu erkennen. Gleichzeitig muss der Aufbau interner Kompetenzen vorangetrieben werden. In großen mittelständischen Unternehmen mit (> 250 Mitarbeitende) erfordert die Umsetzung von AI-Initiativen eine koordinierte Zusammenarbeit über mehrere Standorte und Abteilungen hinweg. Ein „AI Center of Excellence" ist hilfreich, um Kompetenzen zu bündeln und einheitliche Standards zu etablieren.

  5. Kultureller Wandel: Die Einführung von AI erfordert nicht nur technologische, sondern auch kulturelle Veränderungen. Führungskräfte sollten als Vorbilder agieren und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der datengestützten Entscheidungsfindung fördern.

Industrial AI in der Praxis

Lösungen für den Einsatz von Industrial AI sind bereits fortgeschritten und vorhanden. Ein Beispiel ist die Industrial-AI-Platform von Proalpha, die speziell für den Einsatz im industriellen Mittelstand konzipiert ist. Diese Plattform stellt eine Vielzahl von vorpaketierten und sofort einsatzfähigen Business Applications bereit, die es Unternehmen ermöglichen, AI direkt in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren.

Inotec Sicherheitstechnik – Spezialist für Not- und Sicherheitsbeleuchtung in Gebäuden – setzt diese Plattform erfolgreich ein, um dezentrales Wissen im Service-Team zu bündeln und zugänglich zu machen. Durch ein zentrales Wissensportal mit AI-Technologie von Empolis konnten Servicetechniker schneller die richtigen Experten finden und Lösungen in Echtzeit austauschen. Zudem optimierte INOTEC ihre Arbeitspläne durch die Erfassung von Ist-Zeiten und den Einsatz der AI-Technologie von NEMO zur Analyse von Soll-Ist-Abweichungen. Diese Optimierungen führten zu einer signifikanten Steigerung der Liefertreue von 86 auf 96 Prozent seit der Einführung der Plattform 2022.

Fazit: AI als Chance für den Mittelstand

Der Weg in eine von AI geprägte Zukunft ist für den Mittelstand unvermeidlich, wenn er seine Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern möchte. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob AI eingesetzt werden sollte, sondern vielmehr, wie und an welchen Stellen sie den größten Mehrwert bietet. Unternehmen, die dies frühzeitig erkennen, eine klare Strategie entwickeln und ihre Fachabteilungen als treibende Kräfte bei der Identifikation und Implementierung einbinden, können nicht nur ihre Effizienz steigern, sondern auch neue Geschäftsmodelle erschließen und ihre Marktposition langfristig sichern. Die Ära der Industrial AI hat gerade erst begonnen – und der Mittelstand hat die Chance, einer der wichtigsten Akteure in dieser Entwicklung zu werden.

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