Es wird viel über die Veränderungen der Geschäftsfelder von Stadtwerken gesprochen: Mieterstrommodelle, Elektromobilität, Quartiersentwicklung und intelligenter Messstellenbetrieb sind nur einige Stichpunkte. Diese Themen sind gute Aushängeschilder für die Innovationskraft kommunaler Energieversorger. Gleichzeitig gibt es eine fast unsichtbare und elementare Veränderung des klassischen Energiegeschäfts, die selten im Fokus steht – oder nur allgemein mit dem überstrapazierten Schlagwort der Digitalisierung beschrieben wird. In einem Satz zusammengefasst: Über die Wettbewerbsfähigkeit von Stadtwerken entscheiden auch die Prozesse.
Die Energiewirtschaft ist mitten in der umfassendsten Veränderung seit der Strommarktliberalisierung vor 20 Jahren. Dabei gibt es diesmal keinen offiziellen Startschuss. Trotzdem werden diejenigen Stadtwerke künftig Vorteile im Wettbewerb haben, die ihre Prozesse schnell umbauen. Klar ist: Daten zu verarbeiten und zusammenzubringen ist eine der wichtigsten Aufgaben für Stadtwerke. Bisher haben die Unternehmen ihre Systeme vor allem entsprechend der jeweiligen regulatorischen Neuerungen angepasst. Jetzt ist es an der Zeit, die IT-Prozesse in Stadtwerken durch mehr Effizienz zukunftssicher zu machen.
Seit Sommer 2019 im Einsatz
Die Stadtwerke-Kooperation SüdWestStrom hat dieses Bedürfnis erkannt und das Online-Portal SWS-Connect entwickelt. Auf dieser Plattform können Stadtwerke zentral ihre energiewirtschaftlichen Kernprozesse abwickeln. Seit Sommer 2019 nutzen einige Dutzend Einkäufer, Vertriebsmitarbeiter und weitere Entscheider bei Stadtwerken das Portal.
SWS-Connect ist das digitale Werkzeug für die Vertriebsrolle von Stadtwerken. Dazu zählt, die Systeme für Kundenverwaltung, Angebotserstellung und Eindeckung zusammenzufassen. SWS-Connect kann genau das: Kalkulationen in Portfoliobücher überführen, Marktberichte sowie Vorlagen für Produkte und Verträge integrieren, ohne Systemwechsel beschaffen. Für mehr Prozesseffizienz kann der gesamte Vorgang vom Angebot bis zur Beschaffung in gerade einmal fünf Klicks abgewickelt werden – und zwar in Echtzeit.
Das geht, weil Systembrüche vermieden und die fehleranfällige Arbeit mit Excel-Dateien durch ein integriertes System ersetzt wird. Stadtwerke aller Größen können damit arbeiten, ohne ihre IT-Infrastruktur anpassen zu müssen. Gleichzeitig haben Stadtwerke alle Freiheiten: Sie können Produkte ab 1 kW über Live-Preise, Settlement-Preise, Back-to-back-Order, kontinuierlich oder per Limit-Order beschaffen. Wichtig für die Aussagefähigkeit von Reportings und Analysen: Auch über Drittanbieter beschaffte Mengen werden mit ausgewertet.
Historischer Lastgang per Drag-and-Drop
Beispiel Angebotsprozess: Stadtwerke können über SWS-Connect innerhalb kürzester Zeit Angebote für ihre Kunden erstellen und anschließend sofort beschaffen. Dafür braucht es nur wenige Schritte: Per Drag-and-Drop wird beispielsweise ein historischer Lastgang importiert. Der Lastgang wird validiert, grafisch dargestellt und lässt sich beliebig zeitlich auflösen. Auf dieser Basis erstellt SWS-Connect Prognosen und damit die Grundlage, um ein Angebot zu kalkulieren. Innerhalb kürzester Zeit ist das Angebot versandbereit an den Kunden. Die Stadtwerke können zudem eine individuelle Vorlage hinterlegen, in die die Ergebnisse exportiert werden. Alle Kalkulationen und Angebote werden archiviert – so bleibt für den Nutzer die ganze Kundenhistorie jederzeit abrufbereit. Ist das Angebot angenommen, beschafft der Einkäufer beim Stadtwerk die entsprechende Menge Strom oder Erdgas.
Neuronale Netze für Erdgas-Prognosen
Bei der Angebotskalkulation macht SWS-Connect Erdgas-Prognosen über den Einsatz neuronaler Netze noch zuverlässiger. Diese Methode versetzt auch Gemeinde- und Stadtwerke in die Lage, den Gasverbrauch in ihren Netzen mit künstlicher Intelligenz zu prognostizieren. SüdWestStrom hat ein Konzept entwickelt, mit dem sich die Abhängigkeit eines Erdgas-Lastgangs von der Temperatur noch besser abbilden lässt. Dafür werden in das neuronale Netz historische Verbräuche mit Informationen wie Wochentag, Temperatur, Monat und Feiertage eingespeist. Datengrundlage sind unter anderem über 500 Wetterstationen, die in ganz Deutschland verteilt sind. Daraufhin wird in der Trainingsphase die Abhängigkeit der einzelnen Faktoren auf den Verbrauch bestimmt.
In vielen Millionen Rechenoperationen wird ein möglichst hoher Erklärungsgrad des Verbrauchs in Abhängigkeit der Inputfaktoren ermittelt. Der Zusammenhang aus Daten-Input und Verbrauchs-Output wird damit bestmöglich abgebildet und lässt sich auf beliebige Zeiträume und Temperaturen ausrollen. In der Praxis lassen sich dadurch historische Daten bereinigen und Angebote ganz gezielt für Warm-, Kalt- oder Normjahre kalkulieren. Das Stadtwerk hat bei der Angebotserstellung somit alle Freiheiten bei gleichzeitiger Risikotransparenz.
Speziallösung für Industrie
Die Bindungsmöglichkeiten von Stadtwerken an ihre Endkunden wird Anfang 2020 weiter ausgebaut. Dann können diese ihren Industriekunden eine Anwendung präsentieren, mit der sie selber Beschaffungsaufträge auslösen und interaktive Reporting-Funktionen nutzen können. Dieser Zugang ist für besonders anspruchsvolle Kunden geeignet, die immer einen Blick auf Kennzahlen sowie Risikoanalysen haben wollen und eigene Beschaffungsentscheidungen treffen.
Diese Weiterentwicklung geht zurück auf die Bedürfnisse der Stadtwerke, die in die Programmierung von SWS-Connect eingebunden sind. Die Entwickler der Stadtwerke-Kooperation sind permanent im Kontakt mit den Nutzern und versuchen – so oft es geht – die Wünsche der Anwender im Portal umzusetzen.
Die Entwickler haben darauf geachtet, dass der Einsatz von SWS-Connect bei Stadtwerken sehr sicher ist: Jeder, der damit arbeitet, bekommt einen persönlichen Zugang. Bei jedem untertägigen Beschaffungsvorgang wird eine Zwei-Faktor-Authentifizierung durchgeführt – so wie es auch beim Onlinebanking üblich ist. Das Berechtigungskonzept ist modular: Jedes Stadtwerk kann entscheiden, wie viele Mitarbeiter einen Zugang zu SWS-Connect erhalten und welche Funktionen ein Mitarbeiter nutzen kann. Außerdem sind die Kommunikationswege über das Internet stets verschlüsselt.