Wir müssen jedoch gar nicht so weit vorausblicken, bis im B2B-Vertrieb einiges Realität wird, das uns heute noch unvorstellbar scheint: Schon 2030 werden wir ein völlig neues Automatisierungsniveau in vielen Vertriebsprozessen haben. Einiges davon wird uns aus dem Privatleben bereits bestens vertraut sein. Denn der Übertrag von etablierten B2C-Mechanismen auf B2B-Unternehmen findet zeitversetzt beziehungsweise nur in Teilen statt.
Einer der Gründe ist, dass B2B-Produkte in der Regel deutlich komplexer sind. Am Beispiel von Festo lässt sich das gut verdeutlichen: Wir haben rund 30.000 Katalogprodukte, die zudem hochgradig konfigurierbar sind. Hier müssen im Entscheidungs- und Kaufprozess deutlich mehr digitale Informationen zusammenfließen, als dies beispielsweise beim privaten Kauf eines Konsumguts der Fall ist. Angefangen bei technischen Daten beziehungsweise der Kompatibilität eines Produktes bis hin zu den vielen beteiligten Entscheidungsträgern – vom Konstrukteur bis zum Einkäufer – und nicht zuletzt den formalen Anforderungen bei einer solchen Investition.
Ein zweiter Grund ist, dass es den Kunden beziehungsweise das Buying Center im B2B-Vertrieb nicht gibt. Stattdessen beeinflussen viele Faktoren wie zum Beispiel die Branche, die Unternehmensgröße oder der Digitalisierungsgrad, inwiefern sich eine rein digitale Kundenbeziehung überhaupt etablieren lässt. Nehmen wir auch hier das Beispiel Festo beziehungsweise unseren Kundenstamm: vielfältiger geht es kaum. Wir sind Partner für verschiedenste Industriesegmente – von Automotive bis LifeScience. Die Unternehmen haben unterschiedliche Größen, Strukturen, Rollen und Herausforderungen.
Kurzum: Die Geschäftsbeziehungen im B2B-Umfeld sind höchst individuell und die Produkte (meist) beratungsintensiv. Dementsprechend wird es auch nicht die eine Vertriebslösung geben. Stattdessen muss der Vertriebsprozess noch anpassungsfähiger und maximal kundenorientiert sein!
Auch wenn die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung des B2B-Vertriebs anspruchsvoll sind: es tut sich momentan enorm viel! Durch strukturiertes Data Management können wir zum Beispiel immer besser verstehen, wann und warum ein Kunde kauft – denn dieser Prozess ist keineswegs linear und einfach nachzuvollziehen.
Denn allein die Art und Weise, wie Kunden Informationen beschaffen, ist vielschichtig (physisch: Katalog, Messen, Außendienst / digital: Websites, Social Media, Apps). Bei Festo befassen wir uns intensiv mit Konzepten für hybride Customer Journeys. Wobei der Trend klar ist: Unsere Kundenumfragen zeigen, dass in allen Phasen einer Kundenbeziehung die Digitalisierung deutlich voranschreitet und in der Zwischenzeit eine hohe Akzeptanz hat. Um die komplexen Kundenbedürfnisse jedoch individuell passend zu bedienen, sind weitreichende digitale (KI-) Maßnahmen erfolgsentscheidend.
Die Umfragen ergeben aber auch: Wenn es um Auswahl, Konzeption, Kauf und Implementierung geht, ist nach wie vor die Kompetenz unserer Experten gefragt. Das deckt sich mit meiner persönlichen Einschätzung: Ich glaube nicht, dass ein KI zeitnah die fundierte und komplexe Applikationsberatung in einer frühen Projektphase übernehmen kann.
Eine wichtige Kompetenz unserer Vertriebsexperten ist es zum Beispiel, unseren Kunden Potenziale für eine höhere Produktivität aufzuzeigen. Um diesen Mehrwert per KI zu erzielen, müssen wir uns noch sehr viele konzeptionelle Gedanken machen!
Dennoch: Längst werden auch im B2B-Kontext höchst professionell Kundendaten analysiert, um ein umfassendes Verständnis für deren Bedarfe, Verhalten und Präferenzen zu bekommen. Durch eine strukturierte Datenanalyse verschiedener Quellen kann rein automatisiert immer passgenauer mit (potenziellen) Kunden interagiert werden: durch personalisierte Angebote, optimierte Services oder sogar durch die direkte Vermittlung des optimalen Vertriebskanals.
Eines wird in der Transformationsphase besonders wichtig sein: Management Attention. Nicht nur für Kunden, sondern auch für Mitarbeiter, ist die Digitalisierung im Vertrieb ein erheblicher Change-Prozess. Die Akzeptanz von neuen Arbeitsprozessen und Tools hängt maßgeblich davon ab, wie gut es gelingt die verschiedenen Zielgruppen mit klaren Visionen und Konzepten abzuholen.
Ich sehe das Thema Automatisierung im B2B-Vertrieb nicht als „Entweder-Oder-Szenario“. Die Prozesse werden sich in den kommenden Jahren noch massiver verändern: KI, Industrial Metaverse Umgebungen und Avatare werden Einzug halten, und es wird verstärkt auch rein digitale Kundenbeziehungen geben. Dies wird aber den Menschen mit seinem Know-how keinesfalls komplett ersetzen. Im Gegenteil: Eine Entlastung bei Routinetätigkeiten sorgt dafür, dass wir unsere menschlichen Stärken noch besser einsetzen können.
Nicht zuletzt wird der Vertriebs-Experte mit seiner Erfahrung sogar selbst dazu beitragen, dass wir die digitalen Rahmenbedingungen optimieren. Ich behaupte: Durch die optimale Kombination aus Menschen und KI („Human-Digital-Teams“) werden wir den B2B-Vertriebsprozess effizienter machen. Dabei werden sich einzelne Rollen signifikant verändern. Der Mensch wird aber weiterhin eine wesentliche Rolle spielen!