Keine Geothermieanlage gleicht der anderen, denn die Voraussetzungen sind bei jedem Projekt einzigartig. Die Bohrungstiefen variieren je nach Standort, die Bodenbeschaffenheit ist unterschiedlich und damit auch die Anforderungen an Material und Bauteile. Temperatur und Zusammensetzung des korrosiven Thermalwassers spielen ebenso eine wichtige Rolle wie der Förderdruck. Mitunter werden wassergefährdende, giftige oder brennbare Substanzen wie Ammoniak oder Isopentan als Arbeitsmedium im „Dampfkreislauf“ verwendet. Und nicht zuletzt haben auch die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen Einfluss auf die Realisierung eines Projektes.
Im Gegensatz zu anderen, konventionellen Kraftwerkstypen, bei denen meist auf ausgereifte, standardisierte Anlagentechnik zurückgegriffen werden kann, ist eine Geothermieanlage aus den oben genannten Gründen fast immer ein Unikat. Häufig müssen die Pläne noch während der Bauphase angepasst und überarbeitet werden. Wenn sich beispielsweise herausstellt, dass die Temperatur des Thermalwassers höher oder niedriger ist als erwartet, und die tatsächlichen Fördermengen von den Prognosen abweichen, muss das Anlagenkonzept flexibel angepasst werden können. Das kann dazu führen, dass sich die Grenzen zwischen den Pflichten von Herstellern und Betreibern verschieben und unklar werden, auch weil bereits Teilsysteme in Betrieb genommen oder vor Ort Komponenten modifiziert und zusammengefügt werden.
Die Erfahrung zeigt, dass dann bisweilen wichtige Dokumente fehlen, die Gewissheit über Sicherheitsstandards und technische Spezifikationen geben. Dieses Risiko verstärkt sich durch den mittlerweile üblichen weltweiten Einkauf der Bauteile. Fehlen diese Unterlagen, kann das weitreichende praktische und juristische Folgen haben, etwa Bauverzögerungen, Zusatzkosten, Sicherheitsmängel und erhöhte Haftungsrisiken.
Analyse mit System
Prozesskritische Fragen zu Zuständigkeiten, Planungsdetails und zur gesetzeskonformen Inbetriebnahme von Geothermieanlagen kommen aufgrund der Komplexität regelmäßig vor. Doch wie kann der Projektablauf möglichst reibungslos und wirtschaftlich geplant werden? Welche konkreten Risiken birgt das Projekt? Wie können sie identifiziert werden beziehungsweise wie wird rechtzeitig, effektiv und flexibel gegengesteuert?
Eine bewährte Form der strukturierten und frühzeitigen Risikobewertung ist die Hazop-Analyse (siehe Infokasten). Insbesondere bei komplexen Projekten wie dem Kraftwerksbau bietet sich dieses mehrstufige Verfahren an. Die Grundidee: Durch systematisierte fachliche Diskussionen identifizieren Experten konkrete Gefahrenpotenziale, prüfen bereits vorhandene abwehrende Maßnahmen und entwickeln entsprechende Strategien. Dies bezieht sich sowohl auf die technischen und organisatorischen Risiken als auch auf mögliche Fehlbedienungen und äußere Störeinflüsse bis hin zu Sabotage-Szenarien. Auch die Bedienbarkeit der Anlage wird stets untersucht.
Beteiligt an einer Hazop-Analyse sind interne und externe Spezialisten wie Verfahrens- und Sicherheitsingenieure, Konstrukteure und Techniker aus den Bereichen Anlagenplanung, MSR-Technik, Betrieb, Anlagenbau, Überwachung und Instandhaltung. Die wesentlichen Grundlagen der Diskussion ergeben sich sowohl aus den konkreten Gegebenheiten als auch aus den gesetzlichen Vorschriften.
Der Ablauf der Hazop-Analyse folgt einer definierten Systematik. Die Diskussionen werden durch einen erfahrenen unabhängigen Experten moderiert, die Teilnehmer durchleuchten verschiedene Szenarien und bewerten, an welchen Stellen kritische Störungen auftreten können. Sie schätzen die Auswirkungen ab, prüfen, ob die vorhandenen Absicherungen ausreichen und entwickeln Modelle für geeignete Gegenmaßnahmen. Solche Analysen basieren also auf der Erfahrung und dem technischen Wissen der Beteiligten. Am Ende der Sicherheitsbetrachtung steht eine für alle nachvollziehbare Dokumentation der Ergebnisse – die darüber hinaus auch eine solide Grundlage für Verträge, Verhandlungen mit Versicherungen und für die Formulierung präziser Lieferspezifikationen im Lastenheft bilden kann.
Verzögerungen durch fehlende Dokumente
Im Detail können alle kritischen Schnittstellen diskutiert werden, die bei Planung, Bau und Inbetriebnahme einer Geothermieanlage entstehen können. Wenn die einzelnen Bauteile weltweit eingekauft, fernab der Baustelle zusammengebaut und erst dann geliefert werden, ist besonderes Augenmerk auf die Dokumente der einzelnen Komponenten zu legen – zum Beispiel auf Konformitätserklärungen. In manchen Fällen können auch die Spezifikationen zu Anlagenteilen von den Herstellern unterschiedlich ausgelegt werden. Wird erst vor Ort festgestellt, dass etwa die Konformitätserklärung oder andere Unterlagen für die Inbetriebnahme, Instandhaltung oder zu Sicherheitskonzepten fehlen oder unzureichend sind, kann dies zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen führen, bis geklärt ist, ob die sicherheitsrelevanten Mindestanforderungen der EU erfüllt sind.
In direktem Zusammenhang damit steht die Produktsicherheit. Laut EU-Richtlinien liegt die Verantwortung dafür zunächst bei den Herstellern beziehungsweise autorisierten Händlern. Sie versehen ihre Produkte mit dem CE-Kennzeichen, dem standardisierten Symbol für die EU-Konformität und Produktsicherheit. Damit wird dokumentiert, dass das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens den gesetzlichen Mindestanforderungen entspricht. Für die Hersteller und autorisierten Händler sind dafür die EU-Richtlinien relevant – unter anderem die Druckgeräterichtlinie, die Maschinenrichtlinie und die Atex-Richtlinie hinsichtlich Explosionsschutz.
Übergang der Verantwortung
Ab dem Zeitpunkt des Erwerbs geht die Verantwortung jedoch auf den Betreiber über. Er muss die ordnungsgemäße Verwendung des Bauteils vor der Benutzung prüfen – etwa die ordnungsgemäße Aufstellung und Absicherung – und vor allem auch die spätere, korrekte Betriebsweise sicherstellen, die den Vorgaben des Herstellers zur Verwendung entsprechen muss. Für den Betreiber sind hierbei vor allem nationale Vorgaben wie die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TBRS) entscheidend. Je nach Projekt können weitere Vorschriften relevant sein – etwa das Wasserhaushaltsgesetz, wenn eine Kalina-Anlage mit erhöhtem Gefährdungspotenzial zur Stromgewinnung geplant ist.
Theoretisch ist der Übergang der Verantwortung zwischen Hersteller und Betreiber also klar definiert. Da es in der Praxis jedoch üblich ist, dass erst direkt auf der Baustelle Systeme zusammengesetzt oder verändert werden und möglichst schnell in den ersten Probebetrieb gehen, stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit immer wieder aufs Neue. Es ist durchaus möglich, dass der Betreiber rechtlich gesehen zum „Hersteller“ wird, wenn er vor Ort mehrere Komponenten zu einem System zusammenführt. Dann ist er gesetzlich dazu verpflichtet, die neuen Gefährdungen zu bewerten, die sich erst durch den Zusammenbau ergeben. Unter Umständen muss der Betreiber für die Gesamtanlage oder für die Maschine sogar ein eigenes CE-Konformitätsbewertungsverfahren durchführen.
Vorausschauende Planung für mehr Sicherheit
Mit Hazop-Analysen werden Fragen nach Zuständigkeiten, notwendigen Dokumenten und Sicherheitsaspekten systematisch und frühzeitig erörtert. Bereits im Vorfeld können dadurch Probleme bei der Abstimmung vermieden und konkrete Lösungswege aufgezeigt werden. Ebenso werden in den Experten-Diskussionen transparent für alle Beteiligten Fragen zu Verfahren, Baustoffen, Normen, formellen Abläufen, bürokratischen Prozessen und Verantwortlichkeiten angesprochen und geklärt.
Auf den ersten Blick mag dieser Aufwand hoch erscheinen. Doch die Analyse zahlt sich im weiteren Prozessablauf aus, weil schon alle Eventualitäten in den Blick der Beteiligten gerückt sind. So werden projektkritische „Reibungsverluste“ und „unliebsame Überraschungen“ vermieden, die fast immer aus einer unzureichenden Dokumentation, nicht eingehaltenen Vorschriften und den später auftretenden Mängeln im tatsächlichen Betrieb resultieren.
Ein weiterer Vorteil der Hazop-Analyse: Sie liefert von Anfang an einen umfassenden Überblick über den Sicherheitsstandard der Geothermieanlage, was sich stets positiv auf die Verhandlungen mit Versicherungen und die Durchführung der Genehmigungsverfahren auswirken kann.