Optisch nicht zu übersehen sind die vier imposanten Windräder, die sich auf den Limpurger Bergen über der kleinen Gemeinde Gaildorf bei Schwäbisch Hall drehen. Vier baugleiche Anlagen stehen in Abständen von wenigen hundert Metern wie Spaliere und wandeln die Kraft des Windes jeweils in 3,4 Megawatt elektrische Leistung um. Mehr als 10 Gigawattstunden Energie pro Jahr wird jedes Windrad ernten und so etwa 2500 Vier-Personen-Haushalte versorgen.
Jeder Meter zusätzliche Höhe steigert den Energieertrag, denn weiter oben bläst der Wind kräftiger. Dieser Effekt wird auch in der Anlage in Gaildorf genutzt. Das höchste der vier Windräder ist sogar das derzeit höchste der Welt, seine Nabe liegt auf 178 Meter, die Spitze des Rotors reicht bis in 246,5 Meter Höhe. Diese Höhenmeter werden durch einen Hybridturm aus Beton (unten) und Stahl (oben) ermöglicht.
Einzigartige Kombi-Anlage
Besonders auffällig ist der deutlich dickere Fuß der Türme. Er steht in einem riesigen runden Bassin, das teilweise mit Wasser gefüllt ist. Ist Windstrom oder Strom im Netz übrig, wird mit der elektrischen Energie Wasser in die Höhe und in diese beiden Behälter gepumpt. Ist der Strom im Netz hingegen knapp, fällt das Wasser 200 Meter tief ins Tal und treibt drei Turbinen an. Dieses Prinzip des Pumpspeicherkraftwerks ist rund hundert Jahre alt. Noch nie wurden allerdings eine Anlage zur Erzeugung erneuerbarer Energie und ein Pumpspeicher im selben Bauwerk untergebracht. Konzipiert und erbaut hat die Türme die Firma Max Bögl Wind in Neumarkt in der Oberpfalz. Jedes Windrad hat zwei Speicher.
In den dickeren Sockel des Windrads – das Aktivbecken – passen jeweils 7.100 Kubikmeter Wasser. Es ist 40 Meter hoch und liefert willkommene Extrahöhenmeter für den Rotor. Das große Außenbassin, Passivbecken genannt, fasst noch einmal 43.000 Kubikmeter. Die so genannten Wasserbatterien sind mit einem zwei Meter dicken Rohr verbunden, das ins Tal unter dem Bett des Flusses Kocher und in ein eigens dafür angelegtes Unterbecken führt. Zur Inbetriebnahme Ende 2017 (Energy 4.0 berichtete) wurde das System mit 160.000 Kubikmeter Wasser aus dem Fluss befüllt.
Der Naturstromspeicher in Gaildorf zeigt, wohin die Reise geht. Die drei Wasserturbinen im Tal leisten 16 Megawatt und die Kapazität des Speichers beträgt 70 Megawattstunden. Bis zu fünf Stunden Flaute lassen sich damit ausgleichen, aber auch kürzere Diskrepanzen zwischen Erzeugung und Nachfrage im Netz. Das Umschalten vom Einspeisen ins Netz auf Speichern oder retour dauert nur 30 Sekunden. Das erhöht die Flexibilität und sichert zusätzliche Einnahmequellen, denn die Anlage kann gut bezahlte so genannte Netzdienstleistungen anbieten, um Instabilitäten wie Änderungen der Netzfrequenz auszugleichen oder Blindleistung bereitzustellen. „Mit der Wasserbatterie und den Hybridtürmen machen wir die Windkraft als Energiequelle noch attraktiver und effizienter und stellen gleichzeitig neue Rekorde auf“, sagt Josef Knitl, Vorstand von Max Bögl Wind.
Kabel von Lapp
Die vier Windenergieanlagen stammen von GE Renewable Energy. Das Unternehmen stellt hohe Ansprüche an die elektrische Ausrüstung, dazu gehören auch die Kabel in der Gondel und im Turm. Lapp hat schon in einigen Anlagen von GE Kabel für die Gondeln zugeliefert und ist als Lieferant gelistet. Der Hersteller für integrierte Lösungen der Kabel- und Verbindungstechnik wurde daher von Max Bögl Wind als Lieferant für die Kabel im Turm angefragt. „Wir haben von GE ein Lastenheft bekommen, in dem für jedes Kabel genau die Spezifikationen wie Abmessungen, Temperatur-, Torsions-, Witterungsbeständigkeit und vieles mehr gelistet waren“, sagt Andreas Müller, Key-Account Manager im Bereich Wind bei Lapp.
Max Bögl Wind hat die Anlage nicht nur errichtet, sondern betreibt sie auch – ein Novum in der Windkraftbranche und eine große Chance für Max Bögl Wind. Das Unternehmen will das Konzept in Zukunft weltweit vermarkten. Denn der Bedarf an Speicherlösungen zur dezentralen Energieerzeugung mit erneuerbaren Energien wird erheblich wachsen. „Wir sind stolz, dass wir die Ansprüche von Max Bögl Wind erfüllen“, sagt Michael Bodemer, Vertriebsleiter Projektgeschäft Deutschland bei Lapp. Die Herausforderung seien technisch anspruchsvolle Kabel und Leitungen, gepaart mit einem hohen Serviceanspruch in Bezug auf Schnitte, Beschriftungen, Etiketten und spezielle Kabeltrommeln. „Nur wer hier ein Rundum-Sorglos-Paket bieten kann, kommt überhaupt in die engere Auswahl.“ Dazu gehört auch, die benötigten Kabel just-in-time auf die Baustelle zu liefern.
Übrigens: Einige weitere Projekte der Firma Max Bögl Wind sind bereits in der Planung und Lapp ist als Kabel-Lieferant wieder im Rennen. Das Unternehmen kann die erforderlichen Kabel entweder in Deutschland oder in anderen Werken in Europa fertigen, oder zum Beispiel mit einem Kompetenzzentrum in Singapur und Fertigungsstandorten in China, Indien und Korea punkten. Andreas Müller: „Auch auf dem asiatischen Kontinent haben wir genügend Know-how, um große Aufträge für Windkraftanlagen in bester Qualität abwickeln zu können.“