Prof. Dr. Frank Brettschneider und sein Team von der Universität Hohenheim untersuchen seit 2012, wie verständlich die Vorstandsvorsitzenden der DAX-30-Unternehmen auf den Hauptversammlungen ihrer Unternehmen sprechen. Sie nutzen hierzu eine Analyse-Software, die unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern sucht.
Anhand dieser Merkmale bilden die Forscher dann den „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“. Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich). Entscheidend für die Analyse war die DAX-Zugehörigkeit des Unternehmens zum Zeitpunkt der (ordentlichen) Hauptversammlung. Analysiert wurden außerdem nur Reden, die in Textform zur Verfügung standen.
Telekom-Chef wiederholt auf Platz eins
In diesem Jahr erreichten die CEO-Reden einen durchschnittlichen Verständlichkeits-Wert von 15,5 Punkten. Das sind genauso viele Punkte wie im Vorjahr und 5,7 Punkte mehr als im Jahr 2012.
Timotheus Höttges von der Deutschen Telekom hielt dabei mit 19,8 Punkten die formal verständlichste Rede. Damit belegt der Vorstandsvorsitzende zum sechsten Mal in Folge den ersten Platz. Auf dem zweiten Platz folgt Stephan Sturm von Fresenius mit 19,7 Punkten. Er teilt sich die Silbermedaille mit Dr. Theodor Weimer von der Deutschen Börse.
Interessant dabei ist, dass die Deutsche Börse unter Weimer deutlich mehr Wert auf Verständlichkeit legt als zu Beginn der Untersuchungen. 2013 und 2015 belegte einer seiner Vorgänger, Dr. Reto Francioni, noch jeweils den letzten Platz mit 6,4 beziehungsweise 8,1 Punkten.
„Es ist erfreulich, dass der sehr gute Vorjahreswert trotz der widrigen Umstände in diesem Jahr gehalten wurde“, sagt Brettschnieder. „Viele Redner bemühen sich, Fachsprache so zu übersetzen, dass auch Laien den Inhalt der Rede verstehen. Für den Auf- und Ausbau von Reputation ist dies sinnvoll.“
Verständlichkeitshürden: Fachbegriffe, lange Sätze, Anglizismen
Laut Claudia Thoms, Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft, sind es vor allem Bandwurmsätze, abstrakte Begriffe, zusammengesetzte Wörter und nicht erklärte Fachbegriffe, die die Verständlichkeit einiger Reden schmälern. Aber: Überlange Sätze werden seltener, immer weniger Reden enthalten zusammengesetzte Wörter.
Auch greifen die Vorstandsvorsitzenden immer seltener auf komplizierte Fachausdrücke zurück, die höchstens die Experten im Publikum verstehen. Vor allem Anglizismen und Ausdrücke wie „Best of both worlds“, „Purpose“, „Renewables-Aktivitäten“ und „Forward-thinking Healthcare“ ließen sich teilweise noch vermeiden, kommen aber insgesamt vergleichsweise selten vor.
Unerklärte Abkürzungen wie „MEB-Drittmarktgeschäft“, „MQB-Basis“ und „NMC-Akkus“ sind ebenfalls eher die Ausnahme. Oft erklären die Redner solche Begriffe, wenn sie sie verwenden. „Zu erläutern, was Blockchains, Re-Rating und neuromorphe Rechner sind, mag dabei nicht für jeden Zuhörer oder Leser notwendig sein. Dadurch steigt aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch Personen mit weniger Vorkenntnissen das verstehen, was der Redner meint“, erklärt Thoms.
Woran sich allerdings immer noch viele CEOs bedienen, sind Passiv-Formulierungen, wie Brettschneider kritisiert: „Sie verschweigen ‚Ross und Reiter‘. Damit bleibt unklar, wer eigentlich handelt, und die Zuhörer verlieren den Faden und schlussendlich auch das Interesse.“
Besonders häufig finden sich Passiv-Formulierungen in der Rede von Bayer-Chef Werner Baumann (zehn Prozent aller Sätze). In der Rede des Erst-Platzierten Höttges sind es nur 0,5 Prozent. Und die CEOs von Merck, der Deutschen Börse und von Continental kommen sogar ganz ohne Passiv-Sätze aus.
Mehr Vertrauen bei verständlichen Reden
Die formale Verständlichkeit sei zwar nicht das einzige Kriterium für eine gelungene Rede, betont Brettschneider. Wichtiger noch sei der Inhalt. Hinzu kämen außerdem Kriterien wie der Aufbau der Rede oder der Vortragsstil.
Dennoch sollte ein Redner nicht vergessen: „Formal verständliche Botschaften werden von den Zuhörern besser verstanden und erinnert. Und verständliche Botschaften genießen mehr Vertrauen als unverständliche“, sagt Brettschneider.
Daher sollte man laut dem Kommunikationswissenschaftler einige Grundregeln für verständliche Reden einhalten. Dazu gehören kurze Sätze, gebräuchliche Begriffe, das Übersetzen von Fachbegriffen und das Vermeiden zusammengesetzter Wörter. „Denn nur, wer verstanden wird, kann auch überzeugen.“
Zum Hohenheimer Verständlichkeits-Index
Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Brettschneider und sein Team berechnen seit 2012 den „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“. Dafür nutzen sie die Software „TextLab“, die von der Ulmer Agentur H&H CommunicationLab und der Universität Hohenheim entwickelt wurde. Die Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (zum Beispiel Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).
Aus diesen Werten setzt sich dann der Verständlichkeits-Index zusammen. Er bildet die Verständlichkeit auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in der Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der FAZ, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.