Versorgungssicherheit & Autarkiekonzepte Abwarten gilt nicht

Diskussion in Berlin: Peter Birkner (Mainova), Markus Litpher (Lechwerke) und Barbie Kornelia Haller (BNetzA) (v.l.n.r) .

Bild: Andreas Süß
09.09.2015

Wie lässt sich erneuerbar produzierter Strom verteilen – von Nord nach Süd, im Winter und im Sommer? Energieversorger und eine Vertreterin der Bundesnetzagentur diskutierten auf Einladung von Energy 2.0 über Netzausbau, flexible Steuerung und mehr.

Erneuerbare Energie ist genug da. Nur am falschen Ort und zur falschen Zeit. „Wir haben einfach ein unfassbares Gefälle“, erklärte Barbie Kornelia Haller, Referatsleiterin Wirtschaftliche Grundsatzfragen der Energieregulierung in der Bundesnetzagentur (BNetzA). „2024 wird Schleswig-Holstein 24 TWh Überproduktion haben. In Bayern werden 30 fehlen.“ Der Netzausbau ist ein unverzichtbarer und wichtiger Teil der Lösung, jedoch nicht der einzige, meinte Dr. Markus Litpher, Kaufmännischer Vorstand der Lechwerke (LEW). Denn die Bayern werden den Strom brauchen, wenn er in Schleswig-Holstein nicht verfügbar ist und umgekehrt. Prof. Dr. Peter Birkner, bis Juli 2015 Technischer Vorstand der Mainova, sagte: „Sie können durch Nord-Süd-Trassen zur Entlastung beitragen, aber Sie werden im Süden auch etwas auf der Produktions- und im Norden auf der Verbrauchsseite tun müssen.“ Er ist deshalb überzeugt, dass in Bayern künftig einige Gaskraftwerke bereitstehen müssen und zum Beispiel in Hamburg Strom in Fernwärme verwandelt werden sollte.

Forschung tut not

Eine ganze Palette an Maßnahmen ist nötig, um Netzstabilität und Versorgung langfristig sicherzustellen, darin waren sich alle Teilnehmer einig. Dabei hat es keinen Sinn zu warten, bis das gesamte Lösungsmodell ausdiskutiert ist.

Weil so viele Faktoren zusammenspielen, deren Zusammenwirken noch nicht geklärt ist, meinte Prof. Birkner: „Für mich ruft das geradezu nach mehr wissenschaftlicher Forschung.“ Technisch sind zum Beispiel Komponenten wie HGÜ-Leitungen und Power-to-Heat-Anlagen vorhanden. „Aber man müsste praxisnah simulieren, was passiert, wenn ich welchen Stellhebel wie ziehe. Es geht um die Systemsteuerung und die Frage, welche Zustände sind kritisch und wie erreiche ich Stabilität?“

Flexibilität und Timing zählen

„Entscheidender Faktor ist das Timing – wie schnell werden die Solar- und Windkraftanlagen weiter ausgebaut, stehen rechtzeitig Reservekraftwerke an den richtigen Stellen zur Verfügung, bis wann schaffen wir es, die Netze ausreichend flexibel zu machen?“, beschrieb Prof. Birkner die anstehenden Aufgaben.

Redispatching ist derzeit das Mittel der Wahl. Laut BNetzA-Expertin Haller wurden dafür seit 2011 mehr als 800 Millionen Euro ausgegeben. Zudem werde dabei häufig erneuerbar produzierter Strom heruntergeregelt. Prof. Birkner erklärte, dass die Kosten für das Redispatching nicht weiter so stark steigen würden: „Nehmen Sie mal das Kraftwerk Irsching. De facto ist es kaum im Markt. Es ist eigentlich völlig egal, wie häufig es zum Redispatching eingesetzt wird. Redispatching als einzige Einnahmequelle muss den Fixkostenblock dieses Kraftwerks decken.“ Er riet dazu, darüber nachzudenken, rein netzunterstützende Kraftwerke oder Kraftwerksscheiben zu definieren und diese regulatorisch als Netzelemente zu behandeln.

Im übrigen sollte man die Interessen der Kraftwerks- und Netzbetreiber kennen, um deren Aussagen richtig einschätzen zu können, meinte Barbie Haller: „Natürlich verdienen Kraftwerke mit Redispatch. Und Kommunen verdienen ein bisschen was mit ihren alten Kraftwerken, wenn der Netzausbau nicht kommt.“

„Verbleibende Lücken im Übertragungssystem müssen aber durch Kraftwerke geschlossen werden, die vor allem steuerbar und schnell verfügbar sein müssen. Hier könnte für einen Übergangszeitraum auch Braunkohle eine Rolle spielen“, meinte Prof. Birkner. „Wenn ein Kraftwerk nur noch ein paar Stunden pro Jahr läuft, was für reines Redispatching nicht unüblich ist, dann könnte das auch ein Kraftwerk sein, das spezifisch mehr CO2 emittiert. Dumm ist nur, dass die Braunkohle-Kraftwerke an der falschen Stelle stehen, wenn es um eine Rolle bei der Erhaltung der Netzstabilität geht. Bei der zweiten zu erfüllenden Aufgabe, dem permanenten Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage ist die Sache anders gelagert. Hier ist der Standort sekundär.“

Europäische Lösungen

Barbie Haller verwies darauf, dass sich Probleme bei der nationalen Übertragungskapazität teils auf europäischer Ebene beheben lassen könnten – auch wenn es hier nicht einfach sein wird, Lösungen zu finden. Prof. Birkner ergänzte, dass die Engpässe nichts mit den nationalen Grenzen zu tun haben: „Wenn wir von Hamburg nach Venedig Strom transportieren wollen, tun wir verwaltungs- und handelstechnisch so, als ob der Engpass an der österreichisch-italienischen oder der deutsch-österreichischen Grenze auftritt. Dabei ist er in Mitteldeutschland.“ An einem maßvollen Ausbau der Nord-Süd-Leitungen führt für ihn deshalb kein Weg vorbei.

Die veränderte Rolle der Verteilnetze betonten Prof. Birkner und Dr. Litpher. Laut Birkner gibt es auch in Verteilnetzen Redispatching – mit Hilfe von BHKW, Power to Gas oder Wärmespeichern ließen sich „örtliche Stabilitätsinseln schaffen, die die Probleme im Übertragungsnetz vermindern.“

Dr. Litpher sprach in diesem Zusammenhang die Rolle der Haushalte an: „Nehmen Sie ein Haus mit Solarzellen auf dem Dach und einem Batteriespeicher im Keller. Von Frühjahr bis Herbst steht die Optimierung der Eigenversorgung im Vordergrund. Im Winter dagegen könnte der Speicher weitgehend für das Netz zur Verfügung stehen“, sagte er und fuhr fort: „Doch das lässt sich nicht einfach lösen – vor allem regulatorisch wirft das viele Fragen auf: Wie grenze ich das eine vom anderen ab? Ist der netzdienliche Einsatz der Batterie individuell zu vergüten? Lässt sich das kostenreduzierend für die Netze einsetzen?“ Haller zeigte sich skeptisch: „Wie viel Energie verwende ich darauf, Haushalte irgendwie in einen netzdienlichen Kreislauf einzubauen, der in der Wirkung extrem beschränkt ist?“

Heute für morgen handeln

Grundsätzlich meinte Prof. Birkner, dass es notwendig sei, den Regulierungsrahmen anzupassen: „Die Flexibilisierung der Netze muss unterstützt und die Mehrfachnutzung von kapitalintensiver Infrastruktur ermöglicht werden. Zudem können netzdienlichen Anlagen – also auch netzdienliche Kraftwerke – ihr Geld nicht ausschließlich auf dem Energy-Only-Markt verdienen.“

Dem stimmten alle Teilnehmer zu. Sie waren sich darin einig, dass nicht nur der Netzausbau wichtig ist, sondern auch finanzielle Anreize für andere Lösungsansätze notwendig sind. Ein breit angelegter Mix von unterschiedlichen Maßnahmen, der Schritt für Schritt umgesetzt werde, sei der sinnvollste Weg.

„Was jetzt entschieden werden kann, sollte jetzt auch angepackt werden“, davon zeigte sich nicht nur Dr. Litpher überzeugt. „Man muss deshalb mit den Maßnahmen starten, die sich heute bereits umsetzen lassen. Wir sind ein Industrieland, das auf eine sichere Energieversorgung angewiesen ist. Und deshalb müssen wir umgehend ein tragfähiges, umfassendes Gesamtkonzept auf den Weg bringen.“

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